Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Tatort: Mord Ex Machina" (ARD)
1.1., ARD, 20.15 Uhr
Im vergangenen Jahr haben sich gleich zwei Sonntagskrimis auf ungewöhnliche und sehenswerte Weise mit künstlicher Intelligenz befasst: "HAL" (Stuttgart) war eine raffinierte Reminiszenz an Stanley Kubricks Klassiker "2001", in "Echolot" (Bremen) wurden die Ermittler mit dem digitalen Alter Ego eines Mordopfers konfrontiert. "Mord Ex Machina" geht einen Schritt zurück. Während die Maschine in den beiden anderen Geschichten so mächtig geworden war, dass sie den Menschen nicht mehr brauchte, geht es im Drehbuch von Hendrik Hölzemann (nach einer Vorlage von David Ungureit) um den Menschen, der sie bedient.

Im Grunde ist der Film eine Warnung vor dem "Internet der Dinge" und "Big Data", dem Anhäufen von Informationen, und selbstredend werden die entsprechenden Erläuterungen gleich mitgeliefert. Es geht nicht mehr nur darum, das Konsumverhalten der Menschen auszuwerten, um ihnen passende Werbebotschaften schicken zu können. Wer über das gesammelte Wissen verfügt, wird in der Lage sein, die Menschen so geschickt zu manipulieren, dass die Manipulation nicht mal mehr merken.

Wie "Echolot" beginnt auch "Mord Ex Machina" (aus Saarbrücken) mit einem Automord. Ein Fahrer verliert die Kontrolle über seinen Wagen, aber nicht im analogen Sinn: Das Fahrzeug macht sich buchstäblich selbstständig und gibt Gas, die Bremsen versagen ihren Dienst, die Türen lassen sich nicht mehr öffnen; später dient ein abgerissener Fingernagel den Kriminaltechnikern als Indiz dafür, dass der Fahrer keineswegs freiwillig in den Tod gerast ist. Das Mordopfer war Mitinhaber eines Unternehmens namens Conpact, das im Auftrag seiner Kunden Daten sammelt und auswertet. Das Auto, ein Prototyp, ist ein regelrechter Datenstaubsauger voller Kameras und Sensoren. Hauptkommissar Stellbrink (Devid Striesow) stößt bei seinen Nachforschungen alsbald auf die begnadete Hackerin Natascha (Julia Koschitz), die herausfinden sollte, ob das Fahrzeug gegen digitale Angriffe gefeit ist. Just in der Mordnacht hat sie ein Leck gefunden.

Damit die Geschichte einen altmodisch analogen Kern bekommt, muss es natürlich auch noch eine emotionale Ebene geben. Dafür bedient sich Hölzemann der guten alten ménage à trois. Sie spielt passenderweise in Frankreich, seit dem Truffaut-Klassiker "Jules und Jim" der Schauplatz für Dreiecksbeziehungen schlechthin: Vor 15 Jahren waren Natascha sowie die beiden Conpact-Gründer Victor Rousseau (Steve Windolf) und der nun verstorbene Sebastian Feuerbach (Nikolai Kinski) ein unzertrennliches Trio; bis es zu einem Ereignis mit Toten und Verletzten kam. Natascha nannte sich damals Jeanne Dark, eine buchstäblich düstere Anspielung auf die Jungfrau von Orleans (Jeanne d’Arc), und Stellbrink fragt sich, ob Feuerbach womöglich Opfer einer späten Rache geworden ist; oder ob Marco (Anton Spieker), Nataschas leicht psychopathischer Freund und Hackerkomplize, in seiner Eifersucht einen Nebenbuhler aus dem Weg geräumt hat.

Dieser Beziehungsaspekt der Geschichte ist im Vergleich zu den großen gesellschaftlichen Fragen, um die es eigentlich geht, beinahe zwangsläufig ein bisschen banal. Um die emotionale Ebene immerhin optisch aufzuwerten, haben sich Regisseur Christian Theede und sein Kameramann Simon Schmejkal eines simplen, aber wirkungsvollen Kniffs bedient: Während der Rest des Films betont kühl und unbunt gehalten ist, wirkt Stellbrinks Reise in die französische Vergangenheit des Trios wie ein in heimeliges Licht getauchter Ausflug in die Sommerfrische. Trotzdem ist der digitale Teil der Geschichte faszinierender, auch wenn nicht alle Dialogpassagen gelungen sind; selbst eine so erfahrene Schauspielerin wie Julia Koschitz kann nicht verhindern, dass einige Ausführungen Nataschas wie ein Powerpoint-Vortrag klingen. Dabei hat sich der Film gerade für Natascha und Stellbrink ein Spiel ausgedacht, das ihre verschiedenen Begegnungen um einen reizvollen Aspekt ergänzt. Die beiden wetteifern darum, wer mehr über den anderen rausfindet: er mit seinen analogen Polizeimethoden oder sie mit ihren Streifzügen durch die digitale Welt, in der nichts jemals verloren geht. Auf diese Weise fördert das Drehbuch einige interessante biografische Details aus der Vergangenheit des Hauptkommissars zu Tage.

Nicht zuletzt dank der packenden elektronischen Thriller-Musik ist Theede ein fesselnder Krimi gelungen. Die optische Ebene ist mit sichtbarem Aufwand und viel Sorgfalt gestaltet. Abgesehen von einer Szene, in der Striesow aus dem Off einen Chatdialog vorlesen muss, ist auch der Umgang mit den diversen Bildschirmbotschaften sehr souverän. Allerdings haben längst nicht alle Schauspieler das Niveau des Hauptdarstellers; auch bei ihrem sechsten Auftritt ist beispielsweise Sandra Steinbach als Staatsanwältin immer noch gewöhnungsbedürftig. Gerade angesichts der vielen Kleinodien, die Striesow beiläufig einstreut, ist es umso bedauerlicher, dass "Mord Ex Machina" Stellbrinks vorletzter Fall ist.