Das erneut vorzügliche Drehbuch von Martin Rauhaus dreht sich um die Frage, wie man mit einer völkisch-nationalistischen ausgerichteten Minderheit umgehen soll, deren Lautstärke die gemäßigten Stimmen übertönt. Dafür hat Rauhaus eine ebenso naheliegende wie verblüffende Fallstudie gefunden: Im Hotel Heidelberg nistet sich eine Gruppe von Anwälten ein, die tief im nationalen Gedankengut verwurzelt ist. Annette dämmert das allerdings erst, als die Gruppe lautstark Liedgut zum Besten gibt, zu dessen Rhythmus einst auch SS und SA marschiert sind. Sie will die Horde nicht in ihrem Hotel haben, wird sie aber auch nicht mehr los; unverblümt macht ihr der Wortführer klar, dass seine Kanzlei das Hotel mit einer Flut von Klagen überziehen werde. Verbittert muss sie mit anschauen, wie die Neonazis bleiben, während ein schockiertes altes jüdisches Ehepaar seine Abreise ankündigt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Im Detail ist der Umgang mit dem Thema allerdings nicht rundum geglückt; Regisseur Edzard Onneken, vom dem auch die letzte Episode der Reihe stammt, hätte die Auftritte der Gruppe ruhig subtiler inszenieren können. Florian Panzner zum Beispiel muss den Kanzleichef konsequent unsympathisch darstellen; schon seine Vorstellung ("Kressin – mit SS") lässt keinen Zweifel daran, wes Geistes Kind dieser Mann und die Bewegung ("Der deutsche Weg", übrigens der Titel einer Anti-Nazi-Zeitung) sind, für die er steht. Wie wichtig den Verantwortlichen das Thema war, zeigt sich unter anderem an der sehr authentisch wirkenden Website, die für die Organisation gestaltet worden ist. Durch den Internet-Auftritt wird Annette erst richtig klar, mit wem sie es zu tun hat. Dass sich die Auseinandersetzung schließlich an einem harmlosen Deutschlandwimpel entzündet, den Annettes Mutter (Hannelore Hoger bei einem ihrer wenigen Auftritte) erzürnt in den Mülleimer wirft, wird dem grundsätzlichen Konflikt jedoch nicht recht gerecht. Das gilt auch für die Auflösung, die überhaupt nicht als Muster für den Umgang mit Rechtsextremisten taugt und schon deshalb unbefriedigend bleibt, weil sich das Problem quasi von selber löst.
Wegen der Komplexität dieser Erzählebene hat Rauhaus das Handlungsgeflecht diesmal stark reduziert. Es gibt nur noch einen weiteren Strang, aber der hat es aus Sicht der beiden Hauptfiguren ebenfalls in sich: Ingolf und Annette, beide beruflich eingespannt, haben überhaupt keine Zeit für Ole, zumal Annette durch die Nazigäste unter zusätzlichem Druck steht. Das macht dem Jungen natürlich zu schaffen und könnte außerdem die Adoptionspläne durchkreuzen, denn ein Vertreter des Jugendamts schaut sich Oles neue Lebensumstände genau an. Annette ist zwar überzeugt, der Mann sei Wachs in ihren Händen, weil er schon zu Jugendzeiten für sie geschwärmt hat, aber Klaus Wengler (Arndt Schwering-Sohnrey), Schulspitzname "Quengler", entpuppt sich Pedant, der akribisch Buch führt. Dass Annettes Tante (Kathrin Ackermann als Schreckschraube) ihr großzügiges Zimmer an Ole abtreten muss und dem Beamten das Dasein des Jungen verbittert in düsteren Farben schildert, verbessert die Adoptionsaussichten nicht gerade.
Kein Wunder, dass die Stimmung des anfänglich heiteren Films immer gedämpfter wird; Gags wie jene, als Annette Küchenchefin Daniela (Bettina Stucky) empfiehlt, dem Wunsch der Anwälte nach deutscher Küche mit "Nazi Goreng" zu entsprechen, sind die Ausnahme. Gespielt ist das alles erneut vorzüglich. Darstellerischer Höhepunkt ist ein emotionaler Auftritt Annettes, bei dem sie Wengler ordentlich die Meinung sagt; die Szene geht richtig unter die Haut. Großes Lob gebührt auch dem jungen Nico Ramon Kleemann, der schon in dem Drama "Kästner und der kleine Dienstag" als sympathischer Lockenkopf ganz formidabel war und selbst schwierige Dialoge überzeugend vortrug. In "…Vater sein dagegen sehr" mag die Herausforderung nicht ganz so groß gewesen sein, aber er meistert sie mühelos.