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TV-Tipp: "Tatort: Stau" (ARD)
10.9., ARD, 20.15 Uhr: "Tatort: Stau"
In einer Wohngegend ist ein junges Mädchen von einem Auto angefahren worden; der Fahrer oder die Fahrerin ist geflüchtet. Das Unfallauto kann nur einen Weg genommen haben, und der führte geradewegs in einen Stau. Die Ermittler haben zwei Stunden Zeit, den Täter zu finden.

Angesichts des überschaubaren Handlungskerns passiert in diesem Krimi mit dem schlichten Titel "Stau" erstaunlich viel: In einer Wohngegend ist ein junges Mädchen von einem Auto angefahren worden; der Fahrer oder die Fahrerin ist geflüchtet. Das Unfallauto kann nur einen Weg genommen haben, und der führte geradewegs in einen Stau: Am Fuß der Weinsteige, der Straße oberhalb des Stuttgarter Talkessels, ist eine Rohrleitung geplatzt, die Reparatur wird bis zu zwei Stunden dauern; solange haben die Ermittler Zeit, das richtige Fahrzeug zu finden.
Obwohl der Film größtenteils zwischen parkenden Autos spielt, ist "Stau" von der ersten bis zur letzten Minute fesselnd und kurzweilig. Hauptkommissar Lannert (Richy Müller) wird mit einer Vielzahl unterschiedlichster Charaktere konfrontiert, die eins jedoch eint: Alle wollen nach Hause. Der Prolog gibt den Tonfall vor: Eine Kindergärtnerin hält einem Vater einen Vortrag darüber, dass die Leute nur noch durchs Leben hetzten und trotzdem dauernd "mit Vollgas im Stau" stünden. Entsprechend gereizt sind die Menschen, und selbstredend lassen sie ihren Zorn an den Beamten aus: Der Mann, der mit seiner nervigen Frau auf dem Weg zur Paartherapie war; der Angestellte, der von seinem Vorgesetzen schikaniert wird; die Mutter, deren quengelige Tochter immer wieder in voller Lautstärke dasselbe Lied hören will; der alte Schwabe, der aus seiner Wohnung raus muss; der Dienstwagenchauffeur, der versucht, die herablassenden Kommentare seiner unglaublich blasierten Chefin zu überhören. Die wichtigsten Figuren charakterisiert Regisseur Dietrich Brüggemann bei ihrer Einführung zu Beginn mit einer flotten Schnittfrequenz durch die Rock- und Popmusik, die sie hören.


Die Stimmung zwischen den Polizisten, die wegen diverser anderer Ereignisse ohnehin einen "Großkampftag" erleben, nimmt ebenfalls an Spannung zu, zumal es Lannert dem Schupo-Chef nicht leicht macht: Erst sollen die uniformierten Kollegen die rund 800 Autos auf Unfallschäden untersuchen. Dann heißt es, das Mädchen sei aus einem fahrenden Wagen gefallen. Weil es zuvor Geschlechtsverkehr hatte, mutmaßen die Ermittler, die 14-Jährige sei womöglich missbraucht worden; die Polizisten bekommen daher die Anweisung, sich nun auf die männlichen Insassen zu konzentrieren. Während Lannert mit stoischer Ruhe den wahlweise verblüfften oder empörten Autofahrern nacheinander mitteilt, gegen sie liege "ein Anfangsverdacht wegen fahrlässiger Tötung" vor, befragt Bootz (Felix Klare) die Anwohner des Unfallorts. Auch hier sorgt das Drehbuch, das Brüggemann gemeinsam mit Daniel Bickermann geschrieben hat, für Extreme: Die einzigen Augenzeugen sind ein dreijähriger Junge und eine achtzig Jahre alte Frau.

Bissige Momente und ausgefeilte Technik

Aufgrund der vielen Mitwirkenden ist "Stau" nicht nur äußerst abwechslungsreich, sondern dank Lannerts gelegentlicher Ironie und diverser Einfälle am Rande auch unerwartet witzig; so ist zum Beispiel das "Phantombild", das Bootz vom gesuchten Auto schickt, eine Kinderzeichnung, die auch einen Traktor darstellen könnte. Der soziale Querschnitt der Figuren lässt den Film stellenweise zur Gesellschaftssatire werden, weil Brüggemann im Rahmen der Krimihandlung tiefe Blicke in verschiedenste menschliche Abgründe wirft; gleichzeitig sind die Menschen aller Unterschiedlichkeit zum Trotz im Stau alle gleich. Da Bootz und die äußerst hilfsbereite Mutter (Amelie Kiefer) des kleinen Jungen offenkundig Gefallen aneinander finden, kommt sogar eine Prise Romantik hinzu. In Brüggemanns Kinofilmen (etwa "Renn, wenn du kannst" über einen Rollstuhlfahrer) ist der Humor gern sarkastischer Natur, aber auch sein "Tatort"-Debüt enthält einige bissige Momente; vor allem in den Szenen mit Rüdiger Vogler als typischer Bruddler (das schwäbische Pendant zum bayerischen Grantler).
Besonderen Respekt verdient der Aufwand, den der SWR getrieben hat, und das nicht nur wegen der dreißig Sprechrollen. Abgesehen vom "Tatort"-Ensemble und den genannten Ausnahmen (dazu noch Jacob Matschenz als Chauffeur) sind die Mitwirkenden kaum bis gar nicht bekannt, aber sie machen ihre Sache ausnahmslos ausgezeichnet. Perfekt gelungen ist auch die technische Seite: Die Stauszenen sind innerhalb von 13 Drehtagen in einer Freiburger Messehalle entstanden. Dort wurde die eine Straßenseite mit dem Hang errichtet; der Ausblick aufs Tal ist nachträglich digital eingefügt worden; in den Bildern ist von beidem nichts zu bemerken. Die Idee hatte Brüggemann übrigens, als er im Stau stand; auf der Weinsteige.