Selten ist der Abschied einer Figur derart konsequent in die Handlung integriert worden; prompt ist "Vorsehung", der achte "Kommissarin Heller"-Film, auch einer der besten geworden. Dabei ist es im Grunde eine ganz einfache Idee, mit deren Hilfe Klaschka den Kollegen der Wiesbadener Kriminalkommissarin (Lisa Wagner) trotz seiner Versetzung nach Karlsruhe mitwirken lässt: Weil Heller ihre Wohnung wegen eines Wasserschadens vorübergehend verlassen muss, nistet sie sich kurzerhand im leer stehenden Haus von Verhoeven (Hans-Jochen Wagner) ein, der wie aus dem Nichts auftaucht, als habe er was vergessen. Als er genauso wieder verschwindet, ist klar, dass er bloß eine Imagination war, ein Tagtraum. Diese Erscheinungen ziehen sich durch die gesamte Geschichte, denn Heller, deren Unnahbarkeit natürlich Gründe hat, ist diesmal in gleich mehrfacher Hinsicht angeschlagen. Der Film beginnt mit einem auch optisch fesselnden Auftakt, als die Kommissarin bei einer Geiselnahme in einer Spielothek keine andere Wahl hat, als den unberechenbaren jungen Geiselnehmer zu erschießen. Wie immer tut sie so, als perle der Vorfall ebenso von ihr ab wie die Trennung von Verhoeven, was dazu führt, dass sie sich beim Therapiegespräch mit ihrer Psychiaterin Jacobi (Lena Stolze) auch körpersprachlich wie ein bockiger Teenager aufführt. Kurz drauf meldet sich die Ärztin telefonisch, aber Heller ignoriert den Anruf. Als sie ihn abhört, ist es zu spät: Jacobi ist bei einem Angriff in ihrer Praxis lebensgefährlich verletzt worden.
Die Suche nach dem Täter entspricht zwar den Rahmenbedingungen herkömmlicher Krimihandlungen, bereichert den Film aber um eine weitere Ebene, denn auf diese Weise lernt Heller eine alleinerziehende Mutter (Karin Hanczewski) kennen. Deren geschiedener Mann (Murathan Muslu) gehört zu Jacobis Patienten, neigt zu Gewaltausbrüchen und ist daher dringend tatverdächtig; außerdem fühlt sich Heller verpflichtet, seine Ex-Frau vor den Nachstellungen zu beschützen. Weil sie außerdem die Gesprächsmitschnitte der Ärztin sichtet, um Hinweise auf weitere mögliche Verdächtige zu bekommen, kann Klaschka seiner Geschichte eine für eine Reihenepisode ausgesprochen ungewöhnliche Tiefe geben, als sich die Kommissarin auch das Video einer eigenen Sitzung anschaut. Auf diese Weise erhält sie einen quasi objektiven und dadurch äußerst erhellenden Blick auf sich selbst; eine weitere im Grunde simple, aber ungemein effektive Idee, um der Geschichte zu großer psychologischer Plausibilität und Dichte zu verhelfen. Und natürlich spielt auch der Prolog mit dem Rettungsschuss am Ende noch eine entscheidende Rolle: Erst gesteht ihr die Mutter des jungen Mannes, den die Kommissarin erschossen hat, sie habe überlegt, die Kommissarin umzubringen, aber denn erkannt, dass sich Heller selbst Strafe genug sei; und schließlich gerät sie in eine ähnliche Situation wie zu Beginn und wird plötzlich von einer Schießhemmung befallen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Wie sorgfältig Klaschka und Regisseurin Christiane Balthasar, die bislang sämtliche Beiträge der Reihe gedreht hat, bei dem Film vorgegangen sind, belegt auch die akustische Ebene: Während des retraumatisierenden Erlebnisses erklingen typische Spielothekgeräusche. In der berührendsten Szene des Films trifft sich Heller mit ihrer Mutter in einem griechischen Lokal; im entscheidenden emotionalen Moment wird der im Hintergrund dudelnde Sirtaki völlig ausgeblendet. Und als sich Heller Verhoevens komplette Familie herbei imaginiert, werden deren dünne Scherze wie bei einer Sitcom durch Lacher vom Band unterlegt. Dass es für den Angriff auf die Ärztin einen letztlich gänzlich unoriginellen typischen Krimigrund gibt, ist zwar ein bisschen enttäuschend, aber gemessen an der Gesamtqualität des Films auch nicht weiter schlimm, zumal Balthasar ohnehin dafür sorgt, dass "Vorsehung" bis hin zur Schlusspointe beim letzten Gespräch zwischen der schwerverletzten Heller und ihrem Kollegen durchgehend fesselt. Die Plaudereien mit Verhoeven sorgen über Hellers Trennungsschmerz hinaus für weitere Melancholie, denn sie zeigen, wie wichtig der als Kommissarsdarsteller zum SWR-"Tatort" aus dem Schwarzwald gewechselte Hans-Jochen Wagner für die Reihe ist; in Roths Romanen spielt Verhoeven ohnehin eine gleichwertige Rolle. Heller wiederum ist am Ende derart fertig, dass sie dringend eine allerdings glücklicherweise nur befristete Auszeit braucht: Im Frühjahr beginnen die Dreharbeiten für den nächsten Film.