Wann und wie haben Sie angefangen, sich für den Klimaschutz zu engagieren?
Roda Verheyen: Umweltschutz war für mich schon in der Schulzeit wichtig. Mein erstes Projekt habe ich in der Schülervertretung organisiert, da ging es um den Austausch der Milchtüten gegen Milchflaschen. Dann bin ich relativ schnell zur Jugendpresse gekommen und habe mich da fast ausschließlich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt. Und während des Studiums kam dann das ehrenamtliche Engagement beim BUND hinzu.
Was ist für Sie Klimagerechtigkeit?
Verheyen: Aus meiner Sicht wäre es gerecht, wenn wir sofort aufhören würden, Treibhausgase zu emittieren. Da das nicht möglich ist, würde ich es für gerecht halten, wenn wir, also die Industrieländer, alles tun, um so schnell wie möglich so stark wie möglich unseren Treibhausgas-Ausstoß zu reduzieren. Aber das tun wir momentan definitiv nicht. Für mich ist einfach der Punkt der, dass wir nicht mit der Erde so umgehen dürfen, dass unsere Kinder und Enkelkinder darauf nicht mehr leben können. Das ist für mich ein nicht hinnehmbarer Status und da versuche ich, meinen kleinen Teil dazu zu tun, dass es nicht so kommt, wie man momentan befürchten muss.
Sie werden für Ihr Engagement teilweise bezahlt, aber was Sie tun, geht über das Erwartbare hinaus – wieso zeigen Sie den Klimaverlieren gegenüber so viel Mitgefühl?
Verheyen: Ich zeige mein Mitgefühl, weil es einfach ungerecht ist. Es ist zum Beispiel so grundlegend ungerecht, dass 60.000 Menschen in der peruanischen Stadt Huaraz von einer Gletscherflut getroffen und möglicherweise getötet werden, nur weil wir hier und in den USA und in Großbritannien Kohlestrom benutzen. Das ist inakzeptabel und falsch. Und nicht nur für die Erde , sondern eben auch für diese Menschen falsch. Wir machen einfach weiter, obwohl Leute schon am Boden liegen. Und wir helfen ihnen nicht. Wenn ich in irgendeiner Weise zu beitragen kann, dass sich diese Gerechtigkeitsschere vielleicht schließt, werde ich das versuchen.
Im Augenblick vertritt Roda Verheyen den peruanischen Bauern Saúl Luciano Lliuya in einem Prozess in der zweiten Instanz vor dem Oberlandesgericht Hamm gegen die RWE AG. Der Staudamm oberhalb von Lliuyas Heimat Huaraz ist marode und droht aufgrund des immer mehr werdenden Schmelzwassers der Anden-Gletscher zu brechen. Von Deutschlands zweitgrößtem Stromversorger und einem der größten CO?-Emittenten der Welt fordert Lliuya 20.000 Euro – einen Anteil an den Kosten zur Reparatur des Staudamms oder zum Abpumpen des Wassers. Im November 2017 entschieden die Richter, dass sie die Klage zulassen und ein Anspruch juristisch begründet ist, wenn nun auch noch die wissenschaftlichen Beweise im Einzelfall überzeugen. Im März 2018 soll die Beweisaufnahme beginnen.
Welche Auswirkungen hat die bisherige Entscheidung des Gerichts, die Klage zuzulassen?
Verheyen: Das Gericht hat nach der mündlichen Verhandlung in zwei Beschlüssen sehr deutlich gemacht, dass eine individuelle Haftung eines Verursachers wie RWE rechtlich möglich ist. Das ist die Bedeutung dieser Zwischenentscheidung. Und damit könnte eigentliche jeder, der durch Klimarisiken massiv gefährdet ist, auf eine ähnliche Norm zugreifen und einen Anspruch geltend machen nach dem Motto: "Wenn das in Deutschland juristisch geht, dann geht das auch bei uns." Nun sind nicht alle Gerichtsbarkeiten in der Welt genauso ausgeformt wie unsere und auch hier ist es ja nicht unumstritten gewesen, ob das denn geht oder nicht. Aber sie können es versuchen - und es gibt mehr als 50 Rechtsräume in der Welt, wo es ähnliche Normen gibt.
