Ihr fällt es schwer, still auf dem Stuhl zu sitzen. Ein paar Mal springt Antje Ruhbaum mitten im Gespräch auf, beginnt zu singen und zu tanzen, erläutert dabei, dass jede Silbe auf eine bestimmte Stelle im Tanz kommt. Es ist ein Gospellied, das sie vorträgt: mit warmem Timbre, charmant, selbstbewusst, natürlich auf Englisch. "Singen und tanzen zugleich und dabei noch Gott feiern, das ist der Himmel auf Erden", schildert sie. Antje Ruhbaum leitet drei Gospelchöre und sie ist Beauftragte für Popularmusik im Evangelischen Kirchenkreis Steglitz in Berlin. Da erscheint es beinahe wie Luxus, dass sich ein Kirchenkreis so eine Stelle, wenngleich in Teilzeit "leistet", denn kein anderer in Berlin tut das.
Doch auch für Steglitz ist das Neuland. Seit etwa einem Jahr begleitet Antje Ruhbaum hier die Kirchengemeinden mit popularmusikalischen Aktivitäten, fördert und vernetzt bestehende Gruppen, bietet Fortbildungen oder Workshops an. Der Begriff Popularmusik umfasst dabei ein weites Feld. Dazu gehören unter anderem Gospel, Pop, Blues, Reggae, aber auch neue geistliche Lieder und Lobpreislieder. Das Wichtigste ist: es muss grooven; also ein durchgehender Rhythmus im Lied regt zum Mitwippen oder Tanzen an.
Obwohl es Popularmusik seit Beginn des 20. Jahrhunderts in der Kirche gibt, ist sie offensichtlich noch nicht in jeder Gemeinde angekommen. Diese Erfahrung macht auch Antje Ruhbaum. Vorbehalte wie anspruchslos und blamabel sind ihr bisweilen schon begegnet. "Einmal hörte ich, wie eine Dame aus einem klassischen Chor sagte, dass wir uns beim Singen wie Tiere verhalten würden", erinnert sie sich. Eine solche abschätzige Bemerkung sei jedoch die Ausnahme. Die meisten Menschen, die sich nicht mit dieser modernen Musikrichtung befassen möchten, ignorierten sie einfach.
Ignorieren fällt schwer, zumindest für den, der mit Antje Ruhbaum in einem Raum ist. Das Energiebündel sprüht vor Ideen, Begeisterung und Überzeugung für dieses Fach. Sie sagt, dass Popularmusik die Menschen im Alltag abhole und emotional berühre. Auch sie selbst schwebe nach jeder Chorprobe im übertragenen Sinne auf Wolke Sieben. Das gemeinsame Singen und Grooven erzeuge offensichtlich Glücksgefühle. Eine professionelle Stimmausbildung oder ein besonderes Talent müssten die Sänger nicht mitbringen. Jeder sei willkommen. Es gehe nicht darum, einem elitären Kreis, eine bessere Welt zu vermitteln. Denn Popularmusik habe nicht den Anspruch von Hochkultur.
Und gerade in diesen Zeiten vermehrter Kirchenaustritte, müsse die Kirche doch schauen, dass sie den Kontakt zur Basis nicht verliere, beschreibt die gebürtige Berlinerin. Die Angebote mit populärer Musik seien daher ein Weg, wieder Anschluss zu den Menschen zu finden. Hierbei spricht aus der 48-Jährigen die Lebenserfahrung, denn sie war nicht schon immer Popularmusikerin. Sie hat ursprünglich eine klassische Musikausbildung gemacht und wollte als kleines Mädchen Opernsängerin werden - so, wie ihr Onkel, den sie sehr verehrte. Weil ihr jedoch die eigene Stimme nicht stark genug erschien, entschied sie sich nach dem Abitur für ein Studium der Schulmusik und Mathematik an der Universität der Künste Berlin (UdK).
Zum Glauben fand Antje Ruhbaum durch ihre Großtante, die durch schwere Schicksalsschläge ihren Sinn im Leben im christlichen Glauben wiederfand. "Sie brachte mir ihre Art zu beten bei", erinnert sie sich, "und dabei habe ich einen freundschaftlichen und väterlichen Gott kennen gelernt." Doch später, als junge Frau, begann Antje Ruhbaum kritisch zu hinterfragen, warum Gott eigentlich so männlich sei? Das empfand sie ungerecht und stellte sich kurzerhand einen Gott vor, der auch weibliche Seiten hat.
"Das ist mein Gott, bei dem bleibe ich", sagte sie sich und verfolgte seitdem diesen feministischen Ansatz weiter. Ihr Interesse galt starken Frauen in der Musik, deshalb begann sie 1992 eine Promotion über Elisabeth von Herzogenberg, Pianistin, Komponistin, Sängerin und Musikförderin, die mit Johannes Brahms befreundet war. Neben der Doktorarbeit engagierte sie sich auch in ihrer Heimatgemeinde in Berlin-Steglitz, der Evangelischen Markuskirchengemeinde.
Hier initiierte sie eine moderne Form des Gottesdienstes, genannt Rendezvous-Gottesdienst, in dem moderne Lieder integriert werden sollten. So gründete Antje Ruhbaum 2003 ihren ersten Gospelchor: The Gospel-Friends. "Wir haben bei uns Zuhause im Wohnzimmer geprobt und mein Mann zupfte den Kontrabass." Sie lacht spontan und herzlich, als sie davon erzählt. Es sei eine unbeschwerte Zeit gewesen. Was laienhaft begann, entwickelte sich nach und nach zu einer Profession. Sie fand einen Unterstützer in Rolf Tischer, dem damaligen Popularmusikbeauftragten der Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO).
Alles muss im Rhythmus sein
Weil sie ein ehrgeiziger und wissensdurstiger Mensch ist, wie sie sagt, wollte sie wissen, was sich hinter Popularmusik tatsächlich verbirgt. Nach mehreren Fortbildungen studierte sie C-Kirchenmusik mit Schwerpunkt Popularmusik an der UdK und gehörte damit zu den ersten Studenten in dieser speziellen Fachrichtung in Berlin. Denn bei aller Leichtigkeit und Verständlichkeit, die Popularmusik bewirken soll, sei es doch am Ende wichtig, die Musikgruppen professionell zu begleiten. "Sonst entsteht Kraut und Rüben", verrät sie. Ein Gospellied gut vorzutragen, ginge nicht so nebenbei, jeder Rhythmus müsse stimmen und die Töne sollten sitzen.
Ihr bisher größtes und aktuelles Projekt als Beauftragte für Popularmusik in Steglitz ist der Gospelworkshop "Black and White", der am 19. Mai 2017 startet und von Experten der Black-Gospel-Szene in Berlin begleitet wird. Höhepunkt soll ein Auftritt beim Zentralen Ökumenischen Gottesdienst des Kirchentages auf dem Gendarmenmarkt am 25. Mai sein. Antje Ruhbaum rechnet mit 100 Teilnehmern.
Und die Zukunft der Musik in den Kirchen? Populäre und klassische Musik werden nebeneinander bestehen und sich gegenseitig ergänzen. Das würde ihr gefallen. Immerhin lägen in der klassischen Musik unsere kulturellen Wurzeln. Sie fände es bedenklich, wenn diese Richtung zu sehr in den Hintergrund gedrängt werde. "Das wäre so ähnlich, als wenn ich nur noch Kuchen, aber kein Schwarzbrot mehr essen könnte", beschreibt Antje Ruhbaum.