Brummund, der das Drehbuch gemeinsam mit Nicole Armbruster geschrieben hat, siedelt die Handlung in den späten Sechzigerjahren an, was die skandalösen Missstände erst recht in grellem Licht erscheinen lässt: Während sich die Republik anschickt, den Muff der tausend Jahre zwischen 1933 und 1945 endlich hinter sich zu lassen, herrschen in Freistatt Bedingungen wie in einem Arbeitslager. Der Film beginnt mit viel Zeitgefühl und Aufbruchstimmung; das ändert sich abrupt, als Wolfgang nach Freistatt kommt, weil sein gewalttätiger Stiefvater (Uwe Bohm) eifersüchtig die innige Beziehung zwischen dem 14-Jährigen und seiner Mutter beenden will. Allerdings kommt der Junge vom Regen in die Traufe: Sehr schnell wird klar, warum die Zöglinge das Heim als Vorhof zur Hölle bezeichnen. Erbarmungslos machen sich die Aufseher den Gruppendruck zunutze; Wolfgangs Fluchtversuche haben Abendbrotverbot für alle zufolge, wofür sich die Gruppe kollektiv an ihm rächt. Aber weil er sich auch von mittelalterlichen Bestrafungsmethoden nicht brechen lässt, gewinnt er schließlich doch den Respekt der Leidensgenossen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Geschichte ist naturgemäß freudlos, aber der Film ist hervorragend. Neben der ausgezeichneten Bildgestaltung durch Judith Kaufmann und der vortrefflichen Musik von Anne Nikitin beeindruckt "Freistatt" vor allem durch die Führung der Darsteller. Bei den namhaften Schauspielern ist das nicht weiter überraschend, zumal sie vorzüglich zu ihren Rollen passen: Alexander Held als schöngeistiger Leiter der Einrichtung, der auch anders kann, Stephan Grossmann als Sadist, der seine Wut hemmungslos an den Jungs auslässt, und Max Riemelt als sanfter Erzieher, der hier völlig fehl am Platz wirkt. Ganz großartig aber sind die Leistungen der Jugendlichen, aus denen Louis Hofmann in der Hauptrolle herausragt; der mittlerweile 20 Jahre alte junge Mann hat sein enormes Talent schon als Tom Sawyer in den Jugendfilmen von Hermine Huntgeburth bewiesen.