RWE hat während des Prozesses nicht etwa gesagt, dass der Klimawandel nicht existiere
Welche Konsequenzen hätte es, wenn die RWE AG rechtskräftig verurteilt werden würde?
Verheyen: Die Folgen dieses Urteils sind schwer abzuschätzen. Ich bin der Auffassung, dass dann alle Energieunternehmen, die viel CO2 ausgestoßen haben, im Hinblick auf ihre Rückstellungspolitik und in Bezug auf ihre Bilanzen ganz erheblichen Gesprächsbedarf mit ihren Prüfern haben werden. Denn das sind ja Verantwortlichkeiten aufgrund historischen Verhaltens, die jetzt real sind. Auch ohne abschließendes Urteil. Außerdem kann ich mir vorstellen, dass sich bereits jetzt Unternehmen an die Politik wenden und entweder sagen: "Erlasst ein Gesetz, dass alle in die Pflicht nimmt, damit nicht nur einzelne herausgepickt werden" oder aber "Erlasst ein Gesetz, damit dieses Problem völkerrechtlich gelöst wird". Denn RWE hat während des Prozesses nicht etwa gesagt, dass der Klimawandel nicht existiere. Sie haben auch nicht gesagt, dass es nicht erhebliche Schäden geben wird. Sondern was gesagt wird, ist: "Wir sind nicht verantwortlich, das muss die Politik regeln." Und wenn das wirklich so ist, dann kann ich mir vorstellen, dass wir uns tatsächlich mal ernsthaft darüber unterhalten, wie man das tut. Es gibt ja Mechanismen, wie man so etwas regeln kann.
Schon in ihrer Dissertation argumentiert Roda Verheyen, dass juristische Schritte gegen die Treibhausgas-Emittenten möglich sind. Dort hat sie argumentiert, dass kleine Inselstaaten große Verursacher wie die USA oder Australien international verantwortlich machen können, wenn ihre Staaten Opfer des Meeresspiegelanstiegs werden. Dafür steht ihnen, so Verheyen, Schadenersatz zu. Eine These, für die Verheyen nicht nur Lob geerntet hat.
Wurden Sie für Ihr Engagement angefeindet oder angegriffen?
Verheyen: Nein, nicht physisch oder in irgendeiner Weise gefährlich. Wenn man in Deutschland Anwältin ist, lebt man wirklich auf einer Insel der Glückseligkeit. Weltweit gibt es aber Menschen, die sich für die Umwelt und für Menschenrechte mit ihrem Leib und Leben einsetzen. Die müssen wirklich davon ausgehen, dass sie aufgrund eines Falles, den sie vor Gericht vertreten, bedroht oder umgebracht werden. Das ist bei mir nicht der Fall, deshalb finde ich meinen Einsatz auch eigentlich nicht so erwähnenswert. Angegriffen worden bin ich für meine Ansichten nur verbal, politisch und natürlich auch wissenschaftlich. Es gab von Anfang an Menschen in der Wissenschaft, die meine Doktorarbeit als "irreal" oder "irrelevant" bezeichnet haben. Aber auch damit muss man natürlich umgehen können. Zuerst werden solche Thesen als irrelevant angesehen, dann als innovativ und letztlich - hoffentlich - als selbstverständlich.
Sie engagieren sich seit Jahren für die juristische Klimagerechtigkeit – hat man sie da schon immer als visionäre Vorreiterin oder doch als Spinnerin gesehen?
Verheyen: Viele Leute haben mir gesagt, dass ich spinne. Aber inzwischen hat sich die Zeit weitergedreht. Ich glaube, heute bezeichnen mich viel weniger Leute als verrückt. Letztlich vertrete ich in diesem Fall ja auch einen realen Menschen mit einem realen Problem. Außerdem muss es einem auch nichts ausmachen, wenn man ab und an mal als Spinner bezeichnet wird.
