Als hätte Ricarda nie etwas anderes gemacht, formt die Achtjährige mit ihren Händen flink eine Figur aus Ton. Sie rollt zunächst eine Wurst, stellt diese dann aufrecht hin und drückt den Ton am unteren Rand flach nach außen. Ganz klar. Es ist ein Hut mit Krempe. "Neeein", moniert sie. "Das soll ein Rock sein!" Ach so. Eigentlich logisch. Immerhin ist die Aufgabe, eine Frau zu formen, eine fröhliche noch dazu. Die Vorlage bildet das biblische Gleichnis vom verlorenen Groschen (Lukas 15, 8-10). An diesem Mittwochnachmittag überlegt eine Gruppe von Kindern im Evangelischen Kirchengemeindezentrum Berlin Marzahn/Nord, wie man die Allegorie in einem Bild darstellen kann: mit Tonfiguren, die später im Bibelgarten der Kirchengemeinde stehen werden.
Hinter dem 1980er-Jahre-Bau des Gemeindezentrums auf einer Wiese und zwischen den Sträuchern und Bäumen in den Rabatten tummeln sich schon einige "alte Bekannte". Etwa Adam und Eva stehen hier, neben ihnen auf einem Baum windet sich die Schlange, auch Daniel sitzt betend in einer Löwengrube und der gute Hirte, der sein wieder gefundenes Schaf auf der Schulter trägt, weidet zufrieden seine Herde. Insgesamt zehn Bilder haben die Kinder hier schon in Ton verewigt. Dabei werden sie von der Berliner Künstlerin Birgit Wiemann begleitet und unterstützt.
Das Projekt ist Teil der Internationalen Gartenausstellung (IGA) Berlin, die in diesem Jahr in Marzahn stattfindet und am Donnerstag, den 13. April 2017, eröffnet wird. Die Initiative "IGA vor Ort" wurde von dem Bezirksamt des Berliner Bezirkes Marzahn-Hellersdorf ins Leben gerufen.
Lokale Projekte im Einzugsgebiet des IGA-Geländes konnten sich bewerben. Der Bibelgarten gehört zu den 39 ausgewählten Projekten, die sich nun im Zuge der weltweiten Gartenschau präsentieren dürfen. "Darauf sind wir stolz und hoffen, dass uns viele besuchen", freut sich die Pfarrerin Katharina Dang.
Sie ist auch die Ideengeberin des Bibelgartens. Denn bis vor einigen Jahren fanden wenige Kinder den Weg hierher in die Kirchengemeinde, wie sie erläutert. In dem Stadtteil existiere eine Skepsis gegenüber der Kirche. "Wir sind hier im Osten von Berlin, wo bis heute die DDR-Ideologie ihre Spuren hinterlassen hat." Außerdem, so ergänzt sie, lebten in Marzahn viele Menschen mit geringem Einkommen und sozialen Nöten. Wie also die Berührungsängste überwinden?
Statt einer klassischen Christenlehre mit festen Gruppen und Zeiten entstand die Idee eines offenen Angebotes mit dem Namen: Kinder-Kirchen-Klub (KKK). Jeweils mittwochs, von 15 bis 18 Uhr, können die Kinder kommen und gehen, wann sie wollen. Sie bekommen etwas zu essen und zu trinken, können reden, spielen oder mit der Katechetin Monika Schulz über den Glauben sprechen. Seit Anfang 2015 steht vor allem das Töpferprojekt mit dem Bibelgarten im Mittelpunkt des KKK. Gemeinsam wird überlegt, welche Bilder oder Geschichten aus der Bibel interessant sind. "Das ist ein laufender Prozess, bei dem wir zwar Vorschläge machen, aber nichts vorgegeben wird", erklärt die Pfarrerin. Und so sei es nicht selten, dass auch sie von der Kreativität der Kinder überrascht werde. Adam und Eva etwa wurden als eine vereinte Figur dargestellt. "Erstaunlich", findet sie.
