Ein Tattoo aus Bethlehem - das gehört für viele Pilger unbedingt mit zur Reise ins Heilige Land. Tätowierer Walid Ayash hat sein Studio nur wenige Schritte entfernt von der Geburtskirche, dort, wo der Überlieferung nach Jesus zur Welt kam. "Ein Kreuz am inneren Handgelenk ist das Motiv, das am besten geht, und darunter das Datum", erzählt der hochgewachsene, muskulöse Mann. Er trägt einen sorgfältig gestutzten Bart, goldenes Kettchen und eine dicke Stoffjacke mit Kunstpelz.
Vor allem Christen mit irakischer oder syrischer Herkunft kämen mit dem Wunsch nach einem Kreuz-Tattoo. Und ägyptische Kopten, "die sind ganz irre", sagt er und lacht. Ayash ist der "einzige lizenzierte Tätowierer" in der 30.000 Einwohner-Stadt im Westjordanland, wie er stolz berichtet.
"Pain Art" steht auf dem Schild am Eingang - Schmerz und Kunst gehören in dem kleinen Studio zusammen. Man erreicht es über eine schmale Treppe vom Frisiersalon aus, in dem Vater Ayash einst Haare schnitt und Bärte rasierte. Kaum sechs Quadratmeter dürfte der Raum messen, neben Schreibtisch, Ledersessel und dem Regal mit den Arbeitsutensilien bleibt kaum Platz für drei Leute gleichzeitig.
"Das Tattoo-Stechen tut ein bisschen weh", räumt Ayash ein. Er muss es wissen. Ayash zieht seine Jacke und das Hemd aus. Über die gesamte Schulter trägt er das Bild von Jesus mit Dornenkrone, auf dem kräftigen Unterarm die Hand des Gekreuzigten, die sehr plastisch dargestellt von einem Nagel durchbohrt ist. Sein Bauch zeigt römische Soldaten bei der Festnahme Jesu.
Als nächstes ist der Oberschenkel an der Reihe, ein Körperteil also, das Ayash selbst mit der Farbnadel bearbeiten kann. "Die Geschichte von Jesus" will der fromme Katholik mit den Bildern auf seinem Körper erzählen.
Die iranischen und syrischen Christen, die zu ihm kommen, lebten oft schon seit Jahren im Asyl. Nur eine junge Frau aus Damaskus, so berichtet er, habe sich das Kreuz auf die Kopfhaut tätowieren lassen, damit es von den Haaren bedeckt ist. Denn die Syrerin wollte in ihre Heimat zurück und dort mit der Tätowierung nicht auffallen. Es sind keine guten Zeiten für Christen im Nahen Osten.
Weihnachten ist Hochsaison in Bethlehem
Für ein kleines Kreuz braucht Ayash höchstens fünf Minuten. Rund um die Feiertage geht das Geschäft besonders gut, Weihnachten ist Hochsaison in Bethlehem. Im Jahr 2017 ist die Zahl der Pilger wieder deutlich angestiegen. Anfang November begrüßte Israels Tourismusminister Jariv Levin am Flughaften Ben Gurion die dreimillionste Besucherin im Heiligen Land.
Auch bei den Einheimischen steige das Interesse am Tattoo, man sei "insgesamt liberaler" als früher, berichtet Ayash. Es kämen aber immer noch deutlich mehr Christen zu ihm als Muslime, darunter viele aus dem israelischen Haifa, aus Nazareth und Jaffa. "Bei mir ist es etwas billiger als in Israel."
Unter frommen Muslimen sind Tattoos verboten. So werde er auch niemals einen Spruch aus dem Koran als Motiv verwenden oder gar den islamischen Propheten Mohammed zeichnen, sagt Ayash. Bei den Christen hingegen laufe Jesus als Motiv gerade gut.
Vergangene Woche habe sich eine junge Deutsche die Worte: "Herr, erbarme dich" auf Arabisch auf ihren Körper tätowieren lassen. Auch ein deutscher Priester sei schon bei ihm gewesen, erzählt Ayash. Der habe sich das Wort "Koexistenz" gewünscht.
Vor 15 Jahren hat er sich selbst zum ersten Mal tätowieren lassen mit dem Motiv eines Kreuzes. "Ich war begeistert", erinnert er sich. Er kaufte sich eine elektrische Tätowiermaschine, um das neue Handwerk anfangs an Orangen auszuprobieren. Gemalt habe er immer schon gern und "auch ziemlich gut", sagt er von sich.
Nach Wahl eines der rund 100 Motive, die Ayash in seinem gängigen Repertoire hat, wird die Körperstelle angefeuchtet und das Bild von einer Vorlage auf die Haut kopiert. Die Kunst ist, die Nadel nicht zu flach in die Haut zu stechen, weil sich das Tattoo sonst nach einiger Zeit durch die natürliche Hauterneuerung auflösen würde. Zu tief ist indes auch nicht gut, denn bluten darf es nicht, wenn tätowiert wird.
Kaum zu übersehen ist, wie viel Freude der vierfache Familienvater an seinem Handwerk hat, und welche Selbstbestätigung ihm der Beruf verschafft. Zu seinen Kunden gehörten auch Künstler, sagt er und zeigt ein Video von einer jungen Frau in seinem Studio, die mit voller Stimme christliche Lieder auf Arabisch singt - um sich von der pieksenden Farbnadel abzulenken.