Es stürmt, es nieselt, die Kirchenglocken der Festeburg-Gemeinde in Frankfurt toben, daneben verschwinden alle anderen Geräusche: Autos, die vorbeifahren, Autotüren, die knallen, Schritte. Plötzlich stehen alle da, die zur Bibelstunde der rumänischen Kirchengemeinde Centrul Crestin wollen. Ein Kunststück, denn viele wohnen bis zu 60 Kilometer außerhalb der Stadt. Herzliche Umarmungen, Handschläge, ein Neuer ist da, ein kleiner, blonder, dessen breites Lächeln Wellen in seinem Gesicht schlägt. "Hallo, ich bin Alexandro", stellt er sich allen einzeln vor. Um die Gruppe herum springt die kleine Tochter von Gemeindevorstand Andrei To?a.
Die Tische im Gemeinderaum im Schatten des Glockenturms sind schnell zusammen gerückt. Nadja, Andreis Frau kocht Teewasser. Ihre Schwester Vanessa ist auch da. Ansonsten Männer. Die Frauen? Viele haben damit zu tun, neben der Arbeit das Haus zu versorgen und den Sonntag vorzubereiten. "Die Frauen haben mehr Arbeit", gibt Andrei zu und sagt: "Letzte Woche war Männertreffen. Und wir haben besprochen, dass wir uns öfter sehen wollen. Das haben sich viele gleich zu Herzen genommen."
Dabei beten sie wahrlich nicht selten gemeinsam: Seit dem 16. Dezember 2008 ist jeden Sonntag Gottesdienst, zwei Mal pro Woche Bibelstunde. Es gibt einen Chor und eine Kapelle, für Weihnachten werden rumänische und internationale Weihnachtslieder geübt, mit denen zieht die Gemeinde von Haus zu Haus. "Eine schöne Tradition ist das geworden", sagt Nadja. "Viele warten schon auf uns mit Plätzchen und Gebäck."
Die Rumänen gehen so oft wie möglich in die Kirche. "In Rumänen haben wir jeden Tag die Möglichkeit in einen Gottesdienst zu gehen", sagt Andrei, "und für alle Arbeitskollegen ist es normal, man trifft sich dort wieder. In Deutschland ist das anders. Wer hier jeden Tag in die Kirche geht, wird komisch angeschaut."
"Den Glauben im Herzen leben, nicht nur aus Tradition"
Um den Tisch herum sitzen Alin, Johann, Daniel, Gabriel und Alexandro, und Andrei und seine Familie.
- Alin, Mitte 20, ist seit 2012 in Deutschland. "Gott habe ich mit 19 kennen gelernt", sagt er. "Im Gebet."
- Johann, Rentner, seit 30 Jahren in Deutschland, stammt aus einer sehr gläubigen Familie.
- Daniel hat Gott mit Mitte 20 kennen gelernt. "Ich bin in eine sehr schlimme Sache hineingeraten und wusste nicht, wie ich da wieder rauskommen sollte", sagt er. "Als Jungendlicher hatte ich aufgehört, zu beten. Aber da habe ich es wieder getan. Ich bin auf die Knie gegangen." Und nach ein paar Wochen hat sich die Situation tatsächlich gelöst.
- Gabriel hat im Gebet Gott gefunden.
- Alexandro hatte eine schwierige Phase, ist abgerutscht, hat Drogen genommen. "Gott half mir heraus", sagt er nur. "So habe ich ihn kennen gelernt."
Es ist ein bisschen anders in dieser freichristlichen Gemeinde. "Gott kennen lernen" ist ein persönlicher Weg, den die Gemeindemitglieder gehen. Als Kinder werden sie gesegnet. Zu Gott müssen sie trotzdem erst finden, dann entscheiden sie, sich taufen zu lassen. Bei manchen passiert das ganz automatisch, sie wachsen hinein, wie Johann, oder Andrei, der als Teenager schon wusste: "Gott, dem vertraue ich." Manchen fällt die Erkenntnis wie ein reifer Apfel vor die Füße, bei anderen entwickelt sie sich in vielen kleinen Momenten. Gott kennen, heißt: ihn im Herzen haben, ihm vertrauen. Blind. Immer. "Dieser Moment, diese Entscheidung ist ein großer Schritt nach vorn", erklärt Andrei. "Und es geht nicht mehr zurück. Den Glauben muss man mit ganzem Herzen leben, nicht als Tradition." Jeder engagiert sich für seinen Glauben. Alin macht im Chor mit, Andrei organisiert die Gemeinde gemeinsam mit Nadja und hält Bibelstunde, Alexandro verbringt jedes Jahr sechs Monate in Namibia und hilft den Menschen dort, die anderen sechs Monate tingelt er durch Europa und jobbt das Geld dafür zusammen. Daniel ist extra von Duisburg nach Frankfurt gezogen, weil er dort keine gute Gemeinde für sich gefunden hat. Für Gabriel sind die Bibelstunden und Gottesdienste jede Woche wie die Pause in einer Oase inmitten der Wüste, wie er sagt.
