Für Spannungen sorgt nun die von subtiler Feindseligkeit geprägte Beziehung zwischen Kommissarin Nina Petersen und ihrer neuen Vorgesetzten, Caroline Seibert (Therese Hämer): Die beiden Frauen mögen sich einfach nicht. Das erweist sich diesmal als besonders heikel, als nach der Ermordung einer Studentin ausgerechnet der neue Freund der Chefin in Petersens Visier gerät: Professor Oliver Lauder (Johann von Bülow) hatte eine kurze Beziehung mit dem Opfer, aber auch mit vielen anderen jungen Frauen. Die doppelt so alte Seibert passt zwar nicht ins Beuteschema, aber als Konfliktpotenzial ist die Konstellation natürlich äußerst reizvoll, denn selbstredend ist ihr zunächst gar nicht recht, dass der Geliebte von Petersen als Mordverdächtiger betrachtet wird. Endgültig interessant wird die Geschichte, als sich rausstellt, was es mit dem titelgebenden "Phantom" auf sich hat: Der Freund (Rick Okon) der Studentin berichtet, sie habe sich verfolgt gefühlt. Es gab zwar keine konkreten Hinweise auf einen Stalker, aber offenbar hat sich ein Fremder wie ein Gespenst in ihr Leben eingemischt. Unabhängig voneinander sagen auch andere Freundinnen Lauders aus, sie hätten das Gefühl, beobachtet zu werden. Alle berichten von Träumen, in denen helle Lichter aufblitzten; am nächsten Morgen seien sie wie gerädert erwacht. Als bei dem Professor ein Stick mit Aufnahmen des schlafenden Mordopfers in Unterwäsche gefunden und auf dem Sport-BH einer jungen Polizistin (Picco von Groote), die sich Petersen anvertraut, seine Hautpartikel entdeckt werden, scheint der Fall klar. Zur Überraschung der Kommissarin verhält sich ihre Vorgesetzte völlig korrekt und gibt grünes Licht für die Ermittlungen gegen ihren Freund; aber für Petersen wirkt die Indizienlage viel zu perfekt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das Drehbuch stammt von Martin Eigler, der als Autor und/oder Regisseur bislang an fast allen "Stralsund"-Episoden beteiligt war, Regie führte Michael Schneider, der neben Dutzenden Serienfolgen ("Kommissar Stolberg", "Die Chefin") zuletzt den ästhetisch eleganten, emotional allerdings etwas distanzierten Krimi "Laim und die Zeichen des Todes" inszeniert hat. Auch "Das Phantom" zeichnet sich durch eine sorgfältige Bildgestaltung aus. Die Kameraarbeit besorgte Andreas Zickgraf, mit dem Schneider schon gut und gern fünfzig Filme und Serienepisoden gedreht hat; gewissermaßen ein Markenzeichen von "Das Phantom" sind die vielen Kameraflüge, die aber keinem Selbstzweck dienen, sondern zur Stimmung passen. Nicht nur deshalb ist diese jüngste Zusammenarbeit der beiden sehenswert; die Geschichte ist interessant, die Umsetzung spannend, die Schauspieler bis in die kleinsten Nebenrollen überzeugend. In einer Einstellung verblüfft Wackernagel, die die Kommissarin sehr kontrolliert verkörpert, indem sie Petersens ganze Verachtung für den von Johann von Bülow gar nicht mal unsympathisch verkörperten promiskuitiven Professor mit einer kleinen Kopfbewegung zum Ausdruck bringt.
Trotzdem bleibt die zwölfte Folge hinter den früheren "Stralsund"-Filmen zurück. Das liegt unter anderem an der überschaubaren Spannung, die sich erst zum clever eingefädelten Finale entlädt, als sich der Stalker eines weiteren Opfers entledigen will, und an der einen oder anderen kleinen dialogischen Schwäche, wenn sich beispielsweise Petersen und ihr Kollege Hidde (Alexander Held) gegenseitig über die Besonderheiten von Wasserleichen aufklären; ein typischer Informationsdialog, der eigentlich dem Publikum gilt. "Das Phantom" ist dennoch ein guter Krimi; aber eben auch einer wie viele andere. Dass die Handlung nicht im Rahmen von ZDF-Reihen wie "Ein starkes Team", "München Mord", "Marie Brand" oder einem "Tatort" erzählt werden könnte, hat nur einen einzigen Grund: Es gibt zwar Kommissarinnen zuhauf, aber die Abteilungsleiter sind immer Männer.