50 Länder stehen jedes Jahr auf dem von Open Doors veröffentlichtem "Weltverfolgungsindex 2018" – bis auf zwei Ausnahmen liegen sie alle in Afrika oder Asien. Insgesamt habe nicht nur die Gewalt gegen Christen, sondern die Christenverfolgung im Allgemeinen zugenommen. "Die Gewalttaten werden sehr stark wahrgenommen, der private Druck und die Anfeindungen, denen sich besonders konvertierte Christen ausgesetzt sehen, bleiben hingegen oft unsichtbar", sagt Open Doors Geschäftsführer Markus Rode. Er unterstreicht, dass Christen, die zwar keiner physischen Gewalt ausgesetzt sind, von der psychischen Gewalt zermürbt werden können und deshalb auch zu den verfolgten Christen zählen.
Nordkorea führt wie seit 2002 die Negativliste an, gefolgt von Afghanistan, Somalia, Sudan und Pakistan. Die gleichen Länder waren auch schon im vergangenen Jahr nur in leicht anderer Reihenfolge in den Top Fünf. Eine extreme Verschlechterung der Situation sieht das christliche Hilfswerk, das der Deutschen Evangelischen Allianz nahesteht, für die nepalesischen Christen: 2017 war das Land im Weltverfolgungsindex noch nicht aufgeführt, dieses Jahr steht es schon auf dem 25 Platz. Ähnlich ist es auch bei Sri Lanka, das auf den 44. Platz gewählt wurde. Beide Länder haben, wie auch Indien, mit der Ausbreitung eines religiösen Nationalismus zu kämpfen, der alle anderen religiösen Minderheiten zu verdrängen versucht.
Auch die Situation im Jemen (Platz 9) hat sich verschlechtert, selbst wenn die Platzierung gleich geblieben ist. In fünf von sechs Kategorien hat das Land sehr hohe Werte bekommen, einzig beim Auftreten von Gewalt liegt das Land weit unter dem Durchschnitt. Das mutet auf den ersten Blick seltsam an, herrscht in dem Land doch seit 2015 ein Bürgerkrieg, der für eine grausame humanitäre Katastrophe sorgt. "Die kleinen Gemeinden jemenitischer Christen sind komplett abgetaucht und in den Untergrund gegangen", so Rode. Das sei ihr einziger Schutz. "Würden sie sich offen zum Christentum bekennen, würde die Gewalt gegen sie sehr stark wachsen, weil auch im Jemen der Abfall vom Islam ein todeswürdiges Verbrechen darstellt." Ein weiteres Problem bei der Bestimmung des Faktors "Auftreten von Gewalt": Wie soll man im Kriegschaos zweifelsfrei bestimmen, ob der Angriff religiös motiviert war oder "nur" eine Kriegshandlung?
Die Malediven stehen für Touristen für azurblaues Meer, lange Sandstrände und Traumurlaub. Für die einheimischen Christen, die fast alles vom Islam zum Christentum konvertiert sind, ist die Situation jedoch alles andere als traumhaft. "Der Staat ist extrem islamisch, ich würde sogar schon sagen islamistisch", erklärt Rode und führt aus, dass die Konvertiten ihre Bürgerrechte verlören, wenn sie erkannt würden. Deshalb gingen die meisten weiterhin in die Moschee, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Diese Situation führt dazu, dass die Malediven weiterhin auf Platz 13 des "Weltverfolgungsindexes" liegen.
Für die negativen Entwicklungen in der Christenverfolgung gibt es laut Rode verschiedene Gründe: eine Erstarkung des politischen Islam, eine Zunahme der Stellvertreterkämpfe in Failed States, sowie die Ausbreitung des religiösen oder ideologischen Nationalismus gehören seiner Ansicht nach dazu.
Das deckt sich weitgehend mit den Beobachtungen des ehemaligen Sonderberichterstatters für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtrats, Heiner Bielefeldt. Der hatte im "Ökumenischen Bericht zur Religionsfreiheit von Christen weltweit 2017" vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Deutschen Bischofskonferenz die Hauptursachen der religiösen Verfolgung allgemein ebenfalls in die ähnlichen Kategorien "Durchsetzung religiöser Wahrheits- und Reinheitsgebote", "Aufrechterhaltung einer durch religiös-kulturelles Erbe definierten nationalen Identität" und "Angst vor Kontrollverlust von autoritären Regierungen" eingeteilt.
