Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Ich gehöre ihm" (ARD)
30.8., ARD, 20.15 Uhr: "Ich gehöre ihm"
Die Dramaturgie dieser Geschichte erinnert an WDR-Dramen wie "Wut" von Züli Aladag (2006), "Zivilcourage" von Dror Zahav (2010) oder die Kinokoproduktion "Knallhart" von Detlev Buck (2006): Brave bürgerliche Existenzen werden mit gesellschaftlichen Abgründen konfrontiert, von denen sie vorher keine Ahnung hatten. Wie in "Wut" und "Knallhart" wird die Handlung aus jugendlicher Sicht erzählt:

Die 15jährige Caro ist ein Mädchen aus behütetem Elternhaus. Mit einer langen Kamerafahrt von außen in und durch das Haus stellen Regisseur Thomas Durchschlag und sein Kameramann Olaf Hirschberg mit den ersten Bildern das behagliche Heim und die Familie vor. Für Caro könnte es gerade nicht besser laufen: Erst wird sie zur Kapitänin des Basketballteams ernannt, dann interessiert sich ein ziemlich gut aussehender älterer Junge für sie. Cem erobert sie nach allen Regeln der Kunst, macht ihr Geschenke und Komplimente. Dass der 19-Jährige ein teures Auto fährt und in der Lage ist, eine Wohnung für das Paar zu kaufen, hinterfragt Caro nicht weiter. Ein erstes böses Erwachen erlebt sie, als Cem sie nach dem Sex auch noch mit seinen Freunden teilt. Kurz drauf offenbart er seine wahren Motive, aber Caro ist immer noch blind vor Liebe: Cem erzählt ihr, er habe "Schulden bei Typen, bei denen man keine Schulden haben sollte." Die Kerle seien der Meinung, Caro könne diese Schulden doch abarbeiten, aber das wolle er nicht zulassen, eher lasse er sich umlegen; und so wird das Mädchen zur Prostituierten und landet schließlich auf dem Straßenstrich. Als sie aussteigen will, lässt Cem endgültig die Maske fallen: Erst wird er gewalttätig, dann droht er, ihre kleine Schwester ebenfalls in den Sumpf zu ziehen.

Durchschlag ("Holger sacht nix") erzählt die Geschichte ohne jede Beschönigung; auf diese Weise bietet das Drehbuch von Angela Gilges und Ruth Olshan fast eine Art Blaupause des "Loverboy"-Phänomens. Die anschließende Dokumentation "Verliebt, verführt, verkauft" belegt, wie eng sich die Autorinnen an die Realität gehalten haben. Entscheidender für die Wirkung des Films ist jedoch nicht die Authentizität, sondern die Qualität der beiden Hauptdarsteller. Der attraktive und schon in "Bis zum Ende der Welt" und "Jeder Tag zählt" positiv aufgefallene  Samy Abdel Fattah ist eine vorzügliche Wahl für den Loverboy, weil er beide Seiten des skrupellosen jungen Mannes perfekt verkörpert: den Süßholzraspler, der Caro ständig vorsäuselt, sie sei seine Prinzessin, und alle Register zieht, um sie hörig zu machen; und den brutalen Zuhälter, als sie rausfindet, dass sie nicht die einzige Prinzessin ist, und aussteigen will.

Herausragend aber ist Anna Bachmann in ihrer ersten Rolle. Durchschlag verzichtet zwar konsequent auf Szenen, die voyeuristisch wirken könnten, aber er hat seiner jungen Hauptdarstellerin trotzdem sehr viel abverlangt; es gibt diverse Einstellungen, in denen sie nur spärlich bekleidet ist. Dafür war sicher eine Menge Mut nötig, denn die pummelige, pausbäckige Caro ist kein Mädchen, das sich durch den Kuss des Traumprinzen in einen schönen Schwan verwandelt. Die Kleider, die Cem ihr schenkt - ein kurzes Schwarzes mit High Heels oder auch verführerische Dessous – lassen sie keineswegs sexy, sondern bloß grotesk aussehen. Als Caro den ersten Termin mit einem Freier hat, wirkt sie wie ein in die Enge getriebenes ängstliches Tier. Dazu passt die Art, wie Durchschlag die Beischlafszenen filmen ließ: Er reduziert die Männer auf Merkmale wie Wampe oder Glatze. Die Bilder sind nicht erotisch, sondern abstoßend, und wecken daher keine Lust, sondern Mitgefühl.

Durchschlag erzählt die Geschichte fast ausschließlich aus Caros Sicht, was ihre Erlebnisse noch eindrücklicher erscheinen lässt. Dass die Eltern (Maria Simon, Bernd Michael Lade) eigene Probleme haben, wird eher am Rande thematisiert. Sie merken zwar, dass sich ihre Tochter verändert, aber das ist in der Pubertät schließlich ganz normal. Als sie mitbekommen, was für ein Martyrium Caro durchmacht, sind sie entsprechend entsetzt. Zwei einfache Inszenierungsideen genügen, um zu verdeutlichen, warum sie dennoch keine Chance haben, ihrer Tochter zu helfen: Als sie Caro ins Kreuzverhör nehmen, blendet das Mädchen die Fragen und Vorwürfe einfach aus, die Gesichter werden unscharf.

Respekt gebührt auch dem Entschluss der Verantwortlichen, dem Tonfall der Geschichte bis zum bitteren Schluss treu zu bleiben. "Wut" und "Zivilcourage" endeten bereits auf eine Weise, die nur Verlierer hinterließ; schon das war mutig. "Ich gehöre ihm" geht jedoch noch einen Schritt weiter und ist bis zum letzten Bild bedrückend hoffnungslos.