Schon der Auftakt ist kinowürdig: Eine Gruppe maskierter Männer versucht, einen Gefangenen aus der Haftanstalt zu befreien; später zeigt sich, dass "Entführung" die passendere Bezeichnung wäre. Der raffinierte Plan scheitert jedoch, es kommt zu einem Schusswechsel mit Maschinenpistolen; die Szene endet mit der Selbsttötung eines der Männer. Als Einstieg ist die packende Sequenz ganz schön mutig; andere Filme heben sich ein derartiges Spektakel für den Schluss auf. Es folgt ein radikaler Stimmungswechsel: Schimanski (Götz George) vergnügt sich mit seiner Freundin Veronique (Yolande Gilot) im Bett, als die beiden von ihrem Sohn Simon (Rainer Matschurat) gestört werden; der Junge hat eine Wasserpistole in der Hand und spielt Schimanski. Nach ein bisschen Räuber & Gendarm sinkt der echte Schimanski tödlich getroffen theatralisch in den Schoß der Freundin.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Kombination dieser beiden völlig unterschiedlichen Szenen stellt nicht nur einen reizvollen Kontrast dar, sie gibt auch die Fallhöhe vor, denn die Konfrontation Schimanskis mit seinen Widersachern läuft auf einen archaischen Konflikt hinaus: Der Held muss die Seinen gegen die Feinde verteidigen; aus der Familienkomödie wird ein Actionthriller. Bei der Gruppe, die den Häftling entführen wollte, handelt es sich um ein iranisches Terrorkommando. JVA-Insasse Bohm (Gerhard Garbers) ist Elektronikwissenschaftler und war an der Entwicklung von Mikrochips beteiligt, wie sie unter anderem in Cruise Missiles verwendet werden; die Iraner brauchen sein "High Noon", wie Schimanski sagt, weil ihm "Know-how" nicht einfällt. Aber nun ist auch der Kommissar ins Visier der Terroristen geraten: Während ein weibliches Mitglied der Gruppe, die schöne Sheila (Nicole Ansari), dafür sorgt, dass Thanner (Eberhard Feik) eine Nacht lang seinen Beruf vergisst, wird Schimanski aus der Wohnung gelockt. Die Iraner entführen Simon und wollen ihn gegen Bohm austauschen. Das Ansinnen ist selbstredend aussichtslos: Mit ihrer harten Haltung bei der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer hatte die Bundesregierung knapp zehn Jahre zuvor nachdrücklich gezeigt, dass sich der Staat nicht erpressen lässt; das Ultimatum verstreicht. Schimanski sieht nur eine Chance, das Leben des Jungen zu retten: Er stellt sich den Entführern als Geisel zur Verfügung; ein Todeskommando. In der emotionalsten Szene des Films fahren Schimanski und seine Freundin zum nächtlichen Treffpunkt, dazu erklingt "Midnight Lady" von Chris Norman; kein Wunder, dass der Song zum Hit wurde.
Ansonsten aber inszeniert Ilse Hofmann den Film derart konsequent als Thriller, dass die gelegentlichen Humoresken umso verblüffender wirken: Schimanski hält eine ganze Kneipe in Schach und muss dann fragen, ob jemand 20 Pfennig hat, damit er die Kollegen anrufen kann. Mitunter arten die Scherze auch in Albernheit aus, wenn sich der Kommissar erst darüber freut, dass der pflichtbewusste Thanner dank seines nächtlichen Abenteuers auch mal Spaß hatte, und dann in gackerndes Gekicher ausbricht, weil er einen Witz erzählen will und die Pointe vergessen hat. Aber selbst das hat Methode und sorgt für einen weiteren Kontrast: Mitten ins fröhliche Geplänkel platzt die am Boden zerstörte Veronique mit der Botschaft der Entführer.
Die durch die Kinder- und Jugendfilme "Die Ilse ist weg" (1976) und "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" (1978) bekannt gewordene Grimme-Preisträgerin Hofmann ("Die Welt in jenem Sommer", 1980) war eine der wenigen etablierten Regisseurinnen jener Jahre. Dass sie sich auch in der Männerdomäne Krimi tummeln durfte, war erst recht etwas Besonderes. Dank ihrer packenden Umsetzung des Drehbuches, das Produzent Hartmut Grund gemeinsam mit "Hänschen"-Darsteller Chiem van Houweninge geschrieben hat, gehört "Der Tausch" zu den besten Schimanski-Episoden, zumal Hofmann dafür gesorgt hat, dass Kameramann Karl Kases den Helden fast zur Ikone werden lässt: Keine andere Figur wird in so nahen Einstellungen gezeigt wie Schimanski. Da Georges Gesicht dabei oft im Halbschatten liegt, wirken seine Augen womöglich noch blauer als sonst. In einer Bettszene weidet sich die Kamera an seiner Figur, wie das in der Regel nur bei weiblichen Körpern geschieht. Spätestens der Opfergang, als sich Schimanski gegen Simon austauscht, lässt ihn ohnehin überlebensgroß erscheinen. Kases’ Bildgestaltung hat zudem großen Anteil an der Intensität vieler Actionszenen, weil die Handkamera auch hier ganz nah an den Figuren bleibt; das war Mitte Achtziger allein vom Gewicht her eine Herausforderung. Die elektronische Musik von Dieter Bohlen tut ein Übriges. Ausgerechnet eine der fesselndsten Szenen, Schimanskis Ausbruch aus seinem Gefängnis und die Flucht im strömenden Regen, kommt ganz ohne Musik aus.
Interessant, wenn auch eher in größerem Zusammenhang, sind weitere Details: Die fragile Veronique, ein Fotomodell mit französischem Akzent, war offenbar im Wortsinne das "Role Model" für Marie Claire (Denise Virieux), Schimanskis spätere Freundin, die ab 1997 in vielen Filmen der eigenständigen "Schimanski"-Reihe mitwirkte. In der Schlussszene des Films kommt es zu einem Miniauftritt des dank "Männer" im Jahr zuvor quasi über Nacht zum Star gewordenen Heiner Lauterbach als BKA-Beamter, der den Duisburger Kommissaren den Fall abnimmt. Bloß die Schlusspointe wirkt ein bisschen aufgesetzt: Der CIA-Agent, der den BKA-Mann begleitet, fühlt sich aufgrund eines Missverständnisses beleidigt und verpasst Schimanski einen Schwinger, der ihn bäuchlings in eine Pfütze platschen lässt.