Gottvertrauen: In Rumänien eine große Übung
Die Entwicklung der deutschen Kirchen – und der rumänischen – macht ihnen Sorgen. "Die Festeburggemeinde hat etwa 1500 Mitglieder. Aber nur 30 bis 50 gehen in den Gottesdienst", sagt Andrei. "Wir haben etwa 50 Vereinsmitglieder, zum Gottesdienst kommen 70 bis 80. Vielleicht vertrauen die Deutschen nicht mehr wie früher auf Gott, weil es ihnen so gut geht? Wie es den Juden in der Bibel immer wieder passiert ist?"
Zugleich sind sie den Deutschen sehr dankbar. "Vor 500 Jahren wurde in Deutschland der Glaube befreit, weg von leeren Riten hin zum Herzen", sagt Andrei. Deutschland hatte die besten Theologen der Welt. Es ist ein Land, das eng mit Gott verbunden ist. Dank dieser Mentalität hat es nach dem Weltkrieg sich wieder so aufrichten und bessern können." Nur, wo sind die Theologen jetzt? Mittlerweile findet Andrei, haben die freien Kirchen in Rumänien die besseren Prediger, die Gottesdienste hervorragend vorbereiten, mit viel Bedacht Themen und Lieder auswählen.
Eingangsgebet vor der Bibelstunde. Wem die Worte kommen, der soll laut beten: "Ich möchte, dass Frankfurt gerettet wird, bitte hilft mir dabei", sagt Johann.
In Rumänien ist es anders. Das Land war arm und von Korruption geplagt. Vieles hat sich gebessert, seit das Land in der Europäischen Union ist. Firmen sind gekommen, Arbeit, die Wirtschaft ist stabiler – Die Korruption geht langsam, sehr langsam zurück. Aber viele können es noch nicht so recht glauben. Dankbar sein, Gott vertrauen ist in Rumänien eine große Übung. Ist sie für die, die in Deutschland gelandet sind, dementsprechend etwas leichter? Deutschland ist ganz anders, es ist grün, es ist wasserreich, es ist geordnet und gepflegt, es ist akkurat. – Ständig entschuldigen sich die Männer für ihr Deutsch. Sie sprechen sehr gut, viele fast fehlerfrei. Aber sie sind froh, dass Nadja dolmetscht. Lieber keine Blöße geben vor einer Deutschen.
"Gott ist alles was ich brauche"
Sie lesen den Psalm 23: "Der Herr ist mein Hirte." Vanessa öffnet ihr Notizbuch und schreibt mit. "Es gibt zwei Theorien darüber, wann der Text entstanden ist", sagt Andrei. "Nach der einen war David jung und stand vor seinem Kampf mit Goliath, als er ihn schrieb. Nach der anderen war er ein alter und zufriedener Mann. Ein Teil der Mensch ist arm und muss betteln. Andere haben alles. Haben sie Glück? Ist Glück Zufall?"
Gabriel erzählt von einem Streit auf der Arbeit, wegen einer Nichtigkeit. Der Streit hat ihn bedrückt, obwohl seine Frau versuchte ihn aufzumuntern. Nun, den Vers "Mir wird an nichts mangeln" vor Augen, überlegt er: "Glück hat nichts mit der Arbeit zu tun, mit meiner Familie oder mit dem, was ich besitze. Glück ist, zufrieden zu sein, mit dem, was ich habe, und dankbar zu sein. Denn es ist alles, was ich brauche. Gott ist alles, was ich brauche."
Alexandro berichtet von seinen Lebenserfahrungen, seit er Gott kennen gelernt hat und für ihn arbeitet. "Das ist Glück", sagt er. "Eine Beziehung zu Gott haben, für ihn arbeiten. Die Beziehung zu Gott beginnt irgendwann, aber sie endet nie."
Der Schlüssel zum Glück
"Können Menschen auch glücklich sein, die keine Beziehung zu Gott haben?", fragt Gabriel.
"Was würdest du sagen?", sagt Andrei.
"Vielleicht ist jenes vermeintlich Glück eine Illusion", sagt Gabriel. "Aber in anderen Religionen als der unseren?"
Da schaltet sich Alexandro ein: "Die Beziehung zu Gott fußt auf den persönlichen Erlebnissen", sagt er. "Ich fühle sie beim Singen, beim Beten, beim Helfen, beim Lesen der Bibel. Ich habe sie noch nie in einer anderen Religion gefühlt." Derweil hat Gabriel sein Smartphone gezückt und sucht im Internet nach einer Definition von Glück. "Glück ist das Gefühl von Dankbarkeit aus tiefstem Herzen", liest er vor. "Verbunden mit einem Zeitpunkt, es hat einen Anfang und ein Ende."
Sie diskutieren noch ein bisschen über das Glück, ob man glücklich sein kann, wenn man stirbt, wie sich jeder das Jenseits vorstellt. Um die Tischgruppe herum saust und prustet Andreis kleine Tochter wie eine Miniatur-Eisenbahn und kehrt nach jeder zweiten Runde bei einem ein, um ihn anzulachen, ein Stück Brezel anzubieten – oder um bei Nadja einen Schluck Tee zu trinken.
Am Ende sagt Gabriel: "Ich habe heute gelernt, dass es großes Glück ist, immer dankbar zu sein, auch in schlechten Zeiten. Denn ich habe immer mehr, als ich nicht habe."