Die junge Pastorin, blaues Piercing, graue Turnschuhe, richtet sich auf. Ihr sonst heiterer Ton wird jetzt ernsthaft und energisch: "Wir haben teilweise immer noch diese alten romantisierten Bilder im Kopf: vom Pastor auf der Vespa, von Pfarrer Braun und den 1950er Jahren. Aber diese Zeiten sind vorbei. Was wir jetzt dagegen brauchen, ist eine realistische, aber auch schonungslose Sicht darauf, wie die Dinge wirklich sind."
Und tatsächlich: Wer mit Pfarrerinnen und Pfarrern und Kirchenleitenden spricht, der versteht schnell, dass die junge Pastorin richtig liegt und wie grundlegend sich die Dinge für die Pfarrschaft geändert haben: Ihre Gemeinden fusionieren, sie bekommen eine weitere Dorfgemeinde aufs Auge gedrückt, noch mehr Formulare und Dokumente, die über den Schreibtisch gehen, und jetzt muss auch noch das Kirchendach saniert werden. Alles scheint mehr zu werden – nur die Gottesdienstbesucher nicht. So oder so ähnlich sieht für viele Pfarrer der Arbeitsalltag aus und das nicht erst seit gestern. "Wenn ich so in meine Kurse schaue, dann stehen zwei von zwölf Pfarrern kurz vorm Burnout," berichtet Birgit Mattausch aus ihrer Arbeit als Referentin im Michaeliskloster. Da hofft man natürlich auf die tatkräftige Unterstützung des jungen theologischen Nachwuchses. Doch der bleibt weitgehend aus. Saskia Morié ist eine der wenigen Pfarranwärterinnen. Warum sie diesen Weg gewählt hat? "Gute Frage," lacht sie, "wenn ich das nur wüsste".
Die Umwälzungen sind umfassend und bleiben deshalb nicht nur aufs Pfarramt beschränkt: Auch das Ehrenamt hat sich grundlegend verändert. "Ehrenamtliche treten heute mit einem ganz anderen Bewusstsein auf: Sie können zwar nachvollziehen, dass es bezahltes und unbezahltes Engagement in der Kirche gibt, aber sie wollen auf Augenhöhe mit den Hauptamtlichen agieren," sagt Perdita Wünsch, die das Ehrenamt in der Landeskirche Hannover koordiniert. Dass das nicht jedem Pfarrer passt, versteht sich von selbst.
Auch der katholische Theologe Michael Böhnke kennt die Spannungen zwischen Haupt- und Ehrenamt: "Ich wehre mich ja gar nicht gegen das besondere Wesen des Priestertums, aber ich wehre mich gegen die Exklusivitätsansprüche, die manche Priester damit verbinden." Theologisch sei ein exklusives Amtsverständnis jedenfalls nicht haltbar. "Das Pfarramt ist ein funktionales Amt," fügt die evangelische Theologin Ulrike Link-Wieczorek an. "Trotz der geforderten akademischen Kompetenz, hat der Pfarrer keine größere Entscheidungsmacht in den evangelischen Gemeinden. Seine Aufgabe ist es vielmehr, die Gläubigen für die 'Priesterschaft aller Gläubigen' zu befähigen." Doch hieße das: Der Pfarrer eher als Ermöglicher denn als Hans-Dampf-in-allen-Gassen? Und Hauptamtliche als Befähiger von Ehrenamtlichen? Also: Ehrenamt als die Hauptsache? Eines ist jedenfalls klar: die Begrifflichkeiten, ihr Verhältnis zueinander und die damit verbundenen Rollenbilder werden wieder neu verhandelt, auch theologisch, in der Praxis sowieso.
Kein Grund zu resignieren
Die schmerzhaften Veränderungsprozesse, die mühevolle Neuorientierung, das alles ist kein Grund zu resignieren, findet Christian Hennecke vom Bischöflichen Generalvikariat in Hildesheim: "Ich kenne so viele tolle Menschen in der kirchlichen Arbeit. Das stimmt mich optimistisch." In der Tat gibt es innovative Beispiele, wo auf lokaler oder regionaler Ebene neue Wege gesucht und andersartige Modelle kirchlicher Rollen getestet werden.
