Nach Jahren des Streits um die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften könnte zum Ende dieser Wahlperiode im Eiltempo die "Ehe für alle" durchgesetzt werden. Der Bundestag wird voraussichtlich am Freitag über die Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben abstimmen. Am Mittwoch will die SPD im Rechtsausschuss des Bundestages einen entsprechenden Gesetzentwurf aus dem Bundesrat für die Abstimmung im Plenum freigeben, den sie bislang aus Koalitionsdisziplin blockiert hatte.
Die Befürworter der "Ehe für alle" bei SPD, Grünen und Linken haben im Bundestag eine Mehrheit. In buchstäblich letzter Minute könnte die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare damit noch vor der Bundestagswahl am 24. September kommen.
Die überraschende Wende beim Dauerstreitthema kam in mehreren Schritten: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte bei einer Veranstaltung der Zeitschrift "Brigitte" am Montagabend in Berlin gesagt, für sie gehe es in der Frage der Gleichstellung schwuler und lesbischer Lebenspartnerschaften "eher Richtung Gewissensentscheidung" und hatte damit angedeutet, dass sie die Abstimmung über das Thema freigeben will. Allerdings hatte sie für eine Abstimmung erst die nächste Wahlperiode im Blick.
Bundestag soll noch in dieser Woche über Gleichstellung entscheiden
Die SPD machte aber umgehend Druck. Kanzlerkandidat Martin Schulz kündigte am Dienstagvormittag an, noch in dieser Woche eine Abstimmung im Bundestag zu ermöglichen. Am Mittwoch tagt der Rechtsausschuss. Dort könnte eine namentliche Abstimmung beschlossen werden.
Nach der Fraktionssitzung der Union wurde dann aus Teilnehmerkreisen die dritte Überraschung öffentlich: Den Unionsabgeordneten soll freigestellt werden, ob sie für oder gegen die "Ehe für alle" stimmen, wie es Merkel am Montag angedeutet hatte. Auch die CSU hat die Abstimmung für ihre Abgeordneten freigegeben.
In der Union gibt es Befürworter der Gleichstellung homosexueller Partnerschaften, unter anderem den Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Jens Spahn (CDU). Dennoch wird voraussichtlich eine Mehrheit der Unionsabgeordneten gegen die "Ehe für alle" stimmen, schon wegen des Vorgehens der SPD. Aus Fraktionskreisen hieß es, Merkel habe von einem "überfallartigen Verfahren" gesprochen. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU), der gegen die Gleichstellung ist, warf dem Koalitionspartner "Vertrauensbruch" vor.
SPD-Chef Schulz erklärte, es gebe keinen Grund, die Abstimmung auf die nächste Legislaturperiode zu vertagen. Für Gewissensentscheidungen gebe es keine Fristen. Es gehe auch nicht nur um eine Gewissensentscheidung der Abgeordneten, sondern um die Anerkennung gesellschaftlicher und politischer Realitäten.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) kritisierte dagegen das Eiltempo kurz vor der parlamentarischen Sommerpause, die in der nächsten Woche beginnt. "Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung", sagte ein EKD-Sprecher dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Es ist bedauerlich, dass diese Frage jetzt unter dem Zeitdruck einer zu Ende gehenden Legislaturperiode entschieden werden soll", ergänzte er.
Markus Gutfleisch von der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) sagt: "Wir fordern seit langem die Ehe für alle, weil wir sie für zutiefst christlich halten. Sie ist christlich, weil sie das Zusammenleben in lesbischen und schwulen Partnerschaften als gleichwertig definiert und alle umständlichen, diskriminierenden Sonderbestimmungen überflüssig macht." Für die HuK sei die langjährige Blockadehaltung der Union, die seit 2005 Regierungspartei ist, unwürdig. Teile der Evangelischen Kirche in Deutschland seien schon weiter.
Lesben und Schwule können seit 2001 eingetragene Lebenspartnerschaften eingehen, die der Ehe weitgehend rechtlich gleichgestellt sind. Sie dürfen aber nicht gemeinsam Kinder adoptieren. Das ist der letzte wesentliche Unterschied zur Ehe zwischen Mann und Frau. Der Streit um die Gleichstellung hatte die Koalition während der gesamten Wahlperiode begleitet. Mehrfach wurde es Thema Aktueller Stunden im Bundestag, 30 Mal wurde es im Rechtsausschuss des Parlaments aufgerufen.