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TV-Tipp: "Grenzgang" (3sat)
6.6., 3sat, 20.15 Uhr: "Grenzgang"
Ein Mann und eine Frau, einander in schüchterner, aber auch unausgesprochener Zuneigung ergeben, begegnen sich zufällig in einem so genannten Pärchenclub: Im richtigen Leben wäre das furchtbar peinlich, im Film ein wunderbarer Komödienstoff. "Grenzgang" aber ist keine Komödie.

Ganz im Gegenteil; das lässt sich schon daraus ersehen, dass Thomas (Lars Eidinger) und Kerstin (Claudia Michelsen) glatte sieben Jahre benötigen, ehe sie einander nach ihrem ersten Kuss wiedersehen. Das ist bei Licht betrachtet zwar etwas unglaubwürdig, schließlich leben beide in einer Kleinstadt, und Thomas ist außerdem der Klassenlehrer von Kerstins Sohn, aber weil das Drehbuch von Hannah Hollinger stammt, stellt sich die Frage nicht, warum tatsächlich sieben Jahre vergehen müssen, ehe folgt, was der Kuss einst versprach.

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Stephan Thome, dessen Geschichte sich in vielen Zeitsprüngen über einen Zeitraum von 28 Jahren erstreckt. Hollinger reduziert das Handlungsgerüst rigoros auf sieben Jahre und konzentriert sich konsequent auf die beiden Hauptfiguren. Beide sind Menschen von jenem Schlag, die man gern mal schütteln würde, weil sie sich antriebslos und voller Selbstmitleid ihrem Schicksal ergeben. Das gilt vor allem für Kerstin, die nach der Trennung vom Gatten (Harald Schrott) im Grunde allein lebt: Der halbwüchsige Sohn (Sandro Lohmann) bestraft sie mit Schweigen, weil er sein Zimmer der Großmutter (Gertrud Roll) überlassen und in den Keller ziehen musste; und Gespräche mit der dementen alten Frau sind kaum noch möglich. Thomas wiederum kehrt nach abgebrochener Universitätskarriere als Gescheiterter in die mittelhessische Provinz zurück und hat keine Ziele mehr; das Angebot seines Rektors (Hanns Zischler), stellvertretender Schulleiter zu werden, schlägt er aus.

Als Filmhandlung wäre das in vier von fünf Fällen eine sehr trockene Angelegenheit, für die sich nur begeistern kann, wer es liebt, Beziehungen zu analysieren; freudlos bliebe es trotzdem. Dass man diese "Flucht im Kreis", wie Thomas’ Ex-Freundin (Melika Foroutan) sein Verhalten nennt, trotzdem fasziniert begleitet, hat mehrere Gründe: Claudia Michelsen und Lars Eidinger spielen ihre Rollen nicht, sie verkörpern sie mit derart großer Glaubwürdigkeit, dass man nicht einen Moment lang an Schauspiel denkt. Regisseurin Brigitte Maria Bertele hat mit "Nacht vor Augen" (2008), einem vielfach ausgezeichneten Drama über einen traumatisierten Afghanistan-Heimkehrer, sowie ihrem zweiten Film "Der Brand" (2010) gezeigt, dass sie Geschichten mit großer Sensibilität und tiefem Respekt vor den Figuren umsetzt. Auch diesmal findet wie wieder beredte Bilder für seelische Nöte (Kamera: Hanns Fromm). Und dann ist da noch das historische Heimatfest, dem Film und Buch den Titel verdanken: Der alle sieben Jahre stattfindende "Grenzgang zu Biedenkopf" erinnert an einstige Grenzbegehungen, in deren Verlauf seit dem 17. Jahrhundert die Stadtgrenze kontrolliert und Grenzstreitigkeiten mit Nachbargemeinden beigelegt wurden. Die erste Begegnung von Kerstin und Thomas dient gewissermaßen der Vergewisserung jener Grenzen, über die sie beim zweiten Aufeinandertreffen quasi neu verhandeln. Ausgesprochen gelungen ist auch die Integration der authentischen Festivitäten, die dem 2014 mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Film zudem Züge eines Heimatdramas geben.