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TV-Tipp: „Nord bei Nordwest: Estonia“ (ARD)
30.3., ARD, 20.15 Uhr: „Nord bei Nordwest: Estonia“
Im Grunde ist die Geschichte viel zu groß für eine vergleichsweise bescheiden ausgestattete Krimireihe wie „Nord bei Nordwest“. Der Titel gibt den Hintergrund der Handlung bereits preis: Beim bis heute nicht restlos aufgeklärten Untergang der Ostseefähre Estonia im Jahr 1994 sind über 850 Menschen gestorben. Bei rauem Seegang waren die Scharniere der Bugklappe gebrochen, sodass ungehindert Wasser eindringen konnten. Hartnäckige Gerüchte besagten, die Scharniere seien gesprengt worden; angeblich hat das Schiff Waffenteile und Militärelektronik transportiert.

Daran knüpft Holger Karsten Schmidts Drehbuch an, doch zunächst stehen Tierarzt Hauke Jacobs (Hinnerk Schönemann) und Polizistin Lona Vogt (Hennry Reents) vor einem Rätsel, als es in einem Schwanitzer Altenheim zu einer Schießerei kommt. Bevor er stirbt, drückt ein alter Mann Jacobs noch ein verrostetes Metallstück in die Hand. Es stammt, wie sich später rausstellt, von der Estonia. Das hilft dem ungleichen Duo erst mal nicht weiter, aber offenbar geht ein Killer (Mark Zak) über Leichen, um in den Besitz des Blechs zu gelangen. Dass der erschossene ältere Herr in Wirklichkeit schon seit vierzig Jahren tot ist, macht die Ermittlungen nicht einfacher. In der Seniorenresidenz lebt unter anderem Lonas Vater (Peter Prager), und als er die Maske fallen lässt, kann auch die Geschichte richtig losgehen: Der alte Vogt war einst beim Bundesnachrichtendienst und steht offenbar auf einer Todesliste. Vor sieben Jahren ist bereits seine Frau gestorben, als die Bremsen des gemeinsamen Autos manipuliert wurden. Der Fall ist weit mehr als bloß eine Nummer zu groß für die einzige Polizistin in Schwanitz und ihren kurzerhand zum Hilfssheriff beförderten früheren Hamburger Kommissar Jacobs.

Der zweifache Grimme-Preisträger Schmidt („Mörder auf Amrum“, „Mord in Eberswalde“) ist ein Autor für sogenannte Event-Stoffe, und auch „Estonia“ hätte das Zeug zum internationalen Thriller, zumal plötzlich die Weltgeschichte ins beschauliche Schleswig-Holstein schwappt. Das Metallstück, hinter dem der Killer ist, entspricht dem klassischen „MacGuffin“, wie Alfred Hitchcock Gegenstände nannte, um die sich eine komplette Thriller-Handlung dreht. Aber „Nord bei Nordwest“ hat einen anderen Ansatz, wie nicht zuletzt die beinahe gemütlich klingende Musik (Stefan Hansen) verrät. Die Reihe ist fast familientauglich und erfreut regelmäßig mit romantischen Momenten, schließlich ist Jacobs von gleich zwei begehrenswerten rothaarigen Frauen umgeben. Das Verhältnis zu Lona Vogt ist zwar professionell distanziert, aber es knistert durchaus. Aus der Schwärmerei von Praxishilfe Jule (Marleen Lohse) für ihren Chef machen die Filme dagegen keinen Hehl, aber auch hier bleibt Jacobs aus Gründen, die mit seiner Hamburger Vergangenheit zu tun haben dürften, auf Distanz.

Dritter wichtiger Bestandteil neben der Krimispannung und der romantischen Ebene ist der Humor. Im Vergleich zu vielen anderen Filmen Schmidts, in denen es mitunter recht grimmig zugeht, sind die Scherze in „Nord bei Nordwest“ ausgesprochen harmlos, aber sehr sympathisch; meist sind dabei Tiere im Spiel. In „Estonia“ sorgt zunächst ein durch die Praxis kegelnder Waschbär namens Gandalf für muntere Abwechslung; leider ist sein Glück nicht von Dauer. Dank der Vierbeiner mutiert der Krimi zwischendurch gar zum Tierfilm: Erst fällt Jacobs’ Weimaraner beinahe dem Killer zum Opfer, was zu einer dramatischen Operationsszene führt, und dann klaut Jule kurzerhand ein Springpferd, das von seinen Besitzern misshandelt wird.

Diese Mischung hat durchaus ihren Reiz, zumal sich die Ebenen immer wieder miteinander kreuzen, wenn beispielsweise Jacobs dem Killer beim Maskenball eine Falle stellt, während Jule einen Esel anflirtet, hinter dessen Verkleidung sie ihren Chef vermutet. Davon abgesehen aber ist es beinahe ein bisschen schade um den Stoff. Sehenswert ist der Film dennoch, und sei es nur, weil Hinnerk Schönemann so unnachahmlich gucken kann. Regie führte Dagmar Seume, die mit „Benutzt“ und „Durchgedreht“ in den letzten Jahren zwei interessante „Tatort“-Episoden aus Köln gedreht hat.