Die Gemeindekuratorin
Da ist zum Beispiel Vera Fröhlich. Seit 20 Jahren arbeitet sie im Kirchenvorstand der Gemeinde St. Martin in Nienstedt-Förste, einem kleinem Dorf am Harz, seit sechs Jahren leitet sie den Kirchenvorstand. "Ich mache schon lange viel für meine Gemeinde" sagt sie. Doch als die Pfarrstelle vakant wurde, übernahm sie noch mehr, dachte, es sei ja nur für kurze Zeit. Als der neue Pfarrer kam, sagte der allerdings nur sinngemäß: Vielen Dank, dass sie's machen, ich hab nämlich genug zu tun. Jetzt wurde Vera Fröhlich unzufrieden: "Es kann doch nicht sein, dass ich so viel mache, und das bloß als Ehrenamtliche." In dieser Zeit fiel ihr der Flyer über eine neue Ausbildung in die Hände. Sie wusste sofort: das will ich machen - fünf Wochenendkurse, ein breiter Einstieg in die Gemeindearbeit, von Gebäudemanagement bis Gottesdienstgestaltung, dann ist man Gemeindekuratorin. Die Kuratoren sollen sich kümmern, so die wörtliche Übersetzung vom Lateinischen "curare", und der Gemeinde ein Gesicht geben - alles das hatte die Kuratorin Fröhlich bis dahin ja sowieso schon gemacht, aber "jetzt hat der Wahnsinn einen Namen", sagt sie. Und das hilft irgendwie.
Dirk Brall trägt eine modische Brille und einen trendigen Bart. Er ist der erste Kulturwissenschaftler, der eine Kirche komplett selbst verantwortet. Und das kam so: Die St. Jakobi Kirche in Hildesheim war zuletzt als Citykirche genutzt worden und stand dann zwei Jahre leer. Man fragte sich: Soll man die Kirche umnutzen, vielleicht verkaufen? Doch dann schaute man sich den Ort nochmal genauer an: Ein traditioneller Pilgerort, ein fluides Publikum direkt an der Fußgängerzone, in einer Stadt, in der neue deutsche Gegenwartsliteratur gelehrt wird. Die Idee entstand, St. Jakobi zum Begegnungsort von Kultur und Kirche zu machen, sie als Kulturkirche zu nutzen, Schwerpunkt: Literatur. Als Projektleiter wählte man nicht etwa einen Pfarrer, wie oft üblich, sondern Dirk Brall. "Was ich mitbringe, ist der Blick von Außen", erklärt er seine kirchliche Rolle. "Ich kann deshalb einen Vermittlerstatus zwischen Gesellschaft und Kirche einnehmen: Ich lade nicht aus der Mitte der Kirche die Menschen ein, sondern nehme sie von außen, da wo die Menschen sind, in die Kirche mit hinein."
Berufe von Sendung und Berufung her neu denken
Ob kirchlicher Kulturwissenschaftler oder Kirchenkuratorin - beide neu entstandenen Rollen sind ermutigende Beispiele. Nicht etwa, weil sie die ganz großen innovativen Würfe sind, nicht die bahnbrechend neuen Rollenbilder, sondern weil sie einen neuen Ansatz verkörpern: Es wird nicht so sehr von den klassisch kirchlichen Berufsgruppen her gedacht, von Diakonen, Gemeindepädagogen oder Pfarrern etwa. Vielmehr wird gefragt: Was wollen wir als Kirche tun, welche Aufgaben und welchen Auftrag wollen wir erfüllen? Dann werden die passenden Menschen gesucht, gefunden und geschult. Anders gesagt: Hier werden kirchliche Rollen von der biblischen Sendung und der persönlichen Berufung einzelner her neu gedacht.