Pfarrer Jürgen Fliege 2012 auf der Terrasse seines Hauses in Tutzing.
Foto: epd-bild / Michael McKee
Pfarrer Jürgen Fliege 2012 auf der Terrasse seines Hauses in Tutzing.
Der Welterklärer: Jürgen Fliege wird 70
Seit Jahrzehnten kämmt Jürgen Fliege kirchliche Traditionen gegen den Strich. Seine Auseinandersetzungen mit der Amtskirche sind legendär. Doch inzwischen ist der streitbare Theologe, Talkshowmoderator und Autor offenbar gelassener geworden.

Neben Altbundespräsident Joachim Gauck ist er noch immer der bekannteste evangelische Pfarrer Deutschlands: Seit den 1990er Jahren vermittelt Jürgen Fliege in seinem unverkennbaren Stil Lebenshilfe, Spiritualität, alternative Medizin und Seelsorge - zu seinen besten Zeiten an ein Millionenpublikum. Inzwischen ist es etwas ruhiger um ihn geworden. Am 30. März wird der rheinische Pfarrer 70 Jahre alt. 

"Wenn ich beim Einchecken in ein Hotel meinen Beruf eintragen soll, dann bin ich oft Zitronenzüchter, selten Fernsehmoderator, manchmal auch Pensionär oder Pfarrer. Am liebsten aber bin ich Betlehrer und schmunzele beim Einschreiben", erklärt Fliege in seinem neuesten Buch "Beten", das Ende März erscheint: "Meine Aufgabe ist es, der Schuhlöffel für die anderen zu sein, damit sie in ihre spirituellen Schuhe wieder reinrutschen."

"Passen Sie gut auf sich auf"

Als "Fernsehpfarrer" wurde er bekannt, als er von 1994 bis 2005 in der ARD die Talkshow "Fliege" moderierte. Themen waren unter anderem alternative Heilmethoden, sanfte Medizin aber auch private Schicksale. Zum Mantra wurden Flieges Worte am Ende jeder Sendung: "Passen Sie gut auf sich auf."

Geboren 1947 im nordrhein-westfälischen Radevormwald arbeitete Fliege nach seinem Studium 15 Jahre lang als evangelischer Gemeindepfarrer, unter anderem in der rheinischen Bergarbeiterstadt Aldenhoven. Seit April 2010 ist er - zumindest als Pfarrer - im Ruhestand. 

Seine Lebensphilosophie beschreibt er in zahlreichen Büchern und Ratgebern. Mit seiner Ende der 90er Jahre gegründeten "Stiftung Fliege" leistet der Theologe nach eigenen Angaben Einzelfallhilfe für Menschen in finanziellen oder gesundheitlichen Notlagen.

Kritik an seiner Nähe zur Esoterik

Das Lebensthema von Fliege - dem auch Kritiker eine hohe Belesenheit attestieren - ist vielleicht sein Hang, verborgenen Zusammenhängen nachzuspüren, in den Biografien von Menschen oder zwischen Mensch und Kosmos. Das Leben habe von der Geburt bis ins hohe Alter einen Sinn. "Alte Menschen empfinden ihr Leben offenbar als ein großes Mosaik, das sich über die siebzig, achtzig Jahre langsam zusammenfügen lässt", bilanziert Fliege in seinem Buch "Die Ordnung des Lebens - Die Zehn Gebote".

Viel Kritik brachte ihm seine Nähe zu esoterischen Themen wie Geistheilung, Astrologie oder Erdstrahlen ein. Es wurde ihm vorgeworfen, seine Prominenz für umstrittene oder dubiose Produkte aus diesem Sektor zu benutzen. Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen kritisierte zu Zeiten seiner TV-Karriere, Fliege habe als Pfarrer und Theologe seine Distanz zur Esoterik verloren: "Wer als ordinierter Geistlicher öffentlich auftritt, sollte sich auch der Aufgabe religiöser Aufklärung und einer kritischen Auseinandersetzung mit esoterischer Spiritualität verpflichtet wissen."

Ein Disziplinarverfahren der Evangelischen Kirche im Rheinland gegen ihn war "seinerzeit rechtskräftig beendet worden", wie der Sprecher der rheinischen Kirche, Jens Peter Iven, auf Anfrage mitteilte. Fliege war 2011 der Verstoß gegen Amtspflichten vorgeworfen worden, konkreter wurde man nicht. 

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Einige der Skandale in den Medien habe er durch vorlaute Äußerungen selbst provoziert, räumte Fliege in einem Interview mit dem Hamburger Magazin "Stern" unlängst ein: "Die Skandale gingen von mir aus, deshalb muss ich sie mir auch zurechnen. Ich schiebe sie keinem anderen in die Schuhe. Vorlaut wie ich schon in der Grundschule war, konnte ich mir manches nicht verkneifen." 

Zur Frage nach dem roten Faden in seiner Biografie sagte Fliege einmal dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Ich wollte immer ein Jesus-Mann sein, ein Bruder. Ich bin in einer Kirche aufgewachsen, die mir nicht fromm genug und geschwisterlich genug ist, und die all meine Reformversuche vom ersten Tag an nicht mochte." 

In seinem jüngsten Buch wirbt Fliege für das christliche Gebet. "Warum das Gute nicht in der Nähe suchen, warum nicht in der eigenen christlichen Tradition?", fragt er mit Blick auf Menschen, die ihr Seelenheil bei asiatischen Religionen oder indianischen Schamanen finden wollten. Auch dabei kann er sich Kirchenkritik nicht verkneifen: Kirchenfunktionären sei Moral wichtiger als Spiritualität, "sie verschütten dabei immer mehr von den Perlen des Glaubens".

Seine seelische Balance holt sich der Vater von zwei erwachsenen Töchtern seit einigen Jahren aus der Arbeit im Garten, in seiner Wahlheimat Bayern, aber auch auf der spanischen Insel La Palma. "Männer wachsen und reifen im Garten", heißt es in einem seiner Ratgeber. Der entscheidende Schritt zu einem mit sich in Frieden lebenden Mann sei der Schritt vom Schlachtfeld des Lebens "in den Garten".