Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Tatort: Gefährliche Träume" (RBB)
31.7., RBB, 22.15 Uhr: "Tatort: Gefährliche Träume"
Tagsüber ist Carola (Dagmar Claus) eine brave Schülerin, aber die Nächte tanzt sie in der Disco durch. Durch ihren Freund Wolfgang (Michael Tregor) kommt sie zum ersten Mal mit Drogen in Kontakt. Als "Tatort: Gefährliche Träume" zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, war das Sachbuch "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" aus dem vorigen Jahr noch immer präsent.

Vermutlich lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen, warum der Sender Freies Berlin im ersten "Tatort"-Jahrzehnt einen derartigen Verschleiß an Kommissaren hatte; Hans Peter Korff war 1978 im erst sechsten Beitrag des SFB zur Sonntagskrimireihe bereits der dritte Darsteller, und auch Kommissar Behnke musste bereits nach dem zweiten Fall wieder seinen Hut nehmen. Dabei haben Günter Gräwert (auch Regie) und Georg Alten, die Drehbuchautoren der beiden Behnke-Filme, dem anfangs noch recht blassen Ermittler in "Gefährliche Träume" interessante Konturen gegeben (der RBB wiederholt den Krimi im Rahmen seiner restaurierten "Tatort-Classics): Mit seiner Nickelbrille und den für einen Beamten etwas zu langen Haaren wirkt der Polizist, der seine Zigaretten selbst dreht, wie ein 68er, der beim Marsch durch die Institutionen in der Mordkommission gelandet ist. Auch das Zusammenspiel mit dem stets gutgelaunten Assistenten Hassert (Ulrich Faulhaber) funktioniert richtig gut.

Gemäß der SFB-Tradition sind die beiden trotzdem nur Nebenfiguren in dieser Geschichte, mit der der Sender nicht nur die Berlinklischees, sondern auch die Sorgen vieler Eltern bedient hat: Schülerin Carola (Dagmar Claus) ist tagsüber eine brave Tochter, aber das ändert sich, wenn sie ausgeht; dann wird aus dem unscheinbaren Mädchen dank Make-up und Frisur eine attraktive junge Frau, die die Nächte in der Disco durchtanzt. Über ihren neuen Freund Wolfgang (Michael Tregor) kommt sie zum ersten Mal mit Drogen in Kontakt. Wolfgang wird vom Dealer Zoske (Vladimir Weigl) mit Heroin versorgt und stirbt eines Abends offenbar an einer Überdosis. Als Carola den Dealer zur Rede stellen will, kommt es zum Streit; sie schlägt den Mann mit einer Flasche nieder und lässt ihn scheinbar leblos zurück. Ihr Vater Erich (Peter Schiff) lässt die Leiche verschwinden, wird dabei aber von Junkie Schanitz (Bernd Herberger) beobachtet, der die beiden nun erpresst.

Über weite Strecken ist "Gefährliche Träume" ein Jugendporträt mit viel Musik, das die schlimmsten Befürchtungen vieler Eltern bestätigt; als der Film ausgestrahlt wurde, war das im Jahr zuvor erschienene Sachbuch "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" noch sehr präsent. Das bunte Schillern des Wortes "Träume" im Titel ist daher als Warnsignal gemeint: Diskotheken sind ein Drogensumpf. Sind Töchter aus gutem Haus dort erstmal hineingeraten, gibt es kein Zurück mehr; am Ende werden sie auf dem Strich landen. Im Verlauf des Films wird ein Kommissar aus dem Rauschgiftdezernat den für Themenkrimis dieser Art unvermeidlichen Kurzvortrag mit entsprechenden Statistiken vortragen. Tatsächlich belügt Carola ihren Vater nach Strich und Faden und beklaut ihn schließlich auch, um den Erpresser bezahlen zu können. Ungewöhnlich für damalige Verhältnisse ist allerdings der familiäre Hintergrund: Erich, von Peter Schiff sehr glaubwürdig als ebenso ehrlich bemühter wie überforderter Vater verkörpert, ist nach der Scheidung alleinerziehend; Carolas Ausreißversuche beantwortet er mit Ohrfeigen. Dagmar Claus wiederum spielt die Tochter derart überzeugend, dass der Hauptrolle eigentlich noch viele weitere hätten folgen müssen, aber ihre Spur verliert sich nach diesem "Tatort".

Abgesehen von den guten Leistungen auch der weiteren Darsteller ist "Gefährliche Träume" vor allem als Zeitdokument sehenswert. Die mit viel Elektropop unterlegten Szenen mit Carola, die ein anderes Leben führen will als ihre Eltern, sind ein authentisches Zeugnis der Stimmung unter den Jugendlichen jener Jahre. Gleiche gilt für die Reaktion des Vaters: Erich versteht die Jugend nicht, den Kindern gehe es doch gut. Gräwerts Inszenierung hingegen vermittelt wie schon bei "Sterne für den Orient", Behnkes erstem Fall, bei weitem nicht genug innere Spannung, und verliert sich in Details. Die Beseitigung der Dealerleiche zum Beispiel erzählt er viel zu umständlich; heutzutage hätte ein Editor kein Problem, den hundert Minuten langen Film aufs übliche "Tatort"-Maß zurechtzustutzen. Trotzdem hat der Krimi mehr Zug als Behnkes Debüt, weil Carolas Schicksal die Empathie deutlich stärker anregt als die dramaturgisch vergleichbaren Erlebnisse des Studenten, der in "Sterne für den Orient" zum Autoschieber wird.

Großen Spaß machen auch die beiläufig eingestreuten und oft unerwarteten Scherze von und mit Ulrich Faulhaber als Kommissar Hassert, der schon für Behnkes Vorgänger gearbeitet hatte und auch dem Nachfolger, Kommissar Walther (Volker Brandt), zu Diensten war. Auch Götz Olaf Rausch bekommt wieder seinen Auftritt. Der alte Herr hatte schon in "Transit ins Jenseits" und "Sterne für den Orient" für Kurzweil gesorgt und spielt hier einen schwerhörigen Nachbarn des Dealers, mit dem sich Behnke zwei Schreiduelle liefert. Die zweite Begegnung führt ausgerechnet mit Hilfe eines von dem Alten minutiös rekonstruierten TV-Krimis auf originelle Weise zur Entlastung Carolas.