Ein echter Knüller in dieser Hinsicht war vor einigen Jahren die Einführung des von Ulrich Tukur unnachahmlich verkörperten melancholischen Hauptkommissars Felix Murot. In der langen "Tatort"-Tradition gehört der LKA-Beamte ohne Frage zu den ungewöhnlichsten Ermittlern. Die bisherigen Geschichten fielen völlig aus dem Rahmen, aber mit "Im Schmerz geboren" haben Autor Michael Proehl und Regisseur Florian Schwarz ein völlig neues Genre kreiert: den Shakespeare-Western.
Der Einstieg ist ein unverblümtes Zitat aus "Spiel mir das Lied vom Tod": Drei bewaffnete Männer warten an einem Provinzbahnhof. Der Zug trifft ein, ein Mann steigt aus; kurz drauf liegen die Männer leblos auf dem Bahnsteig. Auch das Licht und die lakonische Inszenierung (Bildgestaltung: Philipp Sichler) könnten direkt aus einem Italo-Western stammen, aber derartige Anleihen sind ja nichts Neues. Was diesen Krimi aus dem Fernsehalltag herausragen lässt und die Liebhaber etwa der beschaulichen "Tatort"-Beiträge vom Bodensee nachhaltig irritieren wird, ist die Darbietung der Geschichte als klassische Tragödie. Alexander Held begrüßt das Publikum als Erzähler und führt in die Handlung ein. Außerdem spielt er einen der Männer, die später als Leichen den Weg des düsteren Fremden aus dem Zug pflastern werden. Der wahre Gegenspieler dieses Antihelden ist jedoch Murot; aber das wird dem Kommissar erst viel später klar.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das klingt nach einer Film über einen zwar blutigen, ansonsten aber nicht weiter originellen Rachefeldzug, und wenn man "Im Schmerz geboren" auf die Grundzüge der Handlung reduziert, ist das auch so; dass Held immer wieder als Conferencier auftaucht, könnte man als netten Einfall abtun. Aber Schwarz hat vor zehn Jahren bereits mit seinem Debütfilm "Katze im Sack" auf sich aufmerksam gemacht und mit "Weil sie böse sind" (Deutscher Fernsehpreis 2010) schon einmal einen ausgezeichneten "Tatort" für den HR gedreht. Die Drehbücher stammten ebenfalls von Michael Proehl; die beiden haben auch bei dem sehenswerten Sat.1-Krimi "Hannah Mangold & Lucy Palm” zusammengearbeitet.
"Im Schmerz geboren" ist aber nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch ein bemerkenswerter Film; unter anderem werden aufgrund einer sehr speziellen Krankheit Harloffs (das Stendhal-Syndrom) mehrfach Gemälde lebendig. Reizvoll ist auch die Idee, die Bilder immer wieder einfrieren zu lassen; das Massaker, mit dem der Film endet, wird komplett in Form von Ölbildern umgesetzt. Der Krimi ist ohnehin außerordentlich leichenreich, aber die 47 Toten spielen nur statistisch eine Rolle; im Zentrum steht das tödliche Duell zwischen den alten Freunden. Und dann ist der Film auch noch hörenswert: Die klassischen Aufnahmen des HR-Sinfonieorchesters (unter anderem von Beethoven, Verdi Brahms und Grieg) sind zum Teil eigens für den unter anderem mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Film neu eingespielt worden und die perfekte akustische Abrundung dieses Meisterwerks.