Dass Open Doors den Islam explizit als Verfolgungsursache erwähnt, wird unter anderem von Heiner Bielefeldt als ein Kritikpunkt angeführt, da es die Religionen gegeneinander aufhetzte und so nicht dem friedlichen Zusammenleben diene. Markus Rode erklärt dazu, dass die Benennung der Differenzierung diene und nicht dem Schüren von Konflikten. "In der Religion des Hinduismus oder auch des Buddhismus hat man ein völlig anderes System, wo Verfolgung in der Religion an sich gar nicht impliziert ist. Das sind im Prinzip in sich friedliche Religionen", erklärt Rode. Im religiösen Nationalismus gehe es darum, das eigene kulturelle Verständnis zu schützen. Das führe dann wiederum zur Verfolgung andersgläubiger Minderheiten – nicht aber die Religion selbst. "Wenn ein Muslim Christ wird, in dem Moment hat er ein ganz anderes Motiv der Verfolgung hinter sich. Nämlich aus dem Koran heraus ist das – und das sagt auch die Scharia – ein todeswürdiges Verbrechen." Man versuche die Menschen durch Verhaftungen und Gewalt dazu zu bringen, wieder zum Islam zurück zu konvertieren. Das sei ein Merkmal, das man "im Hinduismus und Buddhismus so nicht finde" und deshalb müsse man das laut Rode auch ganz deutlich ansprechen.
Bei der Verwendung des Begriffs "Verfolgung" lehnt sich Open Doors eigenen Angaben zufolge an die Definition der UN an, nach der "eine Bedrohung des Lebens oder der Freiheit eines Menschen wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, wegen seiner politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe stets eine Verfolgung darstellt". Open Doors geht jedoch noch deutlich weiter und legt der "Verfolgung" eine recht weit gefasste Definition zu Grunde: so gelten zum Beispiels auch schon Christen, deren Kinder keinen gleichberechtigten Zugang zu Bildung bekommen, bei Open Doors als verfolgt. Konkret misst die Organisation den Grad der Christenverfolgung an sechs Indikatoren:
- an der Gedanken- und Gewissensfreiheit im Privatleben. Dabei geht es zum Beispiel um die Möglichkeit, zu Hause ungestört beten oder in Bibel lesen zu können.
- an der Freiheit, seinen Glauben innerhalb der Familie frei ausüben und weitergeben zu können, was vor allem für Konvertiten muslimischer Herkunft oft schwierig ist.
- an der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Hier liegt der Fokus darauf, ob lokale Behörden oder einflussreiche Persönlichkeiten die Religion zum Anlass für Diskriminierung, Bedrohung oder Hetze nehmen.
- an der Teilhabe an der Zivilgesellschaft und dem öffentlichen Leben. In dieser Kategorie geht es um die Rolle des Staates und in wie weit es zum Beispiel in der Gesetzgebung oder der Rechtsprechung zur Einschränkung der Glaubensfreiheit kommt.
- an der Freiheit des kirchlichen Lebens. Die Ausübung des eigenen Glaubens in einer Gemeinschaft und deren Einschränkungen werden in diesem Indikator bewertet.
- an der Ausübung von physischer Gewalt gegen Christen.
Durch diese Aufteilung soll sichergestellt werden, dass "einzelne, spektakuläre Gewaltakte das Gesamtbild der herrschenden Verfolgung" nicht verzerren.
Das letztendliche Ranking wird in einem dreistufigen Verfahren erstellt. Als erstes werden Fragebögen, die diese sechs Kategorien abbilden, an Open-Doors-Mitarbeiter und Menschenrechtsanwälte vor Ort verteilt, die selbst oft Teil der "verfolgten Kirche" sind. In einigen Ländern wie in Nordkorea oder im Jemen sei es besonders schwer an verlässliche Daten zu kommen. "Wir nehmen nur belegbare Taten auf und weil es zum Beispiel in Kriegsgebieten sehr schwierig ist, an verlässliche Zahlen zu kommen und die Fälle im Detail zu dokumentieren, lassen wir sie eher raus", versichert Rode. Das führe zu "sehr konservativen" Zahlen, deren Dunkelziffer deutlich höher liege.
