"Ich habe keine Gefühle mehr. Es hat sich ausgefühlt." Als der Maler Werner Tübke (1929-2004) am 16. Oktober 1987 sein Werk signiert, ist er gesundheitlich angeschlagen. Über zehn Jahre lang hat er fast Tag für Tag am Bauernkriegspanorama gearbeitet, unterstützt von Schülern und Kollegen. Entstanden ist das größte Gemälde Mitteleuropas, auf mehr als 1.700 Quadratmetern. Ein Auftragswerk der DDR-Oberen, das ein eigenes Haus braucht: Das Panorama Museum Bad Frankenhausen.
Im Mai 1525 tobt hier die finale Schlacht des Bauernkrieges. Es ist ein Gemetzel. Etwa 6.000 Aufrührer, meist einfache Leute, oft nur mit Sensen und Mistgabeln als Waffe, werden vom Heer der Fürsten niedergemacht. Ihren Anführer Thomas Müntzer bringen die Sieger erst ins nahe Mühlhausen und gemeinsam mit vielen Leidensgenossen nach grausamer Folter wenig später um.
Die DDR, nach eigenem Verständnis ein Staat der Arbeiter und Bauern, sieht sich in der Tradition der Gemeuchelten. Zur Erinnerung an das Morden - wie an die eigene Herkunft - wird ein Museum geplant. Zum 450. Jahrestag des Bauernkriegs 1974 findet die Grundsteinlegung statt. Eröffnet werden soll es im Jahre 1989, zum 500. Geburtstag Müntzers. Sein bis dahin unbekanntes Geburtsdatum ist nun fix.
Der Künstler malt, was er will
Auch 30 Jahre später ist die Beton-Rotunde schon von weitem zu sehen, wenn man von der richtigen Seite kommt: aus Norden, von der Autobahn 38, über die Spitzkehren des Kyffhäusers. Der 18 Meter hohe wuchtige Bau versteckt sich unter der Kuppe des Schlachtbergs. Von Osten, von der Autobahn 71, hebt sich sein Umriss dagegen kantig von der Linie des Berges ab. In Kurven geht es vom Ortseingang hinauf zum Parkplatz.
Den Mittelpunkt der Erinnerung an die Schlacht von 1525 sollte nach den DDR-Plänen ein monumentales Gemälde bilden. Doch ein Maler fehlte zunächst. Letztlich erklärte sich Werner Tübke bereit. Mit Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer gilt der 1929 geborene Künstler als Begründer der "Leipziger Schule".
1976 lässt er sich als Rektor der Kunsthochschule beurlauben und bezieht Quartier in Bad Frankenhausen. Die riesigen Ausmaße der Leinwand - 123 mal 14 Meter - schrecken ihn nicht. Auch der sperrige Name des Auftragswerks "Frühbürgerliche Revolution in Deutschland" bleibt. Sonst setzt sich der Künstler durch: Er malt, was er will.
"alle Maßstäbe überschreitende Kunst"
Statt des üblichen sozialistischen gibt es von Tübke magischen Realismus. Das Ergebnis hat auch nach drei Jahrzehnten nichts von seiner Kraft verloren. Im Gegenteil, die mehr als 3.000 Figuren des Bildes erzählen hochaktuelle Geschichten. Von Aufbruch und Scheitern, von Mut und Verzweiflung, von Hoffnung und Verrat. Als "Welttheater" bezeichnen es die Kritiker, in Anspielung auf die Sixtinische Kapelle in Rom gar als "Sixtina des Nordens".
Der Leiter des Panorama Museums, Gerd Lindner, benutzt für Tübkes opus magnum große Worte. Anlässlich der Feier zur 30-jährigen Vollendung des Bildes nennt er es ein "bildgewaltiges Meisterstück". Er würdigt eine "alle Maßstäbe überschreitende Kunst" und preist das "geschichtsphilosophische Monumentalwerk", dem nur noch die Anerkennung der Unesco als Weltkulturerbe fehle.
Den unvoreingenommenen Besucher trifft der erste Anblick mit voller Wucht. Wer die steilen Stufen hinauf in den Bildersaal nimmt, dreht sich im Kreis, plötzlich umringt von der farbigen Leinwand. Er sucht nach Orientierung - und ist doch zunächst von der Fülle der Details wie erschlagen. Thomas Müntzer ist zu sehen unter dem Regenbogen, Luther und Cranach, auch Dürer; der Turm zu Babel, der Sündenfall, ein stürzender Ikarus und ein großer blauer Fisch. Die meisten Besucher setzen sich erst einmal auf die bereitstehenden Polster.
Der Künstler wünscht Besucher ohne Bildungsbedürfnis
Es wurde von Anfang an viel gerätselt über Tübkes Werk. Kluge Kritiken erschienen und solche, die meinten, in Unfreiheit könne wirklich Großes nicht entstehen. Tübke wies weit von sich, belehren zu wollen. Für ihn war die bildende Kunst zu schade für jede Form von Gehirnwäsche. Wenn, dann habe er Kunst um der Kunst willen gemacht, so wie seine großen Vorgänger des 16. Jahrhunderts, die er Zeitgenossen nannte.
70.000 Besucher kamen zuletzt jährlich auf den Schlachtberg. Dieses Jahr werden es, wohl auch wegen des 500. Reformationsjubiläums, wieder ein paar mehr sein.
Und der Künstler selbst? Der wünschte sich vor seinem Tod 2004 ein Publikum, das einigermaßen fähig sei zu sehen. Das nicht ständig nur reflektiert. Besucher die - bloß nicht - mit einem Bildungsbedürfnis kommen. Das wäre scheußlich. "Nein", sagte Tübke, "das wünschte ich nicht."