Manchmal musste Hannelore Hübner ziemlich schlucken. Zum Beispiel, wenn ihre Schüler über tote Geschwister geschrieben haben. Oder die nicht selbst gekannte Großmutter: "Liebe Oma, schade dass du schon verstorben bist." Neben diesen Satz sind Wolken gemalt, darunter eine Blumenwiese - alles in weiß. Mehr als 200 Blätter Blindenfolie mit Wort und Bild gewordenen Gedanken von Grundschülern zum Thema Trauer und Tod sind in den vergangenen Monaten zusammengekommen. Nun sollen die kindlichen Notizen in Eisingen und Waldbrunn bei Würzburg ausgestellt werden, als Denkanstöße und Gesprächsgrundlage.
Die Idee zu dem Projekt hatte die katholische Religionslehrerin nicht selbst. Sie beschäftigt sich zwar seit Jahren mit dem Thema Trauer bei Kindern und in der Schule - Hübner ist nämlich auch Mitglied des Teams Krisenseelsorge in der Schule im Bistum Würzburg. Im März 2017 war sie bei einer Fortbildung der Kunstpädagogin Marielle Seitz - die "Briefe, die zum Himmel fliegen" hieß, ebenso wie eines von Seitz' Büchern. Kern der Fortbildung war das Kunstprojekt "Liebensbriefe", bei dem Kinder oder Jugendliche Briefe an Verstorbene zeichnen oder schreiben. "Mitten aus dem Leben schreiben Kinder liebe Briefe an Tote", erläutert Hübner.
Tränen gab es auch
Ihr Vorhaben, das Projekt an der Grundschule Eisingen-Waldbrunn zu starten, kam gut an. Statt es nur in ihrem eigenen Religionsunterricht anzubieten, wurde es auf die ganze Schule ausgeweitet. "Wir haben die Eltern natürlich vorher um ihr Einverständnis gebeten - und die meisten hatten überhaupt keine Bedenken", erinnert sich Hübner: "Wir wollten im Vorfeld von den Eltern auch wissen, ob es gerade akute oder noch nicht ganz aufgearbeitete Trauerfälle gibt, damit wir darauf eingehen können." So spielerisch das Projekt auch mit dem Thema Tod und Trauer umgeht - Tränen gab es dabei "mal in jeder Klasse", sagt Hübner.
Der Ablauf war in den Klassen eins bis vier immer der gleiche. Die Kinder bekommen die Blindenfolie - ein matt-transparent-weißes Papier - sowie Ölkreide und einen weißen Stift. Es folgt nur noch die Arbeitsanweisung, den Brief an verstorbene Tiere oder Menschen zu schreiben, los geht's. "Die Schüler sind kindlich-intuitiv ohne viele Fragen an das Thema ran", erinnert sich Hübner. Bei den jüngeren seien die Bilder und Worte "nicht zu sehr reflektierend" gewesen, aber doch ergreifend. Nach maximal 30 Minuten waren die Briefe fertig: "Wenn sie das Projekt mit Erwachsenen machen, würden die erst mal eine halbe Stunde nur überlegen."
Kinder haben Trauerpfützen
Herausgekommen sind Briefe an ein verstorbenes Haustier, wie zum Beispiel: "Liebe Gregoria, ich vermisse dich sehr. Aber du bist für immer in meinem Herzen!" Oder an einen unbekannten Erwachsenen: "Lieber Ernst, schade, dass Du schon tot bist." Die Briefe seien ein Ausdruck dessen, wie Kinder trauern. Nämlich meist heftig in kurzen Phasen. "Für Kinder gibt es kein Trauermeer wie bei uns Erwachsenen, es sind kleine Trauerpfützen. Sie springen hinein und wieder hinaus", weiß Hübner. Für Erwachsene wirke es oft befremdlich, dass Kinder aus einer tiefen Trauer heraus plötzlich wieder unbeschwert zu spielen beginnen.
Alle "Liebensbriefe" sollen nun zusammen ausgestellt werden, im Freien, aufgehängt in zwei bis drei Reihen übereinander. "Allerdings nicht auf Erwachsenen-, sondern auf Kinderhöhe", sagt die Religionspädagogin. Denn die Ausstellung soll eine Anregung für die Erwachsenen sein, über die Gefühle zum Thema Tod und Trauer mit ihren Kindern zu sprechen, erläutert sie. Gezeigt werden sollen sie in der Woche der Herbstferien zuerst auf dem Friedhof Eisingen - hinter der Aussegnungshalle auf der Wiese. Zwei Wochen nach den Ferien wandern die "Liebensbriefe" dann nach Waldbrunn auf den dortigen Friedhof.