Sie ist Parlamentarierin durch und durch: Irmgard Schwaetzer, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, saß 22 Jahre lang im Deutschen Bundestag. Unter ihrem Ehenamen Adam-Schwaetzer wurde sie als Bundesministerin deutschlandweit bekannt. Am 5. April wird die streitbare Liberale 75 Jahre alt.
Die Nähe zu den Freien Demokraten erlebt Irmgard Schwaetzer im Elternhaus. Ihr Vater, Finanzbeamter und ehemaliges NSDAP-Mitglied, wendet sich nach dem Krieg der FDP zu. "Mein Kindheitsbild eines Politikers war Theodor Heuss - nie Konrad Adenauer", erinnert sie sich. Geboren in Münster, wächst Irmgard Schwaetzer mit vier älteren Brüdern im katholisch geprägten Warburg in Ostwestfalen auf, wo die Protestantin auf ein katholisches Mädchengymnasium geht. "Das Gefühl für Minderheiten war mir schon früh vertraut."
"Wir waren alle dermaßen angetörnt"
Es folgen ein Pharmazie-Studium, die Approbation als Apothekerin und die Promotion über hochwirksame Schmerzmittel. Bis 1980 arbeitet Schwaetzer in der Industrie. 1975 tritt sie in die FDP ein, für die sie schon fünf Jahre später in den Bundestag einzieht. Von 1980 bis 2002 gehört sie dem Parlament an.
Blickt sie auf ihre politische Karriere zurück, waren für sie die Jahre der deutschen Wiedervereinigung die prägendsten. Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) holt Schwaetzer 1987 als Staatsministerin ins Auswärtige Amt. Auf dem Weg zur Einheit muss sie vor allem die europäischen Partner einbinden. "Wir wussten, dass der Prozess kein Selbstläufer ist", sagt sie. Aber das Engagement bis an den Rand der Kräfte ist ohne Alternative: "Wir waren alle dermaßen angetörnt", schmunzelt sie heute.
1991 übernimmt sie die Leitung des Bauressorts mit der Mammutaufgabe des Aufbaus im Osten. Wenn sie heute in sanierte Städte wie Görlitz, Meißen oder Quedlinburg kommt, erfüllt es sie mit Stolz, damals für Weichen gestellt zu haben. Vor einem zu stark historisierenden Wiederaufbau warnt sie allerdings: "Man muss sehr aufpassen, dass das nicht in die falsche Richtung geht." Bis 1994 steht sie an der Spitze des Bauministeriums, und 1992 sah es sogar kurz so aus, dass sie Genscher als Außenministerin folgen könnte. Doch nach parteiinternen Querelen machte Klaus Kinkel (FDP) das Rennen.
Mit dem Hauptstadtvotum des Bundestags beschließt Irmgard Schwaetzer, auch privat ihren Lebensmittelpunkt vom Rhein an die Spree zu verlegen. "Mein Entschluss fiel am Abend des Bundestagsentscheids für Berlin - bei 'Ossi' in der Bar." Sie ist nach zwei Ehen ungebunden, Kinder hat sie nicht. 2002 tritt Schwaetzer nicht mehr zur Bundestagswahl an.
In Berlin engagiert sie sich in der Friedrich-Naumann-Stiftung und in der evangelischen Kirche. Zehn Jahre lang ist sie Vorsitzende des Domkirchenkollegiums des Berliner Doms, einer der renommierten Gemeinden der Hauptstadt. Als Delegierte fährt sie 2013 zur EKD-Synode in Düsseldorf, als Vorsitzende des Kirchenparlaments kehrt sie zurück. Überraschend ist sie zur Nachfolgerin von Katrin Göring-Eckardt gewählt worden, nachdem weder der frühere CSU-Politiker Günther Beckstein noch die Bremer Juristin Brigitte Boehme die nötige Mehrheit auf sich vereinen konnten.
2015 wurde Schwaetzer von der Synode als Präses wiedergewählt, bis 2021 geht die Amtszeit. Ihre politische Erfahrung bringt sie selbstbewusst in das kirchliche Ehrenamt ein. Wie schon Göring-Eckardt verleiht sie dem Präsesamt ein starkes Gewicht im Zusammenspiel mit den Spitzen des Rates EKD und der kirchlichen Administration.
Schwaetzer hat klare Vorstellungen für den Weg der evangelischen Kirche auch nach dem 500. Reformationsjubiläum im laufenden Jahr. Die Stärkung der Ehrenamtlichen und der Gemeinden vor Ort ist eines ihrer großen Anliegen. Über gelebtes Christentum erreiche die Kirche mehr als nur über das Reden. "Die Kirche muss ganz sicher diakonischer werden", ist Schwaetzer überzeugt. Im Berliner Dom, ihrer Gemeinde, erwartet sie ihre Geburtstagsgäste am 5. April zur regulären Mittagsandacht.