Ob es 25 Millionen Menschen waren, 50 oder gar 100 Millionen - wie viele Menschen vor 100 Jahren an der Spanischen Grippe gestorben sind, weiß man nicht genau. Es war die bis dahin schlimmste Grippe-Epidemie der Neuzeit, und sie ging um die ganze Welt. Die meisten Menschen starben in Asien. Ihren Anfang nahm sie wohl zu Beginn des Jahres 1918 in den USA, in Kansas. Im März erreichte sie das US-Militär. Als erster Patient wird der Soldat Albert Gitchell auf dem Army-Stützpunkt Fort Riley bezeichnet, in der Prärie im Herzen von Amerika. Am 11. März meldeten sich auf dem Stützpunkt innerhalb weniger Stunden mehr als hundert Soldaten krank.
Es tobte der Erste Weltkrieg; Kasernen, Kriegsgefangenenlager und Truppentransportschiffe waren ideale Ausbreitungsorte. Soldaten husteten, spuckten und niesten das Virus in alle Welt. Spanische Grippe bedeutete Fieber, Gliederschmerzen, Atemnotbeschwerden und Lungenentzündung. Dazu kam eine Blau- und Schwarzverfärbung der Haut wegen Sauerstoffmangels im Blut. "Es dauert nur einige wenige Stunden, bis der Tod kommt", schrieb der Arzt Roy Grist aus Massachusetts in einem Brief, der in einer neuen US-Fernsehdokumentation veröffentlicht wurde. Die Patienten ringen um Luft, "und es ist ein Kampf, bis sie ersticken. Es ist entsetzlich".
Vor 100 Jahren brach die Spanische Grippe aus
"Die Welt lag im Fieber", wie die britische Wissenschaftsjournalistin Laura Spinney in einem Buch über die Pandemie schrieb. Die Katastrophe kam in drei Wellen: Eine vergleichsweise milde im Frühjahr 1918, denn die aggressive im Herbst, die dritte kam im Winter und endete 1919. In November 1918 endete der Erste Weltkrieg, die demobilisierten Soldaten trugen das Virus mit in die Heimat - und in dem Krieg hatten Soldaten vom ganzen Globus gekämpft.
Im Frühjahr 1918 breitete sich die Influenza auch in Spanien aus, König Alfons XIII. soll ebenfalls betroffen gewesen sein. Die Presse des Landes berichtete - so wurde sie zur "Spanischen Grippe". Zwar galten im Deutschen Reich kriegsbedingt Presserestriktionen, doch es gab auch hier Berichterstattung.
"In der Provinz Pommern tritt die Grippe immer heftiger auf", schrieb die "Vossische Zeitung" (Berlin) am 14. Oktober 1918. In Stettin, Greifswald und Stralsund habe die Zahl der Erkrankungen so stark zu genommen, dass "Störungen bei der Post, im Eisenbahnverkehr und in den Schulen unvermeidlich waren". Mancherorts wusste man nicht, wohin mit den Toten. "Wie uns gedrahtet wird, mussten die Kellerräume des Anatomischen Instituts in Prag erweitert werden, weil sie die an der Seuche Verstorbenen nicht mehr zu fassen vermochten".
Als Nachricht vom "weiteren Rückgang der Grippe" präsentierte das "Berliner Tageblatt" am 1. November diese Meldung: "Bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse Berlin wurden gestern nur noch 940 Grippefälle angemeldet", darunter 18 mit tödlichem Verlauf. Die Schätzungen zur Zahl der Toten in Deutschland liegen bei rund 300.000 bis 400.000.
Die Grippe griff überall um sich
In den letzten Kriegsmonaten waren Militärs auf beiden Seiten besorgt über die Kampftauglichkeit der Soldaten. Die Sanitätsabteilung der US-Marine verschickte im September Anweisungen an die Bevölkerung. Sie empfahl Bettruhe, Wärme, frische Luft. "Sitzen Sie nicht in feuchten Kleidern herum (und) halten Sie Ihre Füße trocken." Als Medikamente wurden kleine Gaben des Minerals Kalomel (Quecksilberchlorid) empfohlen, Seidlitzpulver und Bittersalz sowie Aspirin.
Der deutsche General Erich Ludendorff beklagte in seinen Erinnerungen, Truppen im Westen seien "durch die Grippe geschwächt und die einförmige Nahrung herabgestimmt". Und weiter: "Unsere Armee hatte gelitten. Die Grippe griff überall stark um sich." Eine US-Zeitung berichtete im Juli 1918, der Kaiser des Deutschen Reiches sei an der Grippe erkrankt. Die Medizin war überfordert. Influenzaviren waren damals noch nicht erforscht, Antibiotika zur Behandlung von bakteriellen Lungenentzündungen - die häufig mit der Grippe einhergingen - gab es nicht. In den USA forderte der hilflose protestantische Pastorenverband in der Stadt Rochester angesichts der tödlichen Pandemie zu häuslichen Gebet auf, wie eine Lokalzeitung berichtete, und "nicht zum Amüsement".