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TV-Tipp: "Tatort: Der dunkle Fleck" (WDR)
27.6., WDR Fernsehen, 22.10 Uhr: "Tatort: Der dunkle Fleck"
Dieses Wiedersehen macht wirklich Freude: Die Premiere des "Tatort"-Duos aus Münster hat auch 15 Jahre später nichts von ihrem Esprit eingebüßt. "Der dunkle Fleck" war in jeder Hinsicht prototypisch für die seither insgesamt 29 Krimis mit Axel Prahl und Jan Josef Liefers.
Dieses Wiedersehen macht wirklich Freude: Die Premiere des "Tatort"-Duos aus Münster hat auch 15 Jahre später nichts von ihrem Esprit eingebüßt. "Der dunkle Fleck" aus der Feder von Jan Hinter und Stefan Cantz war 2002 in jeder Hinsicht prototypisch für die seither insgesamt 29 Krimis mit Axel Prahl als brummigem Hauptkommissar und Jan Josef Liefers als schnöseligem Rechtsmediziner, der so gern Detektiv spielt. Das Hybridformat Krimikomödie brachte damals eine neue Farbe in die Sonntagsreihe.

 

Während in einigen der späteren Filme die Dialogduelle zwischen den beiden Hauptfiguren mitunter wichtiger schienen als der eigentliche Krimi, erzählt der Auftakt eine an den Polanski-Klassiker "Chinatown" erinnernde Inzestgeschichte, die auch ohne die Comedy-Elemente funktionieren würde. Die Handlung beginnt mit Hochkultur: Zu den Bildern eines Schulklassenexkurses ins Moor rezitiert ein Mädchen Annette von Droste-Hülshoffs gruseliges Gedicht vom "Knaben im Moor". Prompt entdecken zwei Jungs eine Hand, die aus dem Wasser ragt. Als die Leiche kurz drauf aus ihrem nassen Grab befreit wird, entpuppt sie sich als sterbliche Überreste einer zwanzig Jahre zuvor verschwundenen jungen Frau, die Rechtsmediziner Karl-Friedrich Boerne anhand ihres künstlichen Hüftgelenks identifiziert. Wie sich rausstellt, kannte er die Frau zu deren Lebzeiten sogar.

Perfekt umgesetzter Slapstick-Klassiker

Zuvor jedoch müssen noch die beiden Helden eingeführt werden: Frank Thiel, neu in Münster, radelt mit einem unhandlichen Paket durch die Stadt, als ihn ein Passant auf eine vermeintliche Einbrecherin aufmerksam macht. Die Fassadenkletterin ist jedoch harmlos: Sie macht sich Sorgen um ihre verschwundene Mutter. In der Tiefgarage entdeckt Thiel Blutspuren. Später wird die Frau tot im Kofferraum ihres Autos entdeckt. Kurz drauf lernt er Boerne kennen, der sich als sein Vermieter entpuppt; Thiel ist so entzückt, dass er ihm zur Begrüßung mit seinem riesigen Paket eine Schneidezahnkrone ausschlägt. Schon diese erste Begegnung gibt den Tonfall vor, der den Umgang der beiden seither auszeichnet, zumal Cantz und Hinter die Beziehung mit einem von Peter F. Bringmann perfekt umgesetzten Slapstick-Klassiker starten: Beim ersten Mal weicht Boerne dem Paket noch aus, beim zweiten Mal erwischt es ihn so unglücklich, dass er fortan wie Alfred E. Neumann aussieht und entsprechend lispelt. Den am selben Abend geplanten Vortrag über Gebiss-Anomalien muss er selbstredend absagen.

Leichtfüßige Vorstellung der Nebenfiguren

Ähnlich leichtfüßig ist die Vorstellung der weiteren durchgehend Figuren: Thiel hält Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann) wegen ihrer tiefen Stimme am Telefon zunächst für einen Mann und spricht Boernes kleinwüchsige Assistentin Silke Haller (ChrisTine Urspruch) mit "Frau Alberich" an, weil Boerne sie stets so nennt; dem aus einfachen Verhältnissen stammenden Polizisten ist der gleichnamige Zwerg aus der Nibelungen-Sage kein Begriff. Die Sprüche, die Boerne seiner Mitarbeiterin an den Kopf wirft, sind von ausgesuchter Boshaftigkeit, aber die Kollegin bleibt ihm keine Retourkutsche schuldig und versichert Thiel, diese Art des Umgangs sei ihr lieber als jedes "Mitleidsgetue". Gut eingeführt sind auch Thiels kiffender Vater (Claus-Dieter Clausnitzer), dessen Taxi der Kommissar als Dienstwagen mit Chauffeur nutzt, weil er seinen Führerschein abgeben musste, sowie die ehrgeizige russisch-stämmige Praktikantin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter). Blass bleibt allerdings Kommissarsanwärter Bulle (Oliver Bokern), der als Rolle genauso bemüht wirkt wie sein vermeintlich origineller Name; kein Wunder, dass sich die Figur nicht lange gehalten hat.

Kultstatus erst sechs Jahre später

Umso gelungener ist die Balance zwischen Krimi und Komödie. Cantz und Hinter setzen in "Der dunkle Fleck" bereits auf ein Muster, das zwar schon damals nicht neu war, vom Autorenduo aber zur Perfektion geführt wurde: Am Anfang stehen zwei Mordfälle, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Als Thiel und Boerne schließlich die Verbindung entdecken, sind beide Verbrechen gelöst. Die Spur führt zu altem Geldadel und somit in die besten Münsteraner Kreise; auch das wurde zu einem festen Element der Reihe. Da Staatsanwältin Klemm ebenfalls zu den Honoratioren der Stadt zählt, versucht sie regelmäßig, Thiels Eifer zu bremsen. Der bildungsbeflissene Boerne, der gern auch mal mitten in der Nacht lautstark Wagner hört, bewegt sich gewissermaßen zwischen den Fronten: Status und Vermögen weisen ihn als Mitglied der High Society aus, die einfache Welt des Proletariers Thiel ("Sie sind kein Freund von Nebensätzen") ist ihm völlig fremd; trotzdem imponiert ihm die konsequent unkorrumpierbare Haltung des Hauptkommissars. Dessen kulturelle Ignoranz wiederum stachelt ihn erst recht an, ständig mit seinem enzyklopädischen Wissen zu prahlen, was ihn zu einem unerträglichen Klugscheißer macht – zwei großartige Figuren, deren Brillanz erst in ihrer Kombination richtig zur Geltung kommt. Bei allem Respekt vor Ulrich Noethen, der zunächst für die Rolle des Rechtsmediziners vorgesehen war: Gut, dass es Liefers geworden ist. Ihm hat der Zahn der Zeit übrigens weitaus weniger anhaben können als Axel Prahl. 
"Der dunkle Fleck" war bei der Erstausstrahlung am 20. Oktober 2002 mit gut 8,8 Millionen Zuschauern (Marktanteil: 24,9 Prozent) alles andere als ein Misserfolg, aber ihren Kultstatus erreichten die Krimis aus Münster (die seit dem Auftaktfilm, der sogar eine Verfolgungsjagd durch die Fußgängerzone zu bieten hat, vor allem im Großraum Köln entstehen) erst später: 2008 übersprang das Duo erstmals die 10-Millionen-Marke; seither nimmt der Marktanteil (zuletzt 37,1 Prozent) stetig zu.