Israelische Flüchtlingshelfer für Deutschland? In Frankfurt am Main und in Berlin arbeiten Arabisch sprechende Sozialarbeiter und Psychologen aus Israel. Eingefädelt hat das die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). "Hierzulande gibt es zwar Übersetzer, aber kaum arabischsprachige Fachkräfte, die den kulturellen Hintergrund der Flüchtlinge kennen", sagt der stellvertretende Direktor der ZWST, Aron Schuster. Der Vorstand des Johanniter-Regionalverbands Rhein-Main, Oliver Pitsch, lobt: "Die Israeli kennen die Themen der Flüchtlinge und sie kennen unsere Gesellschaft."
Die Integration von Zuwanderern sei immer ein wichtiges Thema für die ZWST gewesen, erklärt Schuster. Und das seit 100 Jahren: Der Dachverband der jüdischen Wohlfahrtspflege wurde am 9. September 1917 gegründet. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts kamen mehr als 100.000 Juden, die aus Russland und südosteuropäischen Ländern vertrieben wurden, nach Deutschland. Dies sowie die sozialen Nöte während des Ersten Weltkriegs veranlassten die Sozialarbeiterin, Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Bertha Pappenheim (1859-1936), den Anstoß zur Gründung des Sozialverbands zu geben, wie die Berliner Historikerin Verena Buser erläutert.
Mit dem Zeitungsartikel "Weh' dem, dessen Gewissen schläft!" rüttelte die Gründerin des Jüdischen Frauenbundes aus Neu-Isenburg bei Frankfurt Ende 1916 die jüdische Öffentlichkeit auf. Pappenheim rief zu einem Zusammenschluss der nach Schusters Angaben damals mehr als 3.000 jüdischen Wohlfahrtsvereine in Deutschland auf. Sie waren aus dem jüdischen Verständnis heraus gegründet worden, dass Wohltätigkeit und Gerechtigkeit (hebr. Zedakah) religiöse Pflichten seien. Der Aufruf stieß auf ein positives Echo: Am 9. September 1917 beschlossen Delegierte in Berlin die Gründung der "Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden", wie sie zuerst hieß.
Der Sozialverband wuchs rasch, formierte eine Jugend- und Altenarbeit und kümmerte sich um Obdachlose. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten kamen Hilfen dazu für jüdische Kinder, die keine deutsche Schulen mehr besuchen durften, die Winterhilfe, weil Juden aus dem Winterhilfswerk ausgeschlossen wurden, und Auswanderungshilfen. 1939 schlossen die Nazis die Zentralwohlfahrtsstelle, die Restabteilung "Fürsorge" zerschlugen sie 1943 und ermordeten die meisten Mitarbeiter in Vernichtungslagern.
Das Arbeitsfeld wächst
Nach der Niederlage Hitlerdeutschlands beschloss der 1950 gegründete Zentralrat der Juden in Deutschland 1951 die Neugründung der ZWST. Als "Ein-Mann-Betrieb" von dem Auschwitz-Überlebenden Berthold Simonsohn in Hamburg geleitet, begann die ZWST soziale Helfer für die jüdischen Gemeinden zu schulen, staatliche Wiedergutmachungszahlungen durchzusetzen und bei der Eingliederung von Flüchtlingen aus der Sowjetischen Besatzungszone zu helfen. 1955 zog die Geschäftsstelle nach Frankfurt am Main.
Der Sozialverband griff weitere Tätigkeitsfelder auf: Erziehungsberatung, Jugendarbeit, Ausbildungsbeihilfen, Hilfe für Holocaust-Überlebende und Altenarbeit. In der Zeit des Kalten Krieges kam die Integration von jüdischen Flüchtlingen aus Osteuropa hinzu, die vor Repressionen flohen. Nach dem Fall der Mauer 1989 wurde dies die wichtigste Aufgabe. Mehr als 200.000 Juden aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion kamen nach Deutschland.
Überalterung der Gemeinden und Antisemitismus als Herausforderung
Der Dachverband hat nach Schusters Angaben heute rund 100 Mitarbeiter, die meisten von ihnen Sozialarbeiter und Pädagogen. Das Budget von acht bis neun Millionen Euro im Jahr werde vom Zentralrat der Juden in Deutschland und vom Bundesfamilienministerium aufgebracht. Auch in der Gegenwart entwickele sich die ZWST weiter: Die Behindertenarbeit werde verstärkt, nachdem Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion zunehmend davon überzeugt werden konnten, behinderte Angehörige nicht aus Scham zu verstecken. Der 2015 gegründete deutsch-israelische Freiwilligendienst schicke dieses Jahr 20 deutsche Freiwillige nach Israel und 20 Israeli nach Deutschland.
Die Fortbildung gegen Antisemitismus und Rassismus wird durch das 2015 in Berlin errichtete "Kompetenzzentrum Prävention und Empowerment" verstärkt. Die größten Herausforderungen heute seien die Überalterung der jüdischen Gemeinden und der wachsende Antisemitismus, sagt Schuster. "Ist es normal, dass unser Bildungs- und Freizeitheim im rheinland-pfälzischen Bad Sobernheim durch Sicherheitsleute geschützt werden muss?" Vor Jugendfreizeiten erkundigten sich Eltern regelmäßig nach den Sicherheitsmaßnahmen.
Mit einem Festakt am 10. September in Frankfurt feiern die jüdischen Gemeinden in Deutschland die Gründung der ZWST vor 100 Jahren. Als Gäste werden unter anderen Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) und der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, Peter Neher, erwartet.