Katharina Dang, die seit 24 Jahren die Pfarrerin in der Gemeinde ist, empfindet das Projekt als Erfolgsgeschichte. Im Durchschnitt acht Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren besuchen den Kinder-Kirchen-Klub. Und für sie persönlich ist es auch eine Bereicherung. Denn sie wohnt direkt im Haus nebenan, hat sogar einen Teil ihres privaten Gartens dafür hergegeben. "Es ist schön, wenn ich zum Fenster hinaus schaue und die Figuren sehe", beschreibt sie.
Beim Rundgang durch den Bibelgarten wirkt sie wie ein junges Mädchen, das sich einen Herzenswunsch erfüllt hat und die Figuren zum ersten Mal sieht. Ihr Lachen ist ansteckend, sie redet schnell und vergisst dabei manchmal das Atmen. Schließlich bleibt sie bei einem besonders auffälligen Bild mitten auf der Wiese stehen: einem Taufstein.
Das tönerne Taufbecken wird von einer antik wirkenden Säule getragen, worauf sehr unterschiedliche Figuren zu sehen sind. Hier haben sich die Kinder einfallsreich mit dem Gleichnis der Engel auseinandergesetzt. Entstanden ist eine vielfältige Mischung aus Bildern, die die Vorstellungen der Kinder von den himmlischen Boten Gottes widerspiegelt.
Und wenn bald noch die Figur des verlorenen Sohnes (Lukas 15, 11-32) im Ofen von Birgit Wiemann gebrannt ist, kommt wieder eine neue Figurengruppe im Garten hinzu. Eine Geduldsprobe für die Kinder. Schon seit September letzten Jahres arbeiten sie an diesem Bild. Die Figuren des Vaters, vier Schweine samt Schweinetrog sind bereits fertig. Fehlt nur der Sohn. Er steht an diesem Mittwochnachmittag noch ungebrannt auf dem Tisch im Gemeindezentrum.
"Vorsicht, nicht berühren", hat jemand auf einen Zettel geschrieben. Denn der Ton der Figur ist noch empfindlich weich. Eine ungelenke Berührung könnte genügen, um die wochenlange Arbeit zu zerstören. Ein letztes Mal reiben die Kinder mit einem Kieselstein vorsichtig über die Figur. "Das verschließt die Poren, damit der Ton später besser gegen die Witterung geschützt ist", erklärt die Künstlerin.
Was besonders auffällt? Der verzweifelte Gesichtsausdruck des verlorenen Sohnes. Seine Mundwinkel hängen herunter, die Augen sind weit offen, die Augenbrauen hoch gezogen. Auf den ersten Blick sieht es nicht aus, als sei die Figur von Kinderhand geschaffen. "Mich überrascht auch sehr oft, wie einfallsreich und realistisch die Kinder töpfern", gesteht Birgit Wiemann und daher freue sie sich auf das Entwickeln der nächsten Figurengruppe. Wie schon beschrieben, geht es um das Gleichnis vom verlorenen Groschen. Es erzählt von einer Frau, die in ihrem Haus völlig verzweifelt ein verlorenes Goldstück sucht, es findet und sich riesig freut.
Zunächst werden die Kinder kleine Modelle formen. "Wie stellt ihr Euch eine freudige Frau vor?", fragt Katharina Dang in die Runde. Tanzend, lachend, klatschend. Also los geht's! Ricarda hat inzwischen Arme und einen Kopf für ihre Figur modelliert. Jetzt rollt sie eine lange, dünne Wurst und legt diese als Gürtel um den Rock. Fast sieht es tatsächlich so aus, als ob die Figur jeden Moment lostanze. Und wer weiß, möglicherweise ist es am Ende ihr Modell, dass die Vorlage für die große Figur sein wird, die in wenigen Monaten im Bibelgarten des Gemeindezentrums Marzahn/Nord steht?