Eine weitere Schwierigkeit stelle die Feststellung des Hauptmotivs für eine Tat dar. "Natürlich gibt es in allen Bereichen Überlappungen, wir sind mehrdimensionale Menschen in einer mehrdimensionalen Welt", sagt Rode. Verfolgung verläuft, da stimmt Rode mit Heiner Bielefeldt überein, häufig entlang "überlappender religiöser, ethnischer, wirtschaftlicher, sozialer und politischer Spannungsfelder". Deswegen zählen Christen, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren und so bei einem Selbstmordattentat ums Leben gekommen sind, auch nicht in die Statistik. Die brutalen Angriffe muslimischer Fulani-Hirten auf Christen in Nigeria dagegen schon, da der prinzipielle Streit um natürliche Ressourcen und Land vermehrt einen religiösen Unterton habe und Christen gezielt als Opfer ausgewählt werden.
Die Tatsache, dass die Fragenbögen nicht an potenziell verfolgte Christen weltweit oder an lokale NGOs versandt, sondern im Prinzip von den eigenen Mitarbeitern ausgefüllt werden, ist ein häufiger Kritikpunkt – gerade im Vergleich zu anderen Erhebungen. "Wir sind die einzigen, die jährlich eine Primärerhebung machen", verteidigt sich Rode und weist darauf hin, dass viele andere Statistiken mit Werten arbeiten, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung oftmals schon veraltet seien. Trotzdem freue er sich über jeden Bericht, der auf das Schicksal verfolgter Glaubensgeschwister aufmerksam mache. Er sieht den Weltverfolgungsindex von Open Doors nicht in Konkurrenz zu anderen Erhebungen.
Christenverfolgung: Vorstellung und Wirklichkeit
Auf Basis der Fragebögen erstellen Analytiker dann den Weltverfolgungsindex, der schließlich durch Wissenschaftler des "International Institute of Religious Freedom" und deren deutschen Ableger mit Sitz in Bonn, dem "Institut für Religionsfreiheit", geprüft wird – beide Institutionen stehen unter der Aufsicht der Weltweiten Evangelischen Allianz. Sie stammen also aus dem gleichen evangelikalen Umfeld. Die Forscher zeigen Schwachpunkte des Indexes auf und geben Verbesserungsvorschläge zu Protokoll. Man arbeite kontinuierlich an einer Verbesserung der Methodik, sagt Rode.
Der Weltverfolgungsindex steht jedoch auch in der Kritik. Der "Ökumenische Bericht zur Religionsfreiheit von Christen weltweit 2017" verzichtet zum Beispiel weitgehend auf die Nennung konkreter Zahlen, "da hierfür ein weitaus komplexeres Instrumentarium notwendig wäre, als bislang von unterschiedlichen Organisationen oder Institutionen vorgelegt werden konnte". Open Doors hingegen sieht sich selbst als Thermometer, das die Temperatur der Christenverfolgung misst. "Die Länder, die dafür verantwortlich sind, sollen ganz bewusst gelistet werden", sagt Rode und erklärt, dass nur durch das Ranking und die vergebenen Punktzahlen eine tatsächliche Dynamik erkennbar sei. "Und nur dann sind Politiker auch bereit, dieses wichtige Thema auf ihren Reisen in die Länder anzusprechen."
Auch für das Wording musste Open Doors schon Kritik einstecken. Das Wort "Christenverfolgung", so zum Beispiel der "Ökumenische Bericht", ruft in den Köpfen vieler Menschen eine Assoziation hervor, die so in den meisten Staaten nicht vollumfänglich der Wirklichkeit entspricht: nämlich die Vorstellung eines staatlichen Apparates, der Christen mit Spitzeln systematisch aufspürt und einen Verfolgungsapparat aufgebaut hat. Diese gängige, in den Köpfen verhaftete extreme Vorstellung religiöser "Verfolgung" führe oft zu Verwirrung und deshalb solle man stattdessen lieber die Worte "Bedrängung" und "Diskriminierung" benutzen und das Wort "Verfolgung" den schweren Verstößen vorbehalten. Open Doors macht in seinen Berichten allerdings immer deutlich, um welche Art der Verfolgung es sich handelt und dass Christenverfolgung bei ihnen eben nicht nur die Angst um Leib und Leben, sondern auch die Diskriminierung und Einschränkung auf Grund des Glaubens beinhaltet.
