In Deutschland leiden Schätzungen zufolge rund drei Millionen Kinder unter der Alkoholsucht ihrer Eltern. Damit wachse bundesweit etwa jedes sechste Kind in einem Elternhaus mit Alkoholstörung auf, sagte der Leiter des Deutschen Instituts für Sucht- und Präventionsforschung an der katholischen Fachhochschule in Köln, Michael Klein, am Montag in Berlin. Insgesamt seien 3,5 Millionen Bundesbürger von einer krankhaften Alkoholsucht betroffen. Die Betroffenen weisen demnach ein wiederholtes und häufiges Verlangen nach Alkohol auf, leiden unter Kontrollverlust, mitunter verlieren sie durch die Krankheit ihren Arbeitsplatz.
Auf das Schicksal der betroffenen Kinder will die am Montag gestartete bundesweite "Aktionswoche für Kinder aus Suchtfamilien" aufmerksam machen. Mit rund 120 Veranstaltungen und Aktionen soll noch bis Samstag in 69 deutschen Städten auf die Belastung von Kindern und Jugendlichen hingewiesen werden, die in suchtbelasteten Elternhäusern aufwachsen, wie der Verein Nacoa als Initiator der Aktionswoche am Montag in Berlin mitteilte. Gefordert wird zudem ein bundesweit flächendeckendes, regelfinanziertes Hilfesystem für die Betroffenen. Bund, Länder und Kommunen müssten mehr Verantwortung übernehmen für die bislang "vergessenen Kinder" von alkoholsüchtigen Eltern.
Nur wenige Kinder bekommen Hilfe
Das Aufwachsen mit suchtkranken Eltern bedeute eine schwere Gesundheitsbelastung, betonte Klein. Kinder suchtkranker Eltern seien die größte Risikogruppe zur Entwicklung von Suchtstörungen bei Alkohol, Drogen oder Verhaltenssüchten wie Glücksspiel- oder Internetsucht. Zudem hätten sie ein höheres Risiko für Schul- und Bildungsversagen, sagte Klein. Sie zeigten Verhaltensauffälligkeiten und würden stärker unter Einsamkeit und Selbstwertproblemen leiden.
Henning Mielke von Nacoa Deutschland - Interessenvertretung für Kinder aus Suchtfamilien e.V. betonte, dass in Deutschland auf rund 15.000 betroffene Kinder nur ein spezialisiertes Hilfeangebot komme. "Dieses Hilfenetz hat sehr weite Maschen", sagte Mielke. Nur die wenigsten betroffenen Kinder würden darin aufgefangen und bekämen die Unterstützung, "die sie brauchen, um sich trotz der widrigen Umstände in ihren Familien gesund zu entwickeln".
Wichtig sei, dass betroffene Kinder, deren Eltern noch nicht den Weg in das Hilfesystem gefunden haben, vor allen in der Kita und in den Schulen erkannt und unterstützt werden. Zudem müsse das Thema Ausbildungsinhalt in allen pädagogischen und sozialen Berufen werden, sagte Hennig.
Der Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsforscher Klaus Hurrelmann von der Hertie School of Governance Berlin lobte, dass die Verbesserung der Situation von Kindern psychisch kranker Eltern, wozu nach Auffassung vieler Gesundheitsexperten auch Kinder suchtkranker Eltern zählen, erstmals im Koalitionsvertrag verankert wurde. In dem vergangene Woche von Union und SPD verabschiedeten Koalitionsvertrag heißt es im Wortlaut: "Wir wollen die Situation von Kindern psychisch kranker Eltern verbessern. Die Schnittstellenprobleme bei ihrer Unterstützung werden wir mit dem Ziel einer besseren Kooperation und Koordination der unterschiedlichen Hilfesysteme beseitigen."
Bislang könnten Jugendhilfe, Suchthilfe, Gesundheitswesen, Schule und Kita für viele betroffene Kinder oft kein passendes Hilfsangebot machen, weil unterschiedliche rechtliche Grundlagen und finanzielle Vorgaben dem im Wege stünden. "Wenn es der neuen Koalition gelingt, Alternativen aufzubauen und Vernetzungen der Hilfeeinrichtungen zu ermöglichen, wäre das ein Meilenstein", sagte Hurrelmann.