Suppe, Salate und Schokokuchen – es wird ein köstliches Buffet, zu dem sich die Besucher der Kirche "Zum guten Hirten" in Hamburg-Langenfelde am vierten Advent versammeln werden. Das gemeinsame Essen nach dem Gottesdienst hat Tradition, ebenso, dass Haustiere in die Kirche mitgebracht werden dürfen. Etwas jünger ist ein dritter Brauch: Seit acht Jahren feiert die evangelisch-lutherische Gemeinde bei ihren Festen ausschließlich mit vegetarischen und veganen Speisen.
Die desolaten Zustände in der Massentierhaltung und die klimaschädlichen Folgen der globalen Fleischproduktion sind die Hauptgründe, weswegen Pastor Holger Janke und seine Gemeinde auf Fleisch verzichten. "Wer, wenn nicht die Kirche, sollte sich für Mitgeschöpfe einsetzen?", meint Janke, ein drahtiger Mann, der Mittelscheitel trägt wie in den 70ern und im Verein "Aktion Kirche und Tiere" aktiv ist.
Landesweit gesehen ist die Hamburger Gemeinde mit dieser Haltung immer noch eine Ausnahme. Vegetarisch, vegan, am besten auch noch Öko, das finden viele Deutsche zumindest theoretisch prima. In der Praxis wird hierzulande jedoch enorm viel Fleisch gegessen: im Schnitt 60 Kilo pro Kopf waren es im vergangenen Jahr. Vor allem an Festtagen wächst der Hunger auf Braten, Gans, Schnitzel und Co an. Besonders extrem ist es zu Weihnachten. Das Fest der Liebe ist bei uns vor allem ein Fest des Fleisches, so beschreibt es eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln aus dem Jahr 2015. Auch die jüngsten Statistiken bestätigen, dass sich an den Zahlen wenig ändert und Deutschland auch bei der Fleischerzeugung ganz oben mitspielt: Im dritten Quartal 2017 stieg die Produktionsmenge der deutschen Schlachtbetriebe mit zwei Millionen Tonnen sogar wieder an (Quelle: Statistisches Bundesamt). Und kaum mehr als vier Prozent der Bundesbürger gaben in diesem Januar bei einer Umfrage der Robert-Koch-Instituts an, sich überwiegend vegetarisch zu ernähren.
Könnte es ein Zeichen für die Sorge um das Klima und um das Wohl der Tiere sein, wenn christliche Gemeinden feiern, ohne dabei Fleisch zu verzehren? Für Rainer Hagencord ist das keine Frage: "In der heutigen Zeit ist es absolut angesagt, vegetarisch und vegan zu essen", findet der katholische Theologe und Gründer des Münsteraner Instituts für theologische Zoologie. "Die meisten Menschen wissen aus den täglichen Berichten in den Medien um die Folgen unseres Fleischkonsums, um die Zusammenhänge von Armut, Klimawandel, Tierleid auf der einen und den Profitinteressen der Pharma- und Fleischindustrie auf der anderen Seite. Dennoch planen sie für die bevorstehenden Festtage Drei-Gänge-Menüs mit Gans und Karpfen und holen sich beim Weihnachtsgottesdienst ihren Segen dafür." Hagencord empört sich über dieses Verhalten. Schließlich müssten sich doch gerade Christen positionieren, doch: "Von den Kirchen höre ich kaum etwas zu diesen Themen", sagt er.
Hängt der Festtagsbraten mit den Kindheitserinerungen zusammen?
Vor Ort scheint die Heterogenität einer Gemeinde ein Grund dafür zu sein, dass auch zeitweise vegetarische und vegane Feiern schwer umzusetzen sind. Judith Meyer-Kahrs von der Infostelle Klimagerechtigkeit in der Nordkirche und eine der Initiatorinnen des Projekts "ÖkoFaire Gemeinde" unterstützt Gemeinden, die ihr Kaufverhalten nachhaltig verändern wollen. "Zehn von dreißig Kriterien muss eine Gemeinde erfüllen, um die Auszeichnung "ÖkoFair" zu erhalten. Eines lautet: Es wird vorzugsweise vegetarisches Essen angeboten. Für dieses Kriterium hat sich noch keine der bisher angemeldeten Gemeinden entschieden", sagt die Referentin.
Einen Schwund an Mitgliedern hat die Kirchengemeinde Langenfelde wegen ihrer Fleischlos-Offensive nicht erlebt. Im Gegenteil: Die Gemeinde ist gewachsen. "Bei uns arbeiten viele im Tierschutz oder achten auf gesunde Ernährung. Die haben für die Buffets mehr und mehr Vegetarisches mitgebracht und das hat den übrigen Gemeindemitgliedern so gut geschmeckt, dass Rezepte ausgetauscht wurden. Irgendwann waren Fleischgerichte in der Minderzahl", sagt Pastor Holger Janke. Dass ausgerechnet zu Weihnachten der Fleischkonsum wächst, könne auch an den Emotionen liegen, vermutet der 56-Jährige. "Auch Menschen, die sich ansonsten mit Ethik beschäftigen, werden von ihren Kindheitserinnerungen übermannt. Weihnachten muss es eben die Gans oder den Karpfen geben, wie es bei der Oma schon war."
In Langenfelde wird sich am vierten Advent ein buntes Völkchen einfinden, da es zugleich der zweimonatliche Mensch-und-Tier-Gottesdienste ist, mit bis zu 120 Gästen. Die Ehrenamtlichen von der Katzenhilfe Stellingen, die Helfer aus dem Franziskus-Tierheim oder Leute vom Taubenschutz gehören zu den Stammgästen, ebenso wie die vielen Hundebesitzer, die ihre vierbeinigen Gefährten in die Kirche mitbringen werden. Auf den veganen, ziemlich gehaltvollen Schokokuchen vom Buffet freuen sich wahrscheinlich die meisten schon.