"Verfolgung hat viele Facetten", sagt Rode, "und sie wird von den Mitgliedern der ‘verfolgten Kirche‘ vor Ort auch unterschiedlich stark erlebt. Es ist etwas, was sehr subjektiv wahrgenommen wird." Als Grundlage christlichen Handelns, als Motivation um den Verfolgten zu helfen, reicht das Wissen um die subjektive Situation, die Vergleichbarkeit ist zweitrangig. Aufgabe einer wissenschaftlichen Studie ist es aber, diese subjektiven Wahrnehmungen in einer intersubjektiv nachprüfbaren Matrix zu verarbeiten, um so die Grundlage für eine glaubwürdige Erhebung zu schaffen – denn ein und dasselbe Ereignis darf wissenschaftlich gesehen nicht unterschiedlich stark wahrgenommen oder bewertet werden, nur weil es in unterschiedlichen Ländern stattgefunden und von unterschiedlichen Menschen wahrgenommen wurde.
Das Engagement von Open Doors richtet sich in erster Linie, wenn auch nicht vollkommen exklusiv, an Christen. Das unterscheidet sie von bekannten christlichen Hilfsorganisationen wie "Brot für die Welt" oder "Caritas", die allen Bedürftigen helfen. Des Weiteren hat sich Open Doors auch gegen eine Zertifizierung mit dem "Deutschen Spendensiegel" durch das unabhängige "Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen" entschieden, weil es sich dabei um keine christliche und auch keine staatliche Institution handelt. Stattdessen tragen sie seit 2003 das Spendenprüfzertifikat der Deutschen Evangelischen Allianz, das "in enger Abstimmung mit dem Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) entstanden" ist und noch strengere Kriterien an die zulässigen Verwaltungskostenanteile einer gemeinnützigen Organisation stellt.
Hinsichtlich dieser Logik ist es nur konsequent, dass sich der "Weltverfolgungsindex" nicht mit Religionsfreiheit im Allgemeinen auseinandersetzt – ein weiterer Kritikpunkt. Denn wie will man belegen, dass Christen tatsächlich die "am meisten verfolgte Glaubensgruppe" darstellen, wenn man die Situation der anderen Religionsgruppen nicht erfasst? Außerdem können andere Religionsgruppen - mit Ausnahme der Muslime - zahlenmäßig gar nicht an die absoluten Zahlen der verfolgten Christen heranreichen, weil ihre Glaubensgemeinschaft insgesamt viel kleiner ist. Gutes Beispiel dafür sind die in relativer Hinsicht ebenfalls sehr stark (vielleicht sogar stärker) verfolgten Bahai.
Verfolgte Christen mehr als nur Zahlen in einer Statistik
Die beiden großen Deutschen Kirchen sind in ihrem ökumenischen Bericht explizit einen anderen Weg gegangen: "Das Engagement der Kirchen gilt allen Menschen, nicht nur den Angehörigen der eigenen Religion. Als Christen glauben wir, dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen und zur Freiheit berufen hat." Open Doors konzertriert sich dagegen in erster Linie auf Christen in Not. Einig sind sie sich aber darin, dass die Quantifizierung das inviduelle Schicksal der Verfolgten nicht überschatten darf. Open Doors schreibt dazu: "Der Open Doors Weltverfolgungsindex soll keine Statistik sein, in der verfolgte Christen hinter nackten Zahlen verschwinden. Jeder einzelne von ihnen soll in seinem Leid wahrgenommen werden und Trost und Ermutigung erfahren."
Für die Zukunft wünscht sich Open Doors Geschäftsführer Markus Rode, dass das Thema Mission wieder mehr in den Vordergrund gerückt wird, da es bei den verfolgten Christen eine große Rolle spiele. Außerdem hofft er, dass die Christen als Leib Christi besser miteinander funktionieren. "Und da ist es mein großer Wunsch, dass die Christen in Deutschland näher zusammenrücken im Verständnis: "Wir sind eine Familie." Und wir wollen denen helfen, die weit von uns entfernt sind, die aber die gleiche DNA haben wie wir."