Um den Kopf ist eine Plastiktüte geschnürt; und in der Tüte zappelt was. Zum Glück behält der Film die weiteren Details für sich, denn aus der Tüte schlüpft ein Aal. Wer jetzt angeekelt umschaltet, verpasst einen Krimi aus Köln, der eine unspektakuläre Geschichte mit großer Intensität erzählt; und unappetitlich wird es auch nicht mehr.
Regisseur von "Mitgehangen" ist Sebastian Ko, der damit bereits seinen dritten sehenswerten "Tatort" für den WDR gedreht hat; der erste war "Kartenhaus" (2016), ein Krimi im Stil von "Bonnie & Clyde", der zweite "Wacht am Rhein", ein beklemmender Film über die Spätfolgen der Kölner Silvesternacht. Das Drehbuch stammt diesmal von Johannes Rotter (zuletzt "Wir sind die Rosinskis"), der für sein Drehbuch zu dem Drama "Kehrtwende" mit dem Robert Geisendörfer Preis ausgezeichnet worden ist. Dieser Film handelt von einem beliebten Lehrer (Dietmar Bär), der zuhause regelmäßig die Beherrschung verliert und seine Frau krankenhausreif prügelt. Auch "Mitgehangen" ist letztlich eine Familientragödie, die Ko aber ähnlich inszeniert wie die Szene mit dem Aal: Er lässt die Spannungen erahnen, zeigt sie aber nicht.
Der nur durch Zufall im Baggersee entdeckte Wagen führt die Kölner Kommissare Ballauf und Schenk (Klaus J. Behrendt, Bär) ins Gewerbegebiet zu einer Geschäftsfrau (Lana Cooper), die das Duo aber gleich weiterschickt: Der Tote, ein Rumäne namens Baciu, hat zu Lebzeiten für den unscheinbaren Reifenhändler Grevel (Moritz Grove) gearbeitet und es dank seiner nicht immer legalen Geschäftstüchtigkeit zum Teilhaber gebracht. Rasch ergibt sich ein Bild, in dessen Zentrum Ballauf den Reifenhändler ohne jeden Zweifel als Mörder identifiziert. Baciu hat ihn regelmäßig vor seinen Angestellten tyrannisiert; auf dem Computer des Kompagnons finden sich Fotomontagen mit dem Gesicht von Grevels Frau (Lavinia Wilson), und an seine kleine Tochter hat sich der Rumäne offenbar auch rangemacht. All’ das sind nur Hinweise, nicht mal Indizien, aber Ballauf ist sich seiner Sache sicher, obwohl der Familienvater, von dem es heißt, er sei zu gut für diese Welt, ein Alibi hat: Er war mit seinem 16jährigen Sohn beim Nachtangeln. Trotzdem kommt er in Untersuchungshaft, wo Ballauf ihm und seinem Sohn eine fiese Falle stellt. Als das Alibi platzt und Grevel sich das Leben nimmt, ist der Fall gelöst; aber nicht für Schenk.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Schon die Krimi-Ebene ist interessant, aber richtig reizvoll wird "Mitgehangen", weil die beiden Kommissare radikal unterschiedlicher Meinung sind. Schenk wirft dem Kollegen vor, mit seinen miesen Tricks kalt und rücksichtslos eine Familie zu zerstören. In einer dokumentarisch anmutenden Sequenz schildert der Film die erniedrigende Prozedur, der sich Grevel im Gefängnis unterziehen muss; von dem vor allem aus Sicht seiner Frau entwürdigenden Geschlechtsakt in der für solche Zwecke vorgesehenen Besuchszelle ("Roter Salon") ganz zu schweigen. Aber auch im Revier ist die Stimmung ist feindselig. Dass der neue Mann für die lästige Kleinarbeit, Jütte (Roland Riebeling), ein eher bedächtiger Vertreter seines Fachs ist, macht die Zusammenarbeit des Trios nicht leichter, selbst wenn er sich dank seiner Schlitzohrigkeit immer wieder als äußerst nützlich erweist. Ballauf und Schenk waren schon öfter unterschiedlicher Meinung, aber Ko führt den Konflikt unterschwellig auf eine neue Ebene; für die beiden Stars war es garantiert ein Genuss, ihre nach gut zwanzigjähriger Zusammenarbeit zwangsläufig in einer gewissen Routine erstarrten Charaktere aufzubrechen. Dafür reicht manchmal schon eine scheinbar simple Idee: Ballauf hat das Schwimmen wieder entdeckt, zieht regelmäßig im Schwimmbad einsam seine Bahnen und zieht den Sport sogar der von Schenk vorgeschlagenen Friedens-Currywurst vor. Zur Besonderheit des Films trägt auch die mitunter betont ungefällige Musik von Olaf Didolff mit ihren Jazz-Anklängen bei. Die Bildgestaltung ist ebenfalls vorzüglich; Kay Gauditz war auch an "Kartenhaus" und Wacht am Rhein" beteiligt. Auch für die Schlüsselszene des Films, als Ballauf Grevels Frau die Nachricht von seinem Suizid im Gefängnis überbringt, hat Ko eine interessante Auflösung gefunden: die Kamera bleibt auf Distanz; statt des Dialogs erklingt ein Lied von Leonard Cohen ("It seemed the better way"). Den wichtigsten Satz hat sich Drehbuchautor Rotter ohnehin für den Schluss aufgehoben, als Ballauf dem Kollegen sein seltsames Verhalten erklärt und damit auf den Punkt bringt, worin die größte Belastung des Daseins als Polizist besteht.