TV-Tipp
TV-Tipp: "Sherlock: Die sechs Thatchers" (ARD)
4.6., ARD, 21.45 Uhr: "Sherlock: Die sechs Thatchers"
Alle Welt spricht von den aufregenden neuen Serien aus Amerika, aber der größte Knüller der letzten Jahre kommt aus England: Die 2010 gestartete BBC-Reihe "Sherlock", die den ebenso genialen wie fast schon krankhaft ichbezogenen Detektiv in der Gegenwart ermitteln lässt, ist ein globaler Knüller und erfreut im Gegensatz zu den US-Produktionen nicht bloß überschaubare Minderheiten.

Benedict Cumberbatch, längst auch in Hollywood gefragt, wurde durch die Serie zum Weltstar, und weil sein Kollege Martin Freeman (Dr. Watson) als Titelheld der "Hobbit"-Trilogie ebenfalls auch außerhalb Großbritanniens zu Ruhm gekommen ist, hat die vierte Staffel mit dem Duo drei Jahre auf sich warten lassen; ob es angesichts der gut gefüllten Terminkalender zu einer fünften kommt, ist fraglich. Umso mehr heißt es: genießen! Der erste der drei neuen Filme ist womöglich noch fulminanter als die bisherigen Abenteuer: noch mehr Aufwand, noch mehr Action und noch weniger Übersichtlichkeit; und leider auch ohne den brillanten Gegenspieler Moriarty, denn der ist ja tot. Oder doch nicht? Bei "Sherlock" kann man seiner Sache nie sicher sein, weil das produzierende Autorenduo Steven Moffat und Mark Gattis (er spielt auch Sherlocks Bruder Mycroft) regelmäßig nicht nur ein oder zwei Asse, sondern ganze Kartenspiele aus dem Ärmel schüttelt.

Beim Auftakt zur neuen Staffel sind ohnehin keinerlei Abnutzungserscheinungen festzustellen. Die Handlung ist derart detailverliebt, die Dialoge sind so komplex, dass man den Film zweimal schauen müsste, um allen Einfällen gerecht zu werden. Die Geschichte führt den Detektiv, der sich seinen Mitmenschen nicht ohne Grund so haushoch überlegen fühlt und twitternd Ingwerkekse knabbert, während ihn Bruder Mycroft in Geheimnisse einweiht, die "top to secret sind", an empfindliche Grenzen. Die Überraschung, mit der der Film endet, betrifft ihn diesmal ausnahmsweise nur mittelbar, ist dafür aber umso tragischer; kein Wunder, dass "Die sechs Thatchers" trotz der amüsanten Einführung auch deutlich düsterer ist. Nach der spielerisch leichten Lösung eines bizarren ersten Falls muss sich der Meisterdetektiv kurz drauf seiner Haut erwehren: Der Titel bezieht sich auf eine Reihe von Büsten der "Eisernen Lady", die vor einigen Jahren in Georgien hergestellt worden sind und der Reihe nach zerstört werden. Als Holmes dem Unbekannten auflauert, kommt es zum Kampf auf Leben und Tod, und der zu Beginn der Reihe noch recht fragil wirkende Cumberbatch stellt unter Beweis, dass er sein Repertoire dank der Ausflüge nach Hollywood ("Star Trek: Into Darkness", "Doctor Strange") um Action-Elemente erweitert hat. Die Zerstörungswut hat im Übrigen keinerlei politische Hintergründe: Der Täter ist auf der Suche nach einem USB-Stick, der ein selbst für Holmes verblüffendes Geheimnis offenbart: Mary (Amanda Abbington), die gerade erst Mutter gewordene Frau seines Freundes Watson, entpuppt sich als ehemalige Geheimagentin, die im Dienst ihrer Majestät die Drecksarbeit für die britische Regierung erledigt hat und nun in größter Gefahr schwebt, weil ein früherer Mitstreiter sie als vermeintliche Verräterin ermorden will.

Bis der Film zum Kern kommt, erzählen Moffat und Gattis jedoch ein bis zwei Dutzend weiterer Geschichten. Das klingt nach einem völlig überfrachteten Drehbuch, aber mindestens zwei Drittel der Fälle löst das Genie innerhalb der ersten Minuten, während er auf ein Lebenszeichen des vermeintlich toten Moriarty wartet; der Film entledigt sich dieser Nebenschauplätze in Form von flüchtigen Texteinblendungen, die man zwar ignorieren kann, die aber in anderen Krimiserien Stoff für jeweils eine eigene Folge abgegeben hätten. Ohnehin ist die Bildgestaltung neben der fabelhaften dramaturgischen Konstruktion und den formidablen Darstellern auch diesmal wieder ein echtes Alleinstellungsmerkmal: Es gibt kaum eine Einstellung, die nicht in irgendeiner Form bearbeitet, verfremdet oder durch optische Details ergänzt worden ist; gerade die virtuelle Realität ist virtuos eingebettet. Der produktionelle Aufwand ist ohnehin enorm, die Filme würden ohne weiteres auch im Kino funktionieren. Den nächsten zeigt die ARD bereits Pfingstmontag, der dritte folgt am 11. Juni. Erneut wird Holmes mit Herausforderungen konfrontiert, die ihm denkbar nahegehen: In "Der lügende Detektiv" ist Holmes in jeder Hinsicht von allen guten Geistern verlassen, in "Das letzte Problem", womöglich auch das Finale der gesamten Reihe, erlebt er, wie sich seine schlimmsten Feinde verbünden: der teuflische Moriarty – und des Detektivs eigene Schwester.