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TV-Tipp: "Ein schmaler Grat" (BR)
12.9., BR, 23.00 Uhr: "Ein schmaler Grat"
Ein Mörder und eine junge, bisschen naive Journalistin: eine faszinierende Konstellation; erst recht, wenn die beiden ein düsteres Geheimnis verbindet.

Ein Mann um die sechzig, sympathisch, höflich, vertrauenerweckend; eine junge Frau, offen, verletzlich, ein bisschen naiv: Mehr braucht es nicht für einen fesselnden Film, wie dieses Debüt beweist. Der Mann ist ein Serientäter, er hat mindestens neun Menschen auf dem Gewissen; die Frau ist Journalistin, sie will ihn verstehen, will wissen, warum er die Taten begangen hat. Der Mörder und das Mädchen: eine faszinierende Konstellation; erst recht, wenn die beiden ein düsteres Geheimnis verbindet.


"Ein schmaler Grat" ist 2012 entstanden, es war Daniel Harrich erste Arbeit als Spielfilmregisseur. Innerhalb weniger Jahre später hat sich der Sohn des für seine Dokumentationen mehrfach ausgezeichneten Ehepaars Walter Harrich und Danuta Harrich-Zandberg seither in der ersten Fernsehliga etabliert: "Der blinde Fleck" (2013, über das Münchener Oktoberfest-Attentat), "Meister des Todes" (2015, über illegale deutsche Waffenexporte) oder zuletzt "Gift" (2017, über den milliardenschweren Handel mit gefälschten Medikamenten), jeweils in Kombination mit vertiefenden Reportagen ausgestrahlt, brachten ihm den Ruf eines investigativen Filmemachers ein. Tatsächlich versteht sich Harrich eher als Journalist denn als Filmregisseur. Das zeigt sich auch bei einigen seiner Hauptfiguren: Der Protagonist von "Der blinde Fleck" ist Reporter und arbeitet für den Bayerischen Rundfunk, genauso wie Dana Herrendobler, die Heldin aus "Ein schmaler Grat".

Münchner Justizvollzugsanstalt einer der Hauptschauplätze

Auch wenn Felicitas Woll mittlerweile dank der Nele-Neuhaus-Verfilmungen im ZDF und vor allem ihrer beeindruckenden und mit dem Bayerischen Fernsehpreis gewürdigten Darstellung einer gepeinigten Ehefrau in "Die Ungehorsame" (Sat.1 2015) einen noch höheren Status genießt: Sie war auch 2012 mit Anfang dreißig eine gestandene und erfahrene Schauspielerin. Und doch wirkt sie hier viel jünger und sehr verletzlich. Das lässt sich zum Teil durch Äußerlichkeiten wie den bis über die Augen reichenden Pony und das sparsame Make-up erklären; aber der Rest ist Schauspiel. Dana ist das perfekte Gegenstück zum doppelt so alten Johannes Heintz. Heiner Lauterbach verkörpert den charmanten Mörder nicht minder eindrucksvoll: Mit sanfter Stimme, die mitunter nur ein Flüstern ist, gewinnt er nach und nach das Vertrauen der jungen Journalistin. Geschickt lässt Harrich, der auch das Drehbuch geschrieben hat, zunächst die Frage offen, warum Dana geradezu besessen davon scheint, die Motive des Mörders zu ergründen.
Für ein Debüt ist das ein durchaus mutiger Stoff, denn weite Teile der Handlung tragen sich im Besucherraum der Münchener Justizvollzugsanstalt zu. Daniel Harrich und sein Vater Walter, der die Kamera führt, versuchen gar nicht erst, die Gesprächssituation auf ungewöhnliche Weise aufzulösen, wie das oft im "Tatort" zu beobachten ist. Es gibt keine raffiniert gesetzten Lichtinseln oder originelle Kameraperspektiven; bloß zwei Menschen, die rasch vergessen lassen, dass sie Schauspieler sind. Kein Wunder, dass Lauterbach seither in allen Filmen Harrichs mitgewirkt hat. Auch die weiteren Rollen sind verblüffend prominent besetzt. Jürgen Prochnow spielt den Kommissar, der Heintz zwar zur Strecke gebracht hat, ihm aber gern noch weitere unaufgeklärte Morde nachweisen würde, weshalb Dana dank der Einflüsterungen des Täters irgendwann mutmaßt, der Ermittler benutze sie bloß. Während Suzanne von Borsody als mütterlich verständnisvolle Taxifahrerin immerhin mehrmals auftaucht, wirkt Sunnyi Melles als Heintz’ Ehefrau nur in einer winzigen Szene mit, aber die hat es in sich: Ein Blick in das maskenhafte erstarrte Gesicht der Gattin genügt, um zu erahnen, warum ihr Mann zum Mörder wurde.

Hinter Danas mädchenhaften Auftreten lauert ein Abgrund

Natürlich geht es in den langen Gesprächen zwischen der Journalistin und dem Häftling auch um die grausigen Kindheitserlebnisse des Mannes, schließlich betreibt Dana Ursachenforschung, doch im Grunde ist weniger wichtig, was Heintz sagt, sondern wie er es sagt; und wie er die junge Frau mehr und mehr für sich zu gewinnen scheint. Er hat keine Ahnung, dass hinter Danas mädchenhaftem Auftreten ebenfalls ein Abgrund lauert, den Harrich unter anderem durch ihr zwanghaftes Händewaschen andeutet.
"Ein schmaler Grat" ist 2013 beim Max Ophüls Preis gelaufen und anschließend in der Versenkung verschwunden, allerdings aus freien Stücken, wie der Regisseur betont: Er hatte mittlerweile die Zusage zu "Ein blinder Fleck" bekommen und sein Debüt in aller Eile beenden müssen. Seither hat er den Film, den er selbst als überfrachtet empfand - "zugekleistert mit Musik und Effekten" -, mehrfach bearbeitet. Im Lauf der Zeit seien die Fassungen immer reduzierter geworden. Die finale Version dauert nur noch gut eine Stunde und ist fast ein Kammerspiel. Umso effektiver sind einige optisch verfremdete kurze Einschübe in Form von Rückblenden und Albträumen. Einmal träumt Dana von einem innigen gemeinsamen Tanz mit Heintz; ein perfektes Bild für den Pas de deux, vom dem der Film erzählt.