"Ich bin dankbar, dass es diese Hilfe gibt", sagt die zierliche Mutter von vier Kindern. Sie kam ins Frauenhaus, weil ihr Mann - nachdem er mit dem Trinken anfing - sie und die Kinder fast täglich schlug "und andere schlimme Dinge machte", über die sie nicht reden möchte. Drei Jahre lang hat sie die Gewalttaten über sich ergehen lassen. "Wir wussten nicht, dass es Hilfsmöglichkeiten gibt", sagt sie. Erst als ihre mittlerweile 20-jährige Tochter Sascha die Mutter überredete zur Polizei zu gehen, kam die Wendung. Über die Beamten erfolgte die Vermittlung ins Frauenhaus.
Veronika S. ist eine von geschätzten rund 127.000 Frauen, die in Deutschland jährlich Opfer einer häuslichen Gewalttat werden. Rund 16.000 von ihnen finden in einem der bundesweit etwa 350 Frauenhäuser zeitweise Zuflucht. Doch der Bedarf an solchen Schutzräumen wird von Experten weit höher eingeschätzt.
"Am Wochenende passieren die meisten Tragödien"
So gibt es in der 3,6 Millionen-Einwohner-Metropole Berlin derzeit sechs Frauenhäuser mit Platz für rund 150 betroffene Frauen und ihre Kinder. Diese Unterkünfte sind seit Jahren "durchgehend voll belegt", erzählt Paris Teimoori, die Leiterin des Berliner Frauenhauses Bora. Allein im vergangenen Jahr habe sie 150 Betroffene abweisen müssen, weil in ihrem Haus kein freier Platz zur Verfügung stand.
Meistens stehen die gewaltbedrohten Frauen am Wochenende vor verschlossenen Türen. "Am Wochenende passieren die meisten Tragödien", weiß Teimoori. Mindestens ein weiteres Frauenhaus mit rund 50 Plätzen sei in der Bundeshauptstadt nötig, schätzt Uta Kirchner, Geschäftsführerin des Frauenhaus-Vereins Bora, der zum Diakonie-Verbund gehört. Dann bestünde die Möglichkeit, dass mindestens ein Zimmer immer frei wäre für Notfälle, die sehr rasch eine Lösung benötigen.
Die Betroffenen leben in den Frauenhäusern übergangsweise: Manche bleiben nur einen Tag und kehren dann doch wieder zu ihrem Mann zurück. Andere Betroffene bleiben mehrere Monate, bis sie psychisch und physisch stabil genug sind, um ein Leben auf eigenen Beinen zu meistern.
Frauenhäuser in Großstädten meist überbelegt
"Die Frauen, die zu uns kommen, wissen was sie tun", betont Teimoori. "Aber sie befinden sich in einer grundlegenden Krise ihres Lebens." Zur Bewältigung solcher Krisen seien vielfältige Hilfsansätