TV-Tipp
TV-Tipp: "Tatort: Willkommen in Hamburg" (ARD)
8.6., WDR Fernsehen, 20.15 Uhr: "Tatort: Willkommen in Hamburg"
Zuletzt durfte Til Schweigers "Tatort"-Kommissar sogar die Kinos erobern ("Tschiller: Off Duty", 2016); allerdings hatte der Film nur einen Bruchteil der Zuschauer, die seine TV-Krimis erzielen. Der WDR wiederholt noch mal das Debüt aus dem Jahr 2013.

Schweiger mag kein facettenreicher Schauspieler sein, der in jede Rolle schlüpfen könnte; aber wenn er punktgenau besetzt ist, entwickelt er eine enorme Präsenz. Klugerweise hat er mit seinem TV-Comeback gewartet, bis die Bildschirme groß genug waren, denn seine Premiere als Hauptkommissar beim Hamburger LKA hätte die Dimensionen früherer Geräte gesprengt: "Willkommen in Hamburg" ist ein Action-Thriller, wie er nur selten fürs Fernsehen produziert wird. "Tatort"-Zuschauer, die sich sonntags darauf freuen, bei der Tätersuche ihre kleinen grauen Zellen anzustrengen, und ansonsten einen ruhigen Abend bevorzugen, werden unsanft aus ihren Gewohnheiten gerissen: Der Film beginnt mit einer ordentlichen Ballerei, ist auch zwischendurch ziemlich blutig (etwa, als sich ein Mädchen einen Peilsender aus dem Fleisch schneidet) und setzt am Ende noch eins drauf. Nick Tschiller muss eine ganze Menge einstecken, so dass er schon nach kurzer Zeit einen ziemlich verbeulten Eindruck macht; nicht nur deshalb wirkt "Willkommen in Hamburg" wie eine Verbeugung vor der Hollywood-Reihe "Stirb langsam" mit Bruce Willis. Schweiger ist der perfekte Darsteller dieser Action-Figur, weil er sie glaubwürdig verkörpern kann. Zärtliche oder auch amüsante Momente mit seiner halbwüchsigen Tochter Lenny (gespielt von Luna Schweiger) zeigen, dass der knallharte Bulle auch anders kann.

Ähnlich wie die Auftritte von Vorgänger Cenk Batu (Mehmet Kurtulus), der stets als verdeckter Ermittler eingesetzt wurde, ist zumindest der Auftaktfilm kein Krimi, sondern ein Thriller: Es geht nicht darum, einen Mord aufzuklären, es geht einfach nur ums Überleben. Tschillers Gegenspieler ist eine von Türken geleitete Mafia, die das Hamburger Rotlichtmilieu dominiert und junge Frauen, die noch halbe Kinder sind, zur Prostitution zwingt. Gleich am ersten Arbeitstag gerät Tschiller, der eigentlich nur eine Wohnung überprüfen soll, gemeinsam mit seinem Kollegen Yalcin Gümer (Fahri Yardim) in eine Schießerei und tötet in Notwehr drei Angreifer, was ihm prompt einen Termin bei der attraktiven Staatsanwältin (Edita Malovcic) verschafft. Dank der erfolgreichen Einschüchterungsmethoden der Gangster gehen der Anklägerin der Reihe nach die Zeugen gegen den Clan von der Fahne. Letzte Hoffnung der Polizei ist Tereza (Nicole Mercedes Müller), ein junges Mädchen im Alter von Tschillers Tochter, das den Verbrecher jedoch mehr vertraut als den Ermittlern. Ihre Bezugsperson ist ausgerechnet Max (Mark Waschke), einst Nicks Partner beim LKA Frankfurt, der die Seiten gewechselt hat.

Der Hollywood-erfahrene Christian Alvart ("Pandorum") hat zuletzt für den NDR zwei sehenswerte "Tatort"-Krimis aus Kiel inszeniert, erzählt "Willkommen in Hamburg" jedoch konsequent im Stil amerikanischer Krimis. Die Geschichte (Christoph Darnstädt, "Die Patin") mag in ihren Grundzügen überschaubar sein, bietet aber viele Nebenschauplätze; dank Alvarts Umsetzung steht Schweigers "Tatort"-Debüt wie schon zuvor die Filme mit Mehmet Kurtulus ständig unter Strom. Den Ausnahmestatus der aufwändigen Premiere unterstreicht auch die dynamische Bildgestaltung (The Chau Ngo) sowie die Gastauftritte von Wotan Wilke Möhring (ebenfalls neuer "Tatort"-Kommissar des NDR) und Stefanie Stappenbeck (als Nicks Ex-Frau). Großartig ist auch Mark Waschke als skrupelloser Gegenspieler mit einem an die späten Siebziger erinnernden eindrucksvollen Schnauzbart. Zusätzlichen Reiz bekommt die Auseinandersetzung durch die Frau zwischen ihnen: Beide Männer waren und sind in Max’ Freundin (Mavie Hörbiger) verliebt. Fahri Yardim schließlich ist als Computergenie mit lockeren Sprüchen eine wunderbare Ergänzung zum action-orientierten Schweiger, dessen Karriere 1990 beim ARD-Dauerbrenner "Lindenstraße" begonnen hat. Ein mitreißender Auftakt, der damals einen hohen Maßstab für die nächsten Krimis aus Hamburg gesetzt hat; umso erstaunlicher, dass sich die Filme tatsächlich regelmäßig übertroffen haben.