Die Geschichte spielt in einer evangelikalen freikirchlichen Gemeinde in Stuttgart. Die Mitglieder führen ein pietistisches Leben. Als Pastor Johannes Klare (Edgar Selge) und seine Frau Lydia (Franziska Walser) eines Tages einen gestrauchelten jungen Mann bei sich aufnehmen, stellt sich die Nächstenliebe als Zerreißprobe für den Glauben des Pastors wie auch für seine Stellung innerhalb der Gemeinde heraus: Simon (Jannis Niewöhner) ist schwul, und in Klare erwacht seine seit vielen Jahren unterdrückte Homosexualität; aus Sicht seiner Gemeinde, die die Bibel als Sammlung von Verhaltenspostulaten betrachtet ("Du sollst nicht beim Mann liegen, wie man beim Weibe liegt") eine Sünde.
Schon die Entstehungsgeschichte von "So auf Erden" unterscheidet sich von der üblichen Stofffindung: Als sich Claudia Schreiber mit der Idee an den SWR-Redakteur Manfred Hattendorf wandte, traf sie auf offene Ohren, denn wie die Autorin, so ist auch Hattendorf in einer bibeltreuen Freikirche aufgewachsen. Schreiber, so schildert es Hattendorf, schwebte ein Konflikt vor, bei dem sich der Protagonist vor die Wahl gestellt sieht "zwischen dem vorgeschriebenen ‚rechten Weg’ seines Glaubens und dem Weg, den er im Widerspruch dazu als Mensch, Ehemann und Seelsorger in einer bestimmten Situation gehen möchte"; ein Film "über evangelikale Spielformen des Fundamentalismus im christlichen Glauben also".
Die Frage ist nur, wie daraus eine Geschichte wird, die auch glaubensfremde Zuschauer anspricht, ohne die evangelikale Gemeinde als Ansammlung von Spinnern oder gar als Sekte darzustellen. Beides ist Martin Rosefelt und Pia Marais ausgezeichnet gelungen, zumal ihr Drehbuch auf jede moralische Bewertung verzichtet (die evangelische Theologin Johanna Haberer, Professorin für Christliche Publizistik an der Uni Erlangen-Nürnberg, stand dem Autorenpaar als Beraterin zur Seite). Der entscheidende Name für die intensive Wirkung des Films ist jedoch Edgar Selge: Der Ausnahmeschauspieler verleiht dem Pastor zwar gerade bei seinen emphatischen Predigten eine charismatische Aura, aber er verkörpert ihn nicht als Menschenfänger. Im Grunde sind die Gemeindemitglieder Christen wie andere auch, sieht man davon ab, dass sie einen Neuankömmling wie Simon nicht nur bildlich gesprochen mit offenen Armen empfangen: Zur Begrüßung pflegen sich alle in den Arm zu nehmen. Es mag irritieren, dass das Ehepaar Klare für wirklich jede Lebenslage das passende Gebet parat hat und sich bei sämtlichen zu treffenden Entscheidungen auf das Wort Gottes beruft, das die beiden in der Tat buchstäblich nehmen. Trotzdem kommen sie damit gut durch den Alltag; bis es zum existenziellen Konflikt kommt. Völlig zu Recht bezeichnet Simon die beiden als rückständig, weil sie Homosexualität für eine Krankheit halten, von der die Betroffenen geheilt werden müssten. Endgültig absurd wird es allerdings, als ein befreundeter Arzt (Falk Rockstroh) gegen Ende bei Klare einen Exorzismus versucht, weil er überzeugt ist, der Pastor sei vom Teufel besessen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Damit "So auf Erden" auch weltliche Anknüpfungspunkte bietet, wartet das Drehbuch mit zwei weiteren Figuren auf, deren Taten in krassem Widerspruch zu ihren Worten stehen: Lydias Neffe Bernd (Thilo Prothmann) ist für die Buchhaltung zuständig und zweigt regelmäßig Geld ab, um die teure Behandlung seiner kranken Frau zu bezahlen. Ungleich niederträchtiger verhält sich ein offenbar vermögendes Gemeindemitglied mit dem treffenden Namen Reiche (Peter Jordan): Der Mann will das von Klare geplante neue Gemeindezentrum mit einem beträchtlichen Darlehen unterstützen und die Gelegenheit nutzen, um seinen Einfluss zu vergrößern. Als Bernd von Klares Homosexualität erfährt, sorgt er dafür, dass seine Unterschlagungen kein Thema mehr sind; und Reiche sieht seine Chance gekommen.
Bei Till Endemann wusste Hattendorf die Geschichte in guten Händen. Der Regisseur hat schon einige diffizile Projekte für den SWR realisiert, allen voran "Flug in die Nacht - Das Unglück von Überlingen" (2009), aber auch das Justizdrama "Unter Anklage: Der Fall Harry Wörz" (2014). Seine sachliche Inszenierung verhindert, dass die Freikirchler als sektiererische Sonderlinge erscheinen; deshalb ist die bedrohliche Aufnahme eines Kreuzes über dem Stuttgarter Talkessel auch etwas irritierend. Davon abgesehen hat er umgesetzt, was er sich vorgenommen hatte: Er wollte einen Film machen, der einerseits "glaubhaft in den Mikrokosmos einer freikirchlichen Gemeinschaft eintaucht" und andererseits "universelle gesellschaftsrelevante Fragen" und somit "das Wertesystem auch ganz grundsätzlich auf den Prüfstand stellt." Sein Drama ist ein bewegendes Plädoyer für Toleranz, inner- wie außerhalb der Kirche.