Sie wirkt weder wie eine Ärztin noch wie eine Krankenschwester. Auch scheint sie nicht zum übrigen Krankenhauspersonal zu gehören, etwa in der Verwaltung. Lediglich ein Ausweis an der Kleidung informiert über ihre besondere Rolle. Meistens trägt sie noch ein kleines angestecktes Kreuz. Das aber wirkt eher unauffällig. Wenn sie Dienst tut, kommt die 47-jährige morgens in die Bonner Universitätsklinik und verlässt diese am Nachmittag oder Abend wieder. Über ihr Metier sagt Annette Schmitz-Dowidat: "Ohne meinen Glauben könnte ich diesen Beruf nicht ausüben." Ihre persönliche religiöse Bindung sei das Fundament für alles. Im gleichen Atemzug spricht sie von der Auferstehungshoffnung, "die mich das aushalten lässt". Wenn sie nicht von der Vorstellung eines wie auch immer gearteten Weiterhin nach dem Tod überzeugt sei, bekennt Schmitz-Dowidat, gäbe es in ihrem Beruf die Konfrontation mit belastenden eigenen Überlegungen und Ängsten rund um den Tod.
Seit zwei Jahren ist die in Bad Godesberg lebende Pfarrerin Schmitz-Dowidat in der evangelischen Krankenhausseelsorge der Bonner Uniklinik tätig. Die Einrichtung auf dem Venusberg hoch über der Bundesstadt ist mit 32 Kliniken, 25 Instituten und rund 8.000 Beschäftigten praktisch eine Gemeinde für sich. Jährlich werden 350.000 Patienten ambulant, 50.000 stationär und 30.000 als Notfälle behandelt. Die studierte Religionswissenschaftlerin und Juristin, promoviert in Theologie, ist eine von fünf Pfarrerinnen und Pfarrern in der evangelischen Klinikseelsorge. Fünf Hauptamtliche sind es auch im katholischen Pendant. Schmitz-Dowidat ist der Abteilung Kardiologie/Epileptologie/Augenklinik zugeordnet. Bisweilen ist sie auch in der Station für Palliativmedizin gefragt, die Menschen auf dem Weg des Sterbens unterstützt.
"Wir bieten Ihnen an", heißt es auf der Homepage der Klinik zum Credo der Krankenhausseelsorge, "Ihnen bei Entscheidungsprozessen und Krisensituationen begleitend zur Seite zu stehen, gemeinsam im Glauben Kraftquellen zu entdecken, mit Ihnen Krankenkommunion, Krankensalbung, Beichte oder Abendmahl am Krankenbett zu feiern." Für sie, beschreibt Schmitz-Dowidat ihr Selbstverständnis, stehe nicht vorrangig oder gar ausschließlich eine religiös bestimmte Sicht im Vordergrund: "Ich komme ja nicht, um zu missionieren." Ihr sei es oft auch lieber, die Diagnose von Patienten gar nicht genau zu wissen, um die sie sich gerade kümmere. "Ich möchte unbefangen sein." Seelsorge sei für sie zunächst und entscheidend "Präsenz, menschliche Anteilnahme". Und dabei sei es zweitrangig, ob diese Präsenz sich aus theologischem oder humanem Antrieb speise. Die Nähe zu Menschen bei ihrer Tätigkeit spiele sich ohnehin in einem säkularen Umfeld ab: "Oft weiß ich nicht, wenn ich gerufen werde oder ungefragt an Zimmertüren klopfe, ob ich es mit einem evangelischen, katholischen oder atheistischen Patienten zu tun habe." Auch gegenüber Muslimen erkläre sie ihre Gesprächsbereitschaft, sofern dies gewünscht werde.
Den Begriff Seelsorge nimmt die Pfarrerin, wie sie im Gespräch erläutert, ganz wörtlich. Die Mediziner sähen sich für die Physis zuständig. Außerdem seien Psychologen und Sozialdienste für Patienten tätig. Viele Menschen in Lebens- oder Existenzkrisen auf Grund schwerer oder unheilbarer Erkrankungen entwickelten religiöse Bedürfnisse. Dafür gebe es mit der Klinikseelsorge eine Instanz und Anlaufstelle. Ob sie, die Pfarrerin, in den Patientengesprächen es von Anfang an darauf anlege, religiöse Themen in den Fokus zu rücken? "Nein", entgegnet Schmitz-Dowidat, "ich gebe nichts vor, lasse Raum." Machmal äußerten Patienten religiöse Bezüge sehr direkt. Dann werde die Pfarrerin beispielsweise gebeten, einen Segen zu sprechen. Manchmal gehe die Nähe zur Religion in Andeutungen aus der Biographie hervor. Schmitz-Dowidat berichtet von einer spezifischen Erfahrung, die sie mit Frauen erlebt, die ihre Krankheit noch nicht angenommen haben: "Viele dieser Frauen zeigen eine fast demütige Grundhaltung, wenn das Gespräch religiöse Themen berührt." Für diese Patientinnen komme mit der Klinikseelsorgerin ‚jemand von der Kirche‘. "Ich höre dann regelmäßig dieses Bedauern, lange nicht mehr in der Kirche gewesen zu sein", erläutert Schmitz-Dowidat. Letztlich seien aber auch diese Patientinnen mit der erlebten Zuwendung einverstanden.
"Sie machen mich auch nicht mehr zu einem religiösen Menschen"
Wer sich vorstellt, Klinikseelsorge gleiche dem ständigen Schultern einer zentnerschweren Last, verkennt laut Schmitz-Dowidat die Situation. Unmittelbare, vielleicht quälende Fragen nach dem Jenseits, dem Paradies, den möglichen Konsequenzen eines Suizids, ob dann die Hölle drohen könne – all dies kommt nach der Berufserfahrung der Pfarrerin selten auf das Tapet. "Eher ist es so, dass Patienten das Gespräch nur vage auf Gott oder höhere Mächte, wie sie es nennen, lenken. Es ist ihnen wichtig, reinen Tisch machen, über Versäumnisse oder Lebenslügen zu sprechen, sich ihrer Identität zu vergewissern." Dabei, weiß Schmitz-Dowidat, kann selbst Humor im Spiel sein. Vor einiger Zeit habe sie ein Patient auf der Palliativstation mit einem freudigen Lächeln begrüßt und Augen zwinkernd hinzugefügt: "Sie machen mich auch nicht mehr zu einem religiösen Menschen."
Belastung? Dauerstress? Überforderung? Diese Stichworte aus dem Negativkatalog von Berufsforschern stehen für die Pfarrerin nicht im Vordergrund. Was ganz persönlich überwiege, so ihr Fazit, sei Bestätigung. "Wenn eine Begleitung in ein gemeinsames christliches Gebet mit Patienten einmündet, wenn der Wunsch aufkommt, gesegnet zu werden, dann erlebe ich, dass solche Patienten mir etwas zurückgeben. Dann erlebe ich auch Freude." So ist es nicht verwunderlich, dass Schmitz-Dowidat sich nicht vorstellen kann, nur ein paar Jahre in diesem Beruf zu bleiben. "Wenn man mit sich achtsam umgeht, stellt sich die Frage so nicht."
Die Bemerkung von der Achtsamkeit in eigener Sache fällt im Übrigen nicht zufällig. Die Pfarrerin hat in den letzten Jahren ihre höchst eigene Haltung zum Themenkreis von Verlangsamung und Entschleunigung entwickelt. Vom Wunsch, "wenigstens kurzzeitig aus dem Hamsterrad auszusteigen". Ihre Idee von einer menschlichen Figur, die in den Winterschlaf fällt und sich so auf Zeit entzieht, ist inzwischen konkret nachzulesen. "Herr Jakob träumt" (Norderstedt 2017) ist der Titel ihres ersten Romans, der die kleinen Alltagsfluchten eines von ihr ersonnenen Bibliothekars und Berufspendlers schildert. Die erfahrene Autorin, engagiert auch bei "Kirche im WDR" auf der Radiowelle Eins live, schickt ihren "Herrn Jakob" mit Vergnügen und Lust am Erzählen auf den Weg der Verlangsamung. Jenen Pfad, dem auch therapeutische Wirkungen zugeschrieben werden. Auch sie selbst, glaubt Schmitz-Dowidat, brauche die Lektion ab und zu. Allerdings gebe es in ihrem Tätigkeitsfeld einen großen Vorteil. "Mich hetzt keiner, wenn ich lange da bleibe", schmunzelt sie, "das ist das große Privileg in meinem Beruf."