Frau Hayali, in Ihrer Reportage geht es um Populisten. Was ist das eigentlich, ein Populist?
Dunja Hayali: Gute Frage, weil dieses Wort in der öffentlichen Diskussion mittlerweile ja fast schon inflationär verwendet wird. Ich dachte vor meiner Reportagereise, ein Populist sei jemand, der den Leuten nach dem Mund redet und der auf schwierige Fragen einfache Antworten gibt. Ganz so einfach ist es aber nicht, wie ich jetzt gelernt habe. Populisten sind in allererster Linie Menschen, die das Volk, die Bürger in Freund und Feind unterteilen. Einige von ihnen versuchen die Verfassung zu verändern, um ihre Macht auszubauen oder dauerhaft zu sichern, sie unterdrücken Medien und sind zutiefst antipluralistisch. Das Wichtigste aber: Ein Populist spielt mit den Ängsten der Bürger.
Kann es sein, dass Populisten immer die anderen sind?
Hayali: Nach der Einordnung, die ich gerade geben habe, nein. Es gibt nun mal Populisten. Es beschreibt ganz unemotional und wertfrei eine politische Strategie oder Ideologie. Und daher ist "Populist" auch kein abstrakter Kampfbegriff gegen Andersdenkende. Einige Parteien – zum Beispiel die FPÖ in Österreich – weisen den Begriff "Populisten" als Vorwurf entschieden von sich. Andere, wie Frau Le Pen, bekennen sich offen dazu – sie argumentiert, im Sinne des Volkes zu sprechen und damit durchaus populistisch zu sein.
Gibt es nur Rechtspopulismus oder wurden Sie auch in Sachen Linkspopulismus fündig?
Hayali: Linkspopulismus gibt es natürlich auch, zum Beispiel in Venezuela, wo wir ursprünglich auch drehen wollten. Da haben uns die Behörden nach Monaten des Wartens aber leider kein Visum erteilt. Venezuela spielt in der Reportage trotzdem eine Rolle, denn wir haben uns in Miami in den USA mit vielen Exil-Venezolanern unterhalten. Der Chavismus war und ist eine populistische Bewegung. Unter Präsident Maduro beschreitet das Land aber gerade einen anderen, viel radikaleren Weg. Die Mechanismen sind, egal ob Rechts- oder Linkspopulisten, fast immer die gleichen. Linkspopulisten sind nicht minder antipluralistisch und gehen nicht minder gewalttätig mit ihrer Bevölkerung um.
Wie wirkt sich Populismus ganz konkret auf das Leben der Bürger aus?
Hayali: Genau darum geht es in der Reportage: Wir haben das Thema auf die Lebenswirklichkeit der Menschen in den einzelnen Ländern heruntergebrochen und festgestellt, dass sich Populismus bei allen Gemeinsamkeiten doch von Land zu Land verschieden auswirkt, also in den USA anders als in Ungarn zum Beispiel. Es gibt keine Schablone, die man auf alle Länder anlegen kann. Was aber für alle gilt: Populismus vergiftet das Zusammenleben der Menschen.
"Schulter an Schulter gegen einen gemeinsamen Feind"
Wie wirkt er sich in Donald Trumps USA aus?
Hayali: Für mich persönlich waren die Gespräche mit den Republikanern besonders interessant. Für sie ist Präsident Trump, trotz seiner xenophoben Äußerungen, trotz seines egomanen Auftretens, trotz seiner massenhaften Lügen, die den Anhängern sehr wohl bewusst sind, eine moralische Instanz. Für seine Wähler wohlgemerkt, nicht unbedingt für seine Parteikollegen.
Wie kommt’s?
Hayali: Weil Donald Trump es geschafft hat, vielen Wählern einzureden, dass er mit ihnen kämpft, und zwar gegen das verhasste Establishment. Damit war er erfolgreich, er hat das Land aber auch gespalten. Er hat es geschafft, das Misstrauen untereinander zu vergrößern, anstatt die Bürger, für die er Verantwortung übernommen hat, zusammenzubringen. Die Abneigung zwischen Anhängern der Demokraten und Republikaner hat sich schon in seiner kurzen Amtszeit gewaltig verschärft.
Woran haben Sie das gemerkt?
Hayali: Wir waren zum Beispiel in Wisconsin bei einem Veteranentreffen, das zweigeteilt war: Es gab Trump-Anhänger und Trump-Gegner, Republikaner und Demokraten. Die hatten sich, obwohl sie sich teilweise schon lange kannten, relativ wenig zu sagen. Da hat der aufgeheizte Wahlkampf viel Schaden angerichtet, da standen sich Angehörige der beiden Lager ziemlich unversöhnlich gegenüber. Die beschimpfen sich nicht gerade, aber da gehen dann Republikaner nicht mehr bei Demokraten einkaufen und umgekehrt. Die gegenseitige Abneigung ist also im ganz normalen Alltag durchaus spürbar.
Sie haben ja vor kurzem ein Interview mit Trumps Tochter Ivanka geführt und sind dafür kritisiert worden. Der Vorwurf lautet, Sie hätten Ivanka Trump kritischer anpacken müssen.
Hayali: Wir hatten 10 Minuten vereinbart, am Ende waren es weniger als fünf. Nur wusste ich das vor dem Interview nicht. Es ist nun mal so, dass man sich eine Struktur für ein Gespräch überlegt. Ivanka Trump war wegen des Frauengipfels hier. Damit wollte ich anfangen, um dann zu den anderen Themen zu kommen. Fragen wie: "Was befähigt Sie als Beraterin zu arbeiten, wie sieht ihr Einfluss auf den Präsidenten konkret aus, wie trennen sie Geschäftliches und Politisches?". Nur leider war dann die Zeit rum. Sehr ärgerlich.
Was hatten Sie denn unabhängig davon für einen Eindruck von Ivanka Trump?
Hayali: Ich habe sie als professionell und freundlich erlebt. Sie hat ihren Vater verteidigt, was ich zum Teil verstehen kann. Trotzdem hätte ich es souveräner und glaubwürdiger gefunden, wenn sie wenigstens eingeräumt hätte, dass ihr Vater etwa bei seinen abfälligen Äußerungen über Frauen eindeutig übers Ziel hinausgeschossen ist. Das hat sie leider nicht getan.
Und wie schätzen Sie die populistische Gefahr in Deutschland ein?
Hayali: Nicht so hoch. Zum einen gibt es bei uns in Deutschland keinen wirklich charismatischen Leader, zum anderen steht unser Land im Großen und Ganzen wirtschaftlich gut da, auch wenn davon nicht alle profitieren. Aber eines ist auch klar: Wie in jedem anderen Land haben auch wir Probleme, die vielleicht zu lange liegen gelassen worden sind, wie etwa Bildung, Rente, Infrastruktur, die Schere zwischen Arm und Reich oder die Digitalisierung. All das füttert das Gefühl von Unzufriedenheit, auch mit den Eliten oder dem Establishment, das von Populisten wie denen von der AfD dann bedient wird.