Friedrich Ani hat bislang nicht viel Glück mit den Adaptionen seiner Werke gehabt. Die ZDF-Verfilmungen der Tabor-Süden-Romane mit Ulrich Noethen zum Beispiel waren ausgesprochen sehenswert. Angesichts der stattlichen Anzahl von zwanzig Büchern hätte daraus eine langlebige Reihe werden können, aber nach zwei Episoden war bereits wieder Schluss, ebenso wie bei den Polonius-Fischer-Filmen mit Hanns Zischler (2008/2010). Auch Franck wäre eine reizvolle Reihenfigur, zumal Thomas Thieme dem empathischen Ermittler das nötige darstellerische Format gibt. Der größte Star des Projekts stand allerdings nicht vor, sondern hinter der Kamera: "Der namenlose Tag" ist eine der ganz seltenen Fernsehproduktionen von "Oscar"-Preisträger Volker Schlöndorff, einem der wenigen deutschen Regisseur von internationalem Renommee. Er hat auch das Drehbuch geschrieben und einige Veränderungen gegenüber der Vorlage vorgenommen. Wichtiger als die Verlegung des Handlungsorts von München nach Erfurt war die Verkürzung des Zeitraums zwischen dem vermeintlichen Suizid des Mädchens und Francks Nachforschungen: Im Buch sind es zwanzig, im Film nur zwei Jahre. Für die von Ani als "Gedankenfühligkeit" beschriebene spezielle Fähigkeit des Kommissars, sich in seine Fälle hineinzuversetzen, hat Schlöndorff eine einfache, aber optisch effektive Variante gefunden: Franck liegt im Bett und sieht die Puzzleteile wie ein Film an der Decke. Die Melancholie der Hauptfigur äußert sich vor allem in den inneren Monologen, wenn der Polizist davon berichtet, dass ihm die Toten keine Ruhe lassen. Anis Düsternis hingegen prägt auch die Bilder, was die in helles Licht und freundliche Farben getauchten Rückblenden umso markanter hervorstechen lässt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Schon die ästhetische Konzeption macht also deutlich, dass "Der namenlose Tag" kein Film zum Wohlfühlen ist, und auch die anspruchsvolle und gern mal disharmonische akustische Untermalung mit Stücken von Hans-Werner Henze und Max Richter widerspricht der üblichen ZDF-Krimimusik. Die Geschichte fällt gleichfalls aus dem Rahmen des Montagsfilms im "Zweiten". Es gibt einige Arbeiten Schlöndorffs, die im weitesten Sinne kriminalistische Elemente enthalten, doch einen veritablen Krimi hat er bislang noch nicht gedreht, und daran hat sein erstes ZDF-Projekt genau genommen nichts geändert. Franck geht zwar wie ein Polizist vor, doch seine Gespräche mit dem Vater, Ludwig Winther (Devid Striesow), dessen Schwägerin (Ursina Lardi) sowie den jungen Männern und Frauen aus der Clique des Mädchens sind gewissermaßen Ermittlungen in der Seele. Während der Pensionär bei allen anderen Personen die nötige Distanz wahrt, gehen ihm die Gespräche mit der Schwägerin nahe: Er hatte die Mutter des Mädchens, die sich ein Jahr später ebenfalls das Leben genommen hat, stundenlang im Arm gehalten. Eine der besten Adaptionsideen Schlöndorffs war die Idee, aus den beiden Frauen Zwillinge zu machen. Im Zuge der Recherche stößt Franck auf verschiedene Gerüchte. Sie manifestieren sich zu Verdachtsmomenten, die nicht in den Polizeiakten stehen: Angeblich hatte das Mädchen ein Verhältnis mit einem Zahnarzt (Jan Messutat) aus der Nachbarschaft, und ebenso angeblich ist es von seinem Vater missbraucht worden; das würde erklären, warum auch Winthers Frau aus dem Leben geschieden ist. Die wahren Todesumstände des vermeintlichen Suizids sind indes von einer schockierenden Banalität.