Ich halte oft inne und danke Gott dafür, dass ich das machen darf
Woher nehmen Sie die Energie und Begeisterung für Ihr Engagement?
Verheyen: Ich kann mich so glücklich schätzen, dass ich eine Arbeit habe, die ich inhaltlich richtig und gut finde. Ich darf meine Energie auf Sachen richten, die ich für wichtig halte. Ich halte oft inne, zum Beispiel wenn ich Fahrrad fahre, und danke Gott dafür, dass ich das machen darf.
Roda Verheyen ist auch Gründerin des "Climate Justice Programme". Das ist eine Anlaufstelle für Juristen aus aller Welt, die Klima-Prozesse führen wollen: dort können sie sich informieren und über neue justiziable Erkenntnisse austauschen, sie bekommen Hilfe bei der Suche nach Gutachtern und es werden Spenden gesammelt, die diese Klagen finanzieren. Es gibt dort jetzt sogar einen eigenen Fonds für Klimaklagen.
Warum haben Sie das "Climate Justice Programme" gegründet?
Verheyen: Ich war 2001 bei der internationalen Klimakampagne bei der Umweltorganisation "Friends of the Earth". Ich habe damals viel im Kontext der Klimadiplomatie gearbeitet und ein starkes Frustrationsgefühl gehabt, weil einfach alles zu lange dauert. Das hat mich dann dazu geführt, zu überlegen, ob man nicht mit dem bestehenden Recht schon in irgendeiner Form auch Ansprüche bzw. Klimaschutz durchsetzen kann. Denn schon zu dem Zeitpunkt war klar, dass der Klimawandel letzten Endes ein Menschenrechtsproblem ist, weil die Umsetzung von menschenwürdigem Leben in ganz vielen Bereichen nicht mehr möglich sein wird. Und so habe ich dann zusammen mit meinem immer noch besten Freund Peter Roderick aus London das "Climate Justice Programme" gegründet.
Warum wird der Klimawandel in Deutschland oft nicht als riesengroßes Problem wahrgenommen, das uns alle betrifft?
Verheyen: In Deutschland ist es so, dass voraussichtlich alle Änderungen, die sich durch den Klimawandel ergeben, letztlich anpassungsfähig sind. Es gibt hier keine Entscheidung auf Leben oder Tod. Ich glaube, was Menschen in Deutschland dazu bringen würde, über den Klimawandel real nachzudenken, wären Flüchtlingswellen aufgrund von Klimakatastrophen. Und die werden kommen. Alle Wissenschaftler sind sich da einig. Schon beim Syrienkrieg war die größte Dürre im Land seit 700 Jahren ein Risikoverstärker. Die Frage ist: wann werden wir viel mehr davon sehen und wie man dann damit umgeht.
Die USA haben angekündigt, aus dem Paris-Abkommen auszusteigen und auf Klimagipfeln gibt es oft nicht mehr als Lippenbekenntnisse – wie schaffen Sie es, nicht frustriert die Flinte ins Korn zu werden?
Verheyen: Jeder ist mal frustriert. Und das bin ich auch. Aber zum Aufgeben ist die Sache zu wichtig. Ich stelle mir das immer so vor: Meine Großmutter ist 101 geworden und ich habe sie immer wieder gefragt, wie sie eigentlich damit umgegangen ist, dass diese ganzen schrecklichen politischen Veränderungen in Deutschland vor ihrer Nase passiert sind und warum sie nichts gemacht hat. Und da hat sie mir immer gesagt: "Wir haben einfach unser Leben weitergelebt – das mussten wir ja." Das heißt nicht, dass sie ein schlechter Mensch war, überhaupt nicht. Aber wenn ich kann, möchte ich mehr als nur sagen "Ich habe einfach mein Leben weitergelebt", wenn meine Enkel mich irgendwann nach dem Klimawandel fragen.