Liebe Mitfastende,
geht es Ihnen gut? Verzichten Sie noch mit Elan? Oder schleppen Sie sich mittlerweile eher durch die Passionszeit? Es sind noch beinahe drei Wochen „ohne kneifen“. Das Motto in diesem Jahr soll uns dabei helfen, mit unserer Scham bewusst umzugehen. Das ist durchaus anstrengend, denn wir vermeiden, was uns als peinlich erscheint. Ich wünsche Ihnen darum, dass Sie noch mitmachen mögen und können. In dieser Woche geht es darum, dass wir unsere Hoffnung zeigen. Dazu bekommen wir einen Menschen als Beispiel angeboten, der auch gleich deutlich macht, worin das Problem liegen kann, die eigene Hoffnung zu zeigen.
Und sie kamen nach Jericho. Und als er [Jesus] aus Jericho hinausging, er und seine Jünger und eine große Menge, da saß ein blinder Bettler am Wege, Bartimäus, der Sohn des Timäus. Und als er hörte, dass es Jesus von Nazareth war, fing er an zu schreien und zu sagen: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Und viele fuhren ihn an, er sollte schweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Und Jesus blieb stehen und sprach: Ruft ihn her! Und sie riefen den Blinden und sprachen zu ihm: Sei getrost, steh auf! Er ruft dich! Da warf er seinen Mantel von sich, sprang auf und kam zu Jesus. Und Jesus antwortete ihm und sprach: Was willst du, dass ich für dich tun soll? Der Blinde sprach zu ihm: Rabbuni, dass ich sehend werde. Und Jesus sprach zu ihm: Geh hin, dein Glaube hat dir geholfen. Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach auf dem Wege. (Markus 10,46-52)
Der blinde Bartimäus hat die Hoffnung, dass er sehen kann. Darum ruft er laut nach demjenigen, dem er zutraut, ihm das geben zu können. Und prompt ist das Problem da: Mehrere Leute sagen ihm, er solle den Mund halten. Wir wissen nicht, was diese Leute dazu bewegt, ihn „anzufahren“. Vielleicht wollen sie, dass Jesus nicht belästigt wird. Oder sie wollen für Ruhe und Ordnung sorgen. Vielleicht empfinden sie das Schreien des Bettlers als peinlich. Ich glaube, dass sie vor allem die Hoffnung des Bartimäus nicht teilen. Wie auch immer, die Reaktion auf die Zurechtweisung ist erstaunlich: Bartimäus schreit sich nun anscheinend die Seele aus dem Leib beziehungsweise seine vielleicht letzte Hoffnung.
Vielleicht ist es die Tatsache, dass Bartimäus nichts sehen kann, die ihn die Peinlichkeit der Situation ertragen lässt. Jesus hört ihn endlich, und dann schickt er Leute, um Bartimäus zu holen. Wer das ist, sagt die Bibel nicht. Wie bei denen, die Bartimäus den Mund verbieten wollen, heißt es einfach „sie“. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass es hier eine Schnittmenge gibt zwischen denen, die Bartimäus erst zum Schweigen bringen wollten und die ihn nun zu Jesus bringen sollen. Wie peinlich mag ihnen das wohl sein: Zu demjenigen, den sie eben noch angepfiffen haben, jetzt gehen zu müssen?
Bartimäus hat seine Hoffnung gezeigt. Mehr noch, er hat sie herausgeschrien, und dadurch hat er zunächst eine peinliche Situation erzeugt. Wie bereits erwähnt, ich glaube, dass es niemandem hätte peinlich sein müssen, wenn die Umstehenden die Hoffnung von Bartimäus ernst genommen hätten. Aber die Hoffnung stirbt in den seltensten Fällen zuletzt. Je länger wir uns deutlich machen, wie „die Dinge eben sind“, wie die Realität aussieht, desto mehr richten wir uns in dem ein, was wir für möglich halten, und die Hoffnung versinkt und stirbt einen leisen Tod. Blinde sind eben blind. Kriege werden eben geführt. Frauen werden unterdrückt, Kinder hungern. Wer anders denkt als die Mehrheit, wird verfolgt. Das Geld der Welt gehört wenigen.
Wer seine Hoffnung zeigt, dass sich an diesen Zuständen etwas ändern kann, muss damit rechnen, dass er angeschnauzt wird: „Du Gutmensch, halt den Mund!“ Ist die Hoffnung darauf, dass es wirklich anders werden könnte mit der Welt, ein Zeichen für Weltfremdheit? Oder ist sie nicht vielmehr ein Zeichen des Widerstandes? Das Schreien des Bartimäus ist eine Kraftanstrengung seiner Hoffnung. Er hofft darauf, dass eben nicht alles bleiben muss, wie es eben ist. Er überlässt selbst seiner Behinderung nicht das letzte Wort.
Wo sind Ihre versunkenen Hoffnungen? An welcher Stelle sehnen Sie sich dringend nach Veränderung, und gleichzeitig sagt Ihnen Ihr Verstand, dass Sie sich abfinden müssen? Jesus fragt Bartimäus auch ganz konkret: „Was willst du, dass ich für dich tun soll?“ Welche Hoffnung möchten Sie wieder heben? Werden Sie ebenfalls konkret: Nehmen Sie sich ein Blatt Papier. Es sollte nicht kleiner sein als Din A4, dazu einen Stift. Dann denken Sie über Ihre Hoffnungen nach, die Sie wieder heben möchten und entscheiden sich zunächst für eine. Schreiben Sie Ihre Hoffnung auf dieses Stück Papier. Schreiben Sie so groß, dass man es möglichst von Weitem sehen kann. Beginnen Sie mit diesen beiden Worten: „Ich hoffe“, damit klar wird, dass es sich um Ihre Hoffnung handelt, nicht um irgendeine allgemeine. Was Sie da schreiben, soll ein persönliches Bekenntnis zu Ihrer Hoffnung werden.
Und dann kommt der nächste spannende Teil der Übung: „Zeig deine Hoffnung“. Tun Sie das! Überlegen Sie sich, wem Sie Ihre Hoffnung zeigen möchten. Das kann eine Freundin sein, der Sie Ihre Hoffnung zeigen. Oder Sie hängen es an Ihre Tür oder Ihr Fenster. Wichtig ist nur: Behalten Sie Ihre Hoffnung nicht für sich selbst, trauen Sie sich, anderen zu zeigen, dass Sie diese Hoffnung nicht aufgeben wollen! Wer weiß, welchen Stein Sie dann ins Rollen bringen – für ein Gespräch, für eine gemeinsame Idee, vielleicht für eine konkrete Aktion? Machen Sie sich nichts daraus, wenn andere das peinlich finden sollten, weil sie Ihre Hoffnung nicht teilen. Die Geschichte von Bartimäus zeigt: Wir können jemanden finden, der unsere Hoffnung eben doch teilt und versteht. Und dann kann alles anders werden. Zunächst aber schreiben Sie! Lassen Sie Ihre Hoffnung nicht versinken und dann teilen Sie sie!
Ich hoffe auf eine gute Woche für Sie!
Ihr Frank Muchlinsky