Am 11. Juni 2017 Jahr feiert die HuK 40-jähriges Bestehen. Wie fing alles an?
Markus Gutfleisch: Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen in Deutschland Homosexuelle erstmals 1972 in Münster auf die Straße, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Das war fünf Jahre vor Gründung der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) e. V. in Berlin. Damals war die schwule Bewegung studentisch-links und vor allem in den Städten vertreten. Die Filme von Rosa von Praunheim schafften es, schwules Leben in der Öffentlichkeit präsenter zu machen. Am 11. Juni 1977 trafen sich 13 schwule Aktivisten anlässlich des in Berlin stattfindenden Deutschen Evangelischen Kirchentages in den Räumen der Allgemeinen Homosexuellen Arbeitsgemeinschaft Berlin e.V. (AHA) in der Suarezstraße. Das war die Geburtsstunde der HuK. An diesem Tag beließ man es nämlich nicht bei einer Tasse Kaffee und Nusskuchen, sondern wollte aus den Nischen des kirchlichen Lebens heraus, auch und hinsichtlich des nächsten Kirchentags, der 1979 in Nürnberg stattfinden sollte. Mit aller Kraft wollte man künftig gemeinsam in die Kirche agieren. Probleme gab es genug.
So gab es in dieser Zeit Konflikte zwischen schwulen Berliner Kirchenmitarbeitern und der Kirchenleitung, so etwa im Fall des Gemeindehelfers Klaus Kindel, der sich 1974 outete und entlassen wurde und im Fall des Krankenhauspfarrers Heinz Brink, der nach seinem Coming-out von der Kirche starken Gegenwind zu spüren bekam. Brink war später in der HuK federführend und wurde als erster Vorsitzender bezeichnet. Schnell wurde erstes Informationsmaterial mit Stift und Schreibmaschine im Umfang von einer Seite gleich eines Flugblattes erstellt, daraus wurde später das weit umfangreichere "HuK-Info"-Magazin. In den Anfangsjahren engagierten sich vor allem Berliner bei der HuK, so dass in der Berliner Landeskirche später Entwicklungen besonders schnell vorangegangen sind, zumindest schneller als anderswo. Schließlich hat sich die HuK dann ziemlich schnell in ganz Deutschland verbreitet.
Wie war es damals für Schwule in der Kirche zu sein?
Gutfleisch: Für viele war es nicht leicht. Viele schwule Kirchenmitarbeiter hatten Schwierigkeiten. Andere, die noch studierten, überlegten, wie ihre Zukunft aussehen würde. Vor allem war es für diejenigen schwierig, die nicht geoutet, sondern in einer heterosexuellen Ehe lebten und Kinder hatten. Auch nach ihrem Coming-out blieb es schwer. Junge Studierende der Theologie mussten sich erst ihre freien Räume in Kirchen, Gemeinden und an den Fakultäten erkämpfen.
War die HuK von Anfang an ökumenisch?
Gutfleisch: Die Mehrheit der HuK-Gründer waren Protestanten. Aber es waren auch Katholiken dabei. Viele der großen Diskussionen haben zunächst in den evangelischen Kirchen stattgefunden. Da war mehr Bewegung und Offenheit. Heute ist etwa jedes dritte Mitglied katholisch. Heute sind auch vereinzelte Altkatholiken und Mitglieder von Freikirchen Teil der HuK. Der ökumenische Charakter entsprang schon früh der Not der Stunde, wurde mehr und mehr selbstverständlich und machte auch vielen Spaß. Die Katholikinnen und Katholiken in der HuK schauten mit etwas Neid auf Fortschritte, die sich in evangelischen Kirchen anbahnten und stabilisierten. Es wurde aber deutlich, dass man die Dinge nicht einfach kopieren kann. Das theologische Fundament unserer Arbeit ist absolut ökumenisch, und für die katholischen Mitglieder kommt es darauf an, manche Inhalte ins katholische zu übersetzen, gut vernetzt zu arbeiten und langen Atem zu haben.
Was ist die HuK für ihre Mitglieder?
Gutfleisch: Wir wollen Heimat sein. In den Anfängen war die HuK für viele Lebens- und Überlebenshilfe. Beratung spielte eine bedeutende Rolle. Menschen mit sehr großen Lebensproblemen und Krisen kamen immer wieder zu uns. Wir bieten einen geschützten Raum. Es gab und gibt auch heute noch Fragen nach dem kirchlichen Beruf, nach der Situation des Verheiratet-Seins und des Lebens als Ungeouteter oder Geouteter in der Gemeinde. Zudem mischen wir uns in kirchliche Debatten ein; konstruktiv und kritisch. Das erwarten unsere Mitglieder von uns.
Was sollen Menschen in Lebenskrisen konkret machen?
Gutfleisch: Sie können sich bei uns Rat holen. Wir sind da und können Halt geben. Wer uns anfragt, wird gut beraten. Wir drängen niemanden zum sofortigen Coming-out in der Gemeinde. Unser Anliegen ist es, die Menschen stark zu machen. Manche stecken noch immer voller Angst. Andere brauchen Zeit, um sich öffnen zu können. Die HuK-Deutschland bleibt die Heimat vieler Menschen, wir haben sogar einige verstreut lebende Mitglieder in europäischen Nachbarländern, in Südamerika und Asien. Auch wenn wir heute nicht mehr 25 Regionalgruppen haben, sondern zehn, so ist doch die Verbundeneit da. Die Zustimmung zu dem, was wir tun, ist sehr groß, und viele Mitglieder engagieren sich beim Kirchentag, beim Katholikentag oder CSD oder in unseren Arbeitsgruppen.
Unser Beratungsangebot besteht bei Kirchen- und Katholikentagen, man kann uns aber auch einfach eine Mail schreiben. Die Beratungsanfragen werden generell weniger, vermutlich, weil inzwischen auch Ansprechpartner vor Ort zur Verfügung stehen. Eine Entwicklung, die wir gut finden.
Welche Rolle hat die HuK bei den jüngsten Entwicklungen vor allem in der evangelischen Kirche bei gleichgeschlechtlichen Trauungen gespielt?
Gutfleisch: Die HuK hat immer versucht, den Kontakt mit Entscheidungsträgern zu halten und Entscheidungen auf den Weg zu bringen, vor allem in den Synoden. Wir stellten fest, dass auch Kontakte zur kirchlichen Basis sehr wichtig sein können. Mehrfach haben wir die Rheinische Landessynode in Bad Neuenahr besucht; im Jahr 1992 war ich selbst dabei, haben die Synodalen direkt auf unsere Themen aufmerksam gemacht. Auch da, wo wir nicht präsent waren, hat sich Solidarität entwickelt. Es treten Menschen von sich aus dafür ein, dass ethische Diskussionen angestoßen werden, mit dem Ziel gleichgeschlechtliche Partnerschaften anzuerkennen und das schwule Pfarrer und lesbische Pfarrerinnen mit ihren Partnern im Pfarrhaus leben können. Mittlerweile fragen auch Gemeinden gezielt bei uns nach. 1991 entstand unser Projekt "Farbe bekennen", das sich direkt an Kirchengemeinden richtete und zu dem wir ein Arbeitsheft erstellt haben. Unsere Texte motivierten Gemeinden zum Gespräch über Lebensformen, über den Umgang mit der Bibel, uns wir boten uns selbt zum Gespräch an. Unser Ziel war, dass sich Gemeinden zur gottgewollten Vielfalt von Lebensformen bekennen und sagen: Wir sind offen für Lesben und Schwule. Das hat was bewirkt in vielen Ecken Deutschlands. Rund 30 Gemeinden haben unsere Solidaritätserklärung unterschrieben. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir mit 780 Engagierten die meisten Mitglieder.
"Offenheit entsteht meist dort, wo Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans*-Menschen sich zeigen."
Waren bestimmte Regionen Deutschlands besonders offen für die Anliegen der HuK?
Gutfleisch: 1991 gab es beispielsweise eine Stellungnahme der Landeskirche Berlin-Brandenburg als Reaktion auf rechte Gewalt auf einem schwulen Sommerfest in Berlin-Mahlsdorf. Die Landeskirche bekräftigte, dass sie es als ihre Aufgabe ansehe, Verfolgte und von Gewalt Bedrohte zu schützen. Besonders, da die Kirchen während der Zeit des Nationalsozialismus in dieser Hinsicht versagt hätten. Das war ein Schuldbekenntnis und eine Aufforderung an sich selbst, es künftig anders zu machen.
Jede Landeskirche, jedes Bistum ist dabei, einen eigenen Weg zu finden. Offenheit entsteht meist dort, wo Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans*-Menschen sich zeigen, ins Gespräch bringen. In einigen Kirchengebieten schaut man nach wie vor lieber weg oder mag sich nicht zu einer Position durchringen. Soweit ich weiß, ist die Württembergische Landeskirche diejenige, die Segnungshandlungen offiziell ablehnt.
Wo wehte der größte Gegenwind in den vergangenen 40 Jahren?
Gutfleisch: Vor meiner Zeit bei der HuK gab es ein Schreiben vom damaligen Leiter der Glaubenskongregation, Joseph Ratzinger, in dem jegliche Form gleichgeschlechtlicher Liebe als Sünde verdammt und die katholischen Seelsorger auf diese Sichtweise in ihrer Tätigkeit eingeschworen wurden. Auch sollten Vereinen und Gruppierungen, die diese Einschätzung nicht teilten, keine Räumlichkeiten oder Unterstützungen durch katholische Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Das hat viele von uns erschüttert und viele Türen, etwa auch in den katholischen Hochschulgemeinden, verschlossen. Das kann man als "Paragraph 175 für Katholiken" bezeichnen. Glücklicherweise gab es aber mutige Gemeinden, die sich der römischen Position nicht unterwarfen. Frischer Wind kam erst mit Papst Franziskus auf. Auch auf evangelischer Seite haben Anfang der 1990er Jahre Menschen die Kirche verlassen, weil die Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland keine gleichgeschlechtlichen Partnerschaften segnen lassen wollte. Auch als das Papier "Mit Spannungen leben" 1996 herauskam, das zu diesem Zeitpunkt schon theologisch überholt war, waren viele sehr enttäuscht.
Wie hat die HuK das Verhältnis der LGBT* zur Kirche verändert?
Gutfleisch: Die HuK ist auch ein Brückenbauer für alle die, die sich enttäuscht von der Kirche abgewandt haben. Wer kein Vertrauen zur Kirche hat oder verletzt wurde, kommt trotzdem zu uns. Manche sagen: Wenn es die HuK nicht gäbe, hätte ich meinen Glauben und meine Kirchenverbundenheit längst an den Nagel gehängt. - Wir sind wie eine Insel, auf der Menschen ihre Heimat und ihre Energie finden können. Manchmal sind wir auch ein Türöffner. Durch uns treten Menschen auch wieder in die Kirche ein.
Welche Rolle spielt der Glaube für die Mitglieder der HuK?
Gutfleisch: Für uns ist die befreiende Kraft unseres Glaubens entscheidend. Glaube verändert sich im Laufe des Lebens und muss manchmal neu entdeckt werden. Manche, die bei uns mitmachen, sagen, dass ihnen der Glaube ihrer Kindheit inzwischen abhandengekommen sei. Auch Papst Franziskus hat sich zu seinen Glaubenszweifeln bekannt. Unser Glaube ist in Bewegung, gerade im Coming-out und in Diskussionen mit Gemeinden und Kirchen. Er trägt uns und wir sind getragen durch die Erfahrung der Gemeinschaft, durch unsere gemeinsamen Ziele.
"In der katholischen Kirche haben wir noch lange nicht alles erreicht, was uns wichtig ist."
Wie sieht es 2017 mit der HuK aus?
Gutfleisch: Momentan sind wir 380 Mitglieder. Früher zog die HuK in vielen mittelgroßen Universitätsstädten wie Trier, Stuttgart, Freiburg, Karlsruhe, Mannheim, Wuppertal oder Münster Menschen an, die schwules Leben suchten, auch ohne theologisch interessiert zu sein. Es gab damals einfach noch nicht so viel. Heute ist das Angebot an schwulen und lesbischen Initiativen breiter, auch auf christlicher Ebene, etwa gibt es den Chor Queerubim, die Arbeitsgemeinschaft Schwule Theologie e.V. und mehrere christliche Lesben-Netzwerke. Einige haben da inzwischen andere Anbindungen gefunden. Eine Entwicklung, die uns auch freut. Einige unserer regionalen Gruppen haben sich verselbständigt. Manchmal, wie im Fall der HuK Hannover e.V. entsteht nach einiger Zeit wieder eine super Zusammenarbeit. Wir haben auch international viele Kontakte. So konnten wir etwa die Perspektive der skandinavischen Länder, die in Vielem schon weiter sind als wir, mit in die Diskussionen einbeziehen. Gerade in Ost- oder Südeuropa gibt es wiederum viele Probleme, die anzupacken sind. Da müssen wir mit dem, was es bei uns schon gibt, Menschen motivieren. Wir sind eine männerdominierte Gruppe. Das Engagement unserer Frauen und Trans*-Menschen bereichtert uns. Die Vernetzung mit anderen christlichen Regenbogengruppen, tut es auch. In diese Zusammenarbeit müssen wir etwas einbringen, aber wir profitieren auch von ihr.
Wo gibt es noch viel zu tun?
Gutfleisch: In der katholischen Kirche haben wir noch lange nicht alles erreicht, was uns wichtig ist. Gerade das Thema Segnungen muss weiter voran gebracht werden. Grundproblematik ist: Wie soll die Kirche etwas segnen, was sie sonst verurteilt? Da möchten wir theologische Unterstützung bieten. Man kann das mit Hilfe der modernen katholischen Theologie durchaus beschreiben, etwa was den Segensbegriff angeht. Wir haben gerade auch zu diesem Thema einen Flyer konzipiert. Wir brauchen deutsche Bischöfe, die diese Position auch international vertreten. Der jetzige Papst wünscht auch eine klare Sprache. Allerdings sind katholische Theologen das seit einigen Jahrzehnten nicht gewohnt. Wir arbeiten für eine Pastoral, die gesellschaftliche Veränderungen wahrnimmt und sich queeren Menschen zuwendet. Das wird eine Pastoral mit den Menschen.