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TV-Tipp: "Die Inselärztin: Neustart auf Mauritius" (ARD)
19.1., ARD, 20.15 Uhr: "Die Inselärztin: Neustart auf Mauritius"
"Neustart auf Mauritius" beginnt zwar idyllisch, doch schon bald deuten erste Erinnerungsfetzen an, dass der Fluchtversuch von Filipa Wagner vergeblich war: Die junge Ärztin ist eine offenbar begnadete Chirurgin und war zuletzt an der Frankfurter Uniklinik beschäftigt; wenn eine derartige Koryphäe als Hausärztin in einem Hotel anheuert, ist das eine Art um 25 Jahre vorgezogener Ruhestand.
Ein Freitagsfilm im "Ersten", eine Frau auf Mauritius, eine luxuriöse Hotelanlage: Diese Geschichte hat die ARD-Tochter Degeto doch erst vor einigen Wochen erzählt. Der Film hieß "Das Kindermädchen – Mission Mauritius", war ein klassischer Degeto-Zeitvertreib mit Saskia Vester und schönen Aufnahmen, die sich an Strand, Meer und vor allem dem Abendhimmel über dem Indischen Ozean ergötzten. Der Auftakt zur neuen ARD-Reihe "Die Inselärztin" ergötzt sich auch, allerdings vor allem an Anja Knauer. Es wäre nicht ganz fair, den Unterschied zwischen den beiden Konzepten auf die Hauptdarstellerinnen zu reduzieren, aber ein Altersunterschied von zwanzig Jahren macht nun mal eine Menge aus, und das nicht nur wegen der Bikinibilder; eine jüngere Heldin hat nicht nur jüngere Verehrer, sie muss sich auch Problemen stellen, die eine Frau kurz vor der Rente längst überwunden hat. "Neustart auf Mauritius" beginnt zwar idyllisch, doch schon bald deuten erste Erinnerungsfetzen an, dass der Fluchtversuch von Filipa Wagner vergeblich war: Die junge Ärztin ist eine offenbar begnadete Chirurgin und war zuletzt an der Frankfurter Uniklinik beschäftigt; wenn eine derartige Koryphäe als Hausärztin in einem Hotel anheuert, ist das eine Art um 25 Jahre vorgezogener Ruhestand. Tatsächlich halten sich die Herausforderungen zunächst in Grenzen und reichen von Pflaster kleben bis Splitter ziehen; der "Notfall" eines Modepüppchens entpuppt sich als eingerissener Fingernagel. Ernst wird es erst, als Jimmy (Selam Tadese), ein Mitglied des Küchenpersonals, aus einer Limoflasche trinkt, die Backofenreiniger enthält. Die Flüssigkeit verätzt die Speiseröhre. Daniel Bucher (Tobias Licht), Arzt am örtlichen Krankenhaus, sieht keine Möglichkeit, Jimmy zu retten. Filipa verbringt die Nacht mit einer Internetrecherche und stößt auf eine allerdings offiziell noch nicht zugelassene Operationsmethode. Bucher lässt sich auf das Risiko ein, aber nur unter der Bedingung, dass ihm die Kollegin assistiert; und Filipa muss sich ihrem Trauma stellen.
Das alles klingt zunächst nicht weiter ungewöhnlich. Wenn sich die Heldin dann noch Jimmys kleinem Sohn annimmt, der an einer Niereninsuffizienz leidet und dringend eine Dialyse braucht, bewegt sich "Neustart auf Mauritius" kräftig in Richtung des Helferinnen-Genres, dem ARD und ZDF seit einigen Jahren viele Reihen widmen. Gipfel der vermeintlichen Einfallslosigkeit ist schließlich die äußerst abgenutzte personelle Konstellation: Filipa wird von gleich zwei Männern umschwärmt; spätestens jetzt wirkt "Die Inselärztin" wie ein exotisches Pendant zu den Degeto-Filmen mit Rebecca Immanuel als Versorgungsassistentin eines Eifelarztes. Während die "Eifelpraxis"-Geschichten die medizinische Ebene nutzen, um von tragischen Schicksalen zu erzählen, ist zumindest Filipas erster richtiger Fall ein typisches "Medical Drama", bei dem es um Leben oder Tod geht. Allerdings gibt das Drehbuch von Maja und Wolfgang Brandstetter den scheinbar stringenten Handlungssträngen eine völlig unvorhersehbare Wendung. So findet Filipa zum Beispiel heraus, dass Jimmy die Flüssigkeit womöglich gar nicht aus Versehen getrunken hat. Ein kleiner Knüller ist zudem die wahre Identität des attraktiven Strandbarkeepers Mike (Tyron Ricketts), mit dem die Ärztin gleich zwei Nächte verbracht hat, in denen jedoch offenbar nichts passiert ist, selbst wenn die Bilder etwas anderes nahelegen. Mike hat großen Anteil daran, dass Jimmys kleinem Sohn geholfen werden kann. Dieser erkennbare Wille, immer noch ein Ass aus dem Ärmel zu ziehen, findet sich auch in einzelnen Szenen: Hotelmanager Kulovits (Helmut Zierl) hält die nach der ersten feuchtfröhlichen Nacht mit Mike heftig derangierte junge Frau, die er in den Praxisräumen antrifft, für einen verirrten Hotelgast. Auch das ist ein deutlicher Unterschied zu vielen anderen vergleichbaren Filmen, die in der Regel damit beginnen, dass die Hauptfigur auf dem Flughafen eintrifft.
Autor:in
Tilmann P. Gangloff
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Bei aller Sympathie für die Geschichte, ihre Figuren und die Darsteller: In mancherlei Hinsicht gibt es allerdings durchaus Parallelen zwischen "Inselärztin" und "Kindermädchen". Ähnlich wie bei Karl May treffen die Heldinnen der Degeto-Auslandsreihen ohnehin überall in der Welt permanent auf Deutsche; die diversen Sonnenuntergänge sind nichts als Augenfutter und tragen zur Dramaturgie der Handlung ebenso wenig bei wie die gelegentliche Folklore; der gänzlich unironische Regenbogen am Ende ist dann endgültig zuviel. Immerhin sprechen die Ärzte mit dem einheimischen Klinikpersonal englisch oder französisch. Auf der anderen Seite erlaubt sich Regisseur Peter Stauch, der zuletzt das Brandstetter-Drehbuch "Mord in Bester Gesellschaft: Winters letzter Fall" verfilmt hat, viel zu selten kleine schelmische Momente wie bei einem medizinischen Disput zwischen Filippa und Daniel, die sich die Fachbegriffe nur so um die Ohren hauen, während die Laborassistentin (Anne Bolik) daneben steht und den offenkundig von unterschwelligen Gefühlen geleiteten Dialog mimisch kommentiert. Stattdessen setzt Stauch lieber auf klamaukige Komik mit Gerhard Wittmann als Urlauber, der sich mehrfach bei riskanten Fun-Sportarten verletzt. Aber das sind zum Glück nur kurze und wenige Ausreißer. Ansonsten ist "Neustart auf Mauritius" ein vielversprechender Auftakt, zumal sich Stauch gelegentliche Anleihen beim Krimi erlaubt, die für den Freitagsfilm im "Ersten" eher ungewöhnlich sind, wenn Filipa beispielsweise gedanklich den "Tathergang" rekonstruiert und dabei persönlich in der Rückblende auftaucht. Vielversprechend ist auch die charakterliche Mischung der drei Hauptfiguren: Sie ist Idealistin, Daniel Realist und Mike Hedonist. Angesichts dieser Gemengelage sowie der Hauptdarstellerin ist es zu verschmerzen, dass das Erzählmuster von "Inselärztin" wie ein typisches Reißbrettprodukt wirkt: als habe die Degeto-Redaktion "Eifelpraxis" und "Traumhotel" kombinieren wollen.