Montag, fünf Uhr morgens in Deutschland: die Schichtarbeiter denken an Feierabend und ihr weiches, kuscheliges Bett. Diejenigen, die gerade auf dem Weg zur Arbeit sind oder vor wenigen Stunden angefangen haben, gähnen vielleicht noch hinter vorgehaltener Hand und die meisten anderen liegen noch in ihren Betten und schlafen. Hinter den Kirchenfenstern brennt kein Licht.
Montag, fünf Uhr morgens in Südkorea: Die Kirchen sind hell erleuchtet, Gesang und Gebet dringen abwechselnd nach draußen. Die Morgenandacht ist in Südkorea nach Einschätzungen von Chang-bae Byun, dem Generalsekretär der Presbyterianischen Kirche von Südkorea, für viele ein wichtiges Ritual für den Start in den Tag. Und nicht nur das: Allgemein gibt es in Südkorea in einer Woche viel mehr Gottesdienste als in so manchen deutschen Kirchen. "Der Gottesdienst am Sonntagmorgen wird von 60 bis 70 Prozent der Gemeindemitglieder regelmäßig besucht", schätzt Pfarrer Kwon Ho Rhee. Dann gebe es noch weitere Gottesdienste am Abend oder Nachmittag, die zwar etwas schlechter, aber prinzipiell nicht schlecht besucht seien. "Zusätzlich veranstalten wir dann noch die Mittwochsandacht abends, die Gebetsstunde freitags und natürlich jeden Morgen in aller Frühe die Morgenandacht", zählt er auf und ist sichtlich stolz über das fromme Engagement der Gläubigen in seiner Heimat. Die Unterschiede zu Deutschland seien prinzipiell nicht besonders groß – die Liturgie sei ähnlich, so Rhee, nur die Stellung der Fürbitten sei in Südkorea anders: während sie dort vor der Predigt gesprochen werden, ist es in Deutschland üblich, sie nach der Predigt zu sprechen.
Kernaufgabe: der Gesellschaft dienen
Grundsätzlich sei Südkorea jedoch eine sehr säkularisierte Gesellschaft, in der Religion und Glaube in der Öffentlichkeit keine große Rolle spielen würden. Im kirchlichen Leben und im Alltag der Christen sehe es jedoch ganz anders aus. "Die drei Säulen des südkoreanischen, protestantischen Christentums sind der Besuch des Sonntagsgottesdienstes, die finanzielle Unterstützung der Kirche und die diakonische Arbeit in den Gemeinden", erklärt Pfarrer Chang-bae Byun, der Generalsekretär der presbyterianischen Kirche in Südkorea. Unter seiner Aufsicht stehen rund 2,8 Millionen Gläubige in 8043 Kirchengemeinden – mehr als in der größten deutschen Landeskirche. "Die Kirche in Südkorea sieht sich als Diener der Gesellschaft an und arbeitet für sie und das hat eine ungeheure Anziehung auf die Menschen", erklärt er.
Allein die presbyterianische Kirche von Südkorea unterhält mehr als 100 diakonische Einrichtungen, dazu kommen noch Krankenhäuser, Universitäten, Schulen und auch eine Wochenzeitung – und das alles ohne Kirchensteuer. Die gibt es in Südkorea nämlich nicht, die Kirchen finanzieren sich ausschließlich über Kollekte und Spenden. "Viele Menschen spenden freiwillig den Zehnten und insgesamt stehen viele Kirchen so finanziell besser da als die deutschen Landeskirchen mit der Kirchensteuer", so Rhee, der im Augenblick in Stuttgart als Bildungsreferent mit dem Schwerpunkt Asien in der Evangelischen Mission in Solidarität arbeitet. Das große Engagement der Konfessionen habe aber auch eine Kehrseite. "Es fehlt eine institutionelle Vereinigung, die die Bemühungen gezielt koordiniert. Jeder will ein eigenes Krankenhaus oder eine eigene Schule betreiben, um so seine eigene Kirche zu vergrößern, mehr Ansehen und auch mehr Geld zu erhalten. Dieser Wettbewerb ist aber nicht immer im Sinn und Nutzen der Gesellschaft. Und so gerät manchmal die Kernaufgabe – nämlich der Gesellschaft zu dienen und ihr so das Evangelium zu vermitteln – aus dem Blick", kritisiert Pfarrer Kwon Ho Rhee.
In den einstündigen Gottesdiensten in Südkorea spielt die Musik eine große Rolle – insgesamt rund 20 Minuten der Zeit wird gesungen und in fast jedem Gottesdienst wirkt ein Chor mit. Die Lieder sind überwiegend klassisch-europäisch oder amerikanisch geprägt – Überreste aus der Zeit der Missionierung, die dort im Süden der Halbinsel noch in mehreren Bereichen weiter fortwirkt. "Die koreanische Spiritualität ist vom Konfuzianismus, Buddhismus und Schamanismus geprägt – formell finden sich diese Einflüsse in unserem kirchlich-religiösen Leben aber nicht wieder", beklagt Rhee. In den Liedern und auch in der Liturgie spiegle sich der ganz speziell südkoreanische kulturelle Hintergrund noch nicht wieder, man habe in diesem Bereich noch keine eigene Identität gefunden. "Wir sind noch sehr abhängig von abendländischen Einflüssen. Dabei sind all diese anderen Einflüsse ein wesentlicher Teil der koreanischen Kultur und das muss angenommen und ins christliche Leben integriert werden" sagt Rhee.
Säkularisiertes Südkorea
Über 1.000 Jahre war Südkorea aus religiöser Sicht ein buddhistisch geprägtes Land. Seit 2015 ist das offiziell nicht mehr so. Ein Zensus ergab, dass von den 51 Millionen Südkoreanern rund 13,3 Millionen christlichen Glaubens sind – im Vergleich zu 7,6 Millionen Buddhisten. Grob unterteilen sich die südkoreanischen Christen in 9,5 Millionen Protestanten und 3,5 Katholiken. Jedoch zersplittert sich der südkoreanische Protestantismus in rund 200 verschiedene Denominationen, von denen 60 bis 70 Prozent presbyterianisch sind. "Mein Heimatland ist nach außen hin nicht sehr christlich, auch wenn es mittlerweile die größte Religion ist", sagt Pfarrer Kwon Ho Rhee. Er weist stattdessen auf den sehr stark säkularisierten Charakter des Landes hin. Jedoch sei zum Beispiel die große Wertschätzung für Bildung in Südkorea definitiv auf die Arbeit der protestantischen Missionare zurückzuführen. "Das beeinflusst unsere Gesellschaft bis heute", so Rhee. Und Generalsekretär Byun sieht auch christlichen Einfluss auf die Politik seines Landes – allerdings noch nicht in so großem Umfang wie beim Buddhismus. "Die hatten ja auch über 1.000 Jahre mehr Zeit dafür", scherzt er.
Die Entwicklung des Protestantismus in dieser Region ist beeindruckend, denn ihn gibt es erst seit Ende des 19. Jahrhunderts auf der koreanischen Halbinsel: Als besonders erfolgreich gelten die Presbyterianer, die 1885 den ersten ordinierten Missionar ins Land schickten. Im heute nordkoreanischen Pjöngjang, das damals den Beinamen "Jerusalem des Osten" trug, entwickelte sich zum Zentrum des koreanischen Protestantismus und erlebte seit 1907 eine enorme Erweckungsbewegung, die schnell das ganze Land ergriff. "Die Koreaner", so Rhee, "haben das Christentum selbst für sich entdeckt. Die christliche Mission war ein Zeichen der Moderne, ein Zeichen der Überwindung des japanischen Imperialismus durch die von den Missionaren mitgebrachte Technik." Außerdem haben die Missionare eine Infrastruktur aus Krankenhäusern, Kindergärten, Schulen und noch vielem mehr aufgebaut, was die Bevölkerung für sie eingenommen habe.
Christen als Unterstützer der Demokratie
Zwischen 1910 und 1945 war die koreanische Halbinsel eine japanische Kolonie – während die Christen in vielen anderen Ländern, in denen sie missionierten, als Unterdrücker und Eroberer empfunden wurden, war es dort anders: Die Christen waren Unterstützer der Demokratie- und Unabhängigkeitsbewegung und verdienten sich so ein hervorragendes Images. So wuchs die Zahl der Gemeindemitglieder bis 1939 auf mehr als 360.000 an. Durch die zunehmende Unterdrück und die Auswirkungen des Krieges verringerte sich die Zahl der Christen aber innerhalb von knapp sechs Jahren wieder auf 200.000 auf der gesamten koreanischen Halbinsel.
Mit der Befreiung von den Japanern, die im Norden von den Russen und im Süden von den Amerikanern entwaffnet wurden, und der folgenden Teilung der Halbinsel wurde das Schicksal des Protestantismus entschieden. "Am Anfang war im kommunistischen Nordkorea noch die Devise: Solange das Christentum nicht Gegner des bestehenden Systems wird, wird es toleriert", sagt Lutz Drescher, der selbst bereits fünf Mal in Nordkorea war. Hintergrund dieser vorläufigen Toleranz war unter anderem die Tatsache, dass Staatsgründer Kim Il Sung aus einer christlichen Familie stammte. Sein Großvater mütterlicherseits war protestantischer Geistlicher, seine Mutter Kang Ban-sok war Christin und Kim Il Sung selbst hatte eine christliche Schule besucht. "Es kam aber erwartungsgemäß ziemlich schnell zum Gegensatz", erklärt Drescher. Das Ergebnis: Kim Il Sung verurteilte Priester und Gläubige entweder zum Tode oder ließ sie in Arbeitslager sperren - ein sehr düsteres Kapitel in der Geschichte des nordkoreanischen Christentums. "Und der Koreakrieg zwischen 1950 und 1953 hat dem Christentum in Nordkorea quasi den Todesstoß verpasst, weil die christlichen Amerikaner aus nordkoreanischer Sicht das Land in Schutt und Asche gelegt haben", erklärt Drescher weiter. Die meisten Protestanten seien in den Süden geflohen, nur ungefähr 1.000 blieben zurück und wurden jahrelang unterdrückt. "Erst ab ungefähr 1972 gab es in Nordkorea wieder so etwas wie christliches Leben", schildert Drescher, "Die Familie von Kim Il Sungs Mutter wollte nämlich wieder Gottesdienst feiern und das Regime hatte ein Interesse daran zu zeigen, dass sie Religionsfreiheit tolerieren." Deswegen behaupten einige, dass die Kirchen im Land eben nicht der Aufrechterhaltung des Christentums, sondern nur der Propaganda dienen. Im Weltverfolgungsindex für Christen von Open Doors belegt Nordkorea schon seit Jahren den ersten Platz, auch wenn Experten wie Lutz Drescher die Menschen dazu anhalten, diese Zahlen und Aussagen mit einer gewissen Portion Skepsis zu betrachten.
Missionierung unerwünscht
Der Nordkoreanische Christenbund ist die offizielle Dachorganisation nordkoreanischer Christen. Insgesamt gibt es Schätzungen zufolge rund 10.000 evangelische Christen im von Kim Jong Un regierten Nordkorea. Sie beten entweder in einer der zwei evangelischen Kirchen in Pjöngjang oder gehören einer der rund 500 Hausgemeinden im ganzen Land an. Prinzipiell gebe es zwar auch vereinzelt Nordkoreaner, die zum Christentum konvertiert sind, aber die Mehrheit der Christen im Land stellen Familien, die bereits seit Generationen christlich sind. "Das liegt auch daran, dass Missionieren, besonders von außen, aber auch von innen, in Nordkorea unter drakonischen Strafen verboten ist. Wenn Christen wegen ihres Glaubens in Arbeits- oder Umerziehungslager geschickt werden, so wie es spätere Flüchtlinge beschrieben haben, dann hat das häufig weniger mit ihrem Glauben an sich zu tun als mit ihrer Missionierungsarbeit", sagt Paul Oppenheim, früherer Asien-Referent der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD). Der Protestantismus mit seinen engen Verbindungen zu Südkorea und den USA stehe da im besonderen verdacht, nicht nur religiöse Inhalte verbreiten zu wollen.
Doch obwohl das Christentum in Nordkorea sozusagen durch die Familie "weitervererbt" wird, hat Lutz Drescher bei seinen Besuchen in Nordkorea nie Kinder in den Gemeinden gesehen – so etwas wie einen Kindergottesdienst oder ähnliche Angebote scheint es nicht zu geben. "Das Leben in Nordkorea ist sehr stark reglementiert und in ganz, ganz engen Grenzen ist das religiöse Leben gestattet. Das beschränkt sich aber auf den Besuch des sonntäglichen Gottesdiensts", sagt auch Oppenheim, der selbst bereits drei Mal das Land besucht hat. Und gerade die Gottesdienste in den Kirchen seien umstritten: Manche ausländischen Besucher behaupten, es sei nichts weiter als eine Show, die für ausländische Gäste abgezogen werde, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, die länger im Land leben, sind hingegen der Meinung, dass es sich bei den Gottesdiensten um echte Lobpreisungen des Herrn handelt. "Es ist sehr, sehr schwierig, Dinge in diesem Land zu verifizieren", erzählt Oppenheim und fährt fort, "das, was sie sehen, kann die Wirklichkeit sein, muss aber nicht."
Auch Lutz Drescher weiß, wie schwierig es ist, belastbare Aussagen über das christliche Leben in Nordkorea zu treffen. Es gäbe viele Gerüchte, denen niemand widerspreche und deren Wahrheitsgehalt nur schwer nachprüfbar sei. Dazu zählen auch die christlichen Untergrundgemeinden, die es angeblich im Land gebe. Das halten aber sowohl Drescher als auch Oppenheim beruhend auf ihrer jahrzehntelangen Erfahrung für sehr unwahrscheinlich. "Nordkorea ist ein typisches nationales Sicherheitsregime, da sind die Kontrollen viel zu hoch, als dass sich da tatsächlich mehrere Untergrundgemeinden bilden könnten", so Drescher. Schon in den offiziellen Gemeinden könne man davon ausgehen, dass ein Drittel der Leute dort sei, um die anderen zwei Drittel auszuspionieren. Wer einen Gottesdienst in Nordkorea besucht, dem werden laut Lutz Drescher zwei ungewöhnliche Dinge auffallen: "In allen nordkoreanischen Gebäuden hängt ein Bild von Kim Jong Un und Erwachsene Nordkoreaner tragen eigentlich immer einen kleinen Button mit dem Bildnis des Staatsgründers Kim Il Sung auf der Brust – in den Kirchen hingegen werden sie kein Bild finden und während des Gottesdienst legen die Gläubigen den Button ab. Und das wird von der Staatsführung so hingenommen."
Bibelbesitz in Nordkorea nicht per se problematisch
Dass der Besitz der Bibel in Nordkorea verboten sei, ist ein weiteres Gerücht, dass sich sehr hartnäckig hält und dass sich laut Oppenheim und Drescher nur schwer zerstreuen lasse, weil viele Menschen ein festes Bild von Nordkorea hätten, dass sie nicht an die Wirklichkeit anpassen wollen. "In Nordkorea wurden ungefähr 30.000 bis 40.000 Bibeln gedruckt und wer Mitglied einer eingetragenen Gemeinde ist, bekommt auch ein Buch ausgehändigt. Da muss nichts geschmuggelt werden. Anders sieht es schon wieder aus, wenn man kein Mitglied einer Gemeinde ist, dann könnte es schon schwieriger sein, an eine Bibel zu kommen. Das weiß ich aber nicht mit letzter Sicherheit", sagt Oppenheim. Es gebe in Nordkorea auch ein eigenes Gesangbuch, das größtenteils Lieder aus der amerikanischen Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts umfasse. "Natürlich steht da nirgendwo ein Verfasser", so Lutz Drescher – ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Und über die chinesische Grenze, so Drescher, werden auf Sticks jedoch auch Predigten und christliche Literatur geschmuggelt.
Die Ausbildung der nordkoreanischen Pfarrer findet in einem theologischen Seminar statt, das von südkoreanischen Geistlichen geleitet wird. Dort werden zehn bis zwölf Nordkoreaner fünf Jahre berufsbegleitend ausgebildet. "Und erst wenn der eine Jahrgang fertig ist, wird ein neuer zugelassen", schildert Drescher. Er selbst hat von 1987 bis 1995 in einem Armenviertel in einer südkoreanischen Basisgemeinde gearbeitet, war von 2001 bis 2016 Verbindungsreferent für Asien der Evangelischen Mission in Solidarität und begleitete die vier nordkoreanischen Delegierten, die zur Generalversammlung der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen nach Leipzig gereist sind.
Aus Waffenstillstand soll Frieden werden
"Sollte es eine Wiedervereinigung von Nord- und Südkorea geben, würden die Kirchen nur so aus dem Boden sprießen", ist sich Lutz Drescher sicher. Die Nordkoreaner seien sehr spirituelle, fromme Menschen, die das seit Jahren in einen Führerkult um ihren Staatschef ausleben. Bis dahin sei der Weg aber noch lang. Vorher wäre es schon hilfreich, wenn aus dem mittlerweile seit 64 Jahren andauernden Waffenstillstandsvertrag zwischen Nord- und Südkorea ein Friedensvertrag würde. "Dann gibt es auch echte Hoffnung darauf, dass sich die Menschenrechtslage in dem Land verbessert", so Drescher überzeugt. Denn im Augenblick gehe es den Nordkoreanern nicht gut, sie würden ein sehr einfaches und gleichzeitig sehr hartes Leben führen und die ständige Bedrohung von außen, so wie sie sie wahrnehmen, stärke den Zusammenhalt und schweiße sie enger zusammen.
Diese Wahrnehmung unterstrich auch Ri Jongro von der christlichen Föderation Nordkoreas in seiner Rede vor den Delegierten der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen. In ihr bezeichnete er die Handlungen der USA als "selbstherrlich und willkürlich" und kritisierte die Sanktionen, die das Leben in seiner Heimat einschränkten – selbst Kinderspielzeug stehe auf den Sanktionslisten. "Die Situation wird immer schwieriger und gefährlicher", so Jongro, meint damit aber nicht die nordkoreanischen Raketentest, sondern die Militärmanöver der Vereinigten Staaten. "Die USA brechen internationales Recht und wir sind zur Selbstverteidigung gezwungen Es wird immer mehr Spannungen geben auf der koreanischen Halbinsel geben und wir werden beschuldigt, daran schuld zu sein", echauffiert sich der Nordkoreaner weiter. Aus seiner Sicht sei Frieden nicht möglich, solange die USA so weitermachen wie bisher. Zumindest in dieser letzten Feststellung sind sich Ri Jongro und Lutz Drescher einig: auch aus seiner Sicht seien ein sofortiges Ende der gemeinsamen Militärübungen der Vereinigten Staaten und Südkoreas sowie mittelfristig der Abzug der amerikanischen Truppen von der koreanischen Halbinsel ein wichtiger Schritt in Richtung Frieden. Der südkoreanische Delegierte Lee Jaechun sagte, für eine friedliche Koexistenz beider Länder seien viele kleine Schritte nötig. Eine Möglichkeit dazu sei eine breite Volksbewegung ohne Beteiligung der Großmächte.
An diese Volksbewegung, die für Frieden auf der koreanischen Halbinsel sorgen kann, glaubt auch die junge Südkoreanerin Ahee Kim, deren Großvater während des Koreakrieges aus Nordkorea in den Süden geflohen ist. Ihre entfernten Verwandten im Nachbarland kennt sie nicht. "Ich träume von der Wiedervereinigung. Sie wird kommen, wenn die Nordkoreaner aufstehen und friedlich für die Freiheit demonstrieren", erzählt sie. Bis dahin sei es ihr Ziel, sich für die nordkoreanischen Flüchtlinge in ihrer Heimat einzusetzen. Nach ihrer Flucht werden die nämlich erstmal drei Monate lang verhört und dann auf das Leben in Südkorea vorbereitet, das sich gänzlich von dem in ihrer Heimat unterscheidet. "Farben symbolisieren die Situation ganz gut: das eine Land ist rot, das andere blau und die Flüchtlinge sind lila – sie passen in keine Gesellschaft rein, stechen überall heraus", so Kim. Nordkoreanische Geflüchtete würden viel Diskriminierung erfahren "Die deutsche Geschichte gibt mir Hoffnung für Korea: es war schon einmal möglich, ein Volk nach Jahrzehnten der Trennung durch Mauern, Stacheldraht und unterschiedlichen Ideologien wiederzuvereinigen und hoffentlich wird es für meine Heimat auch möglich sein - irgendwann."
Dieser Artikel wurde erstmals am 12. Juli 2017 auf evangelisch.de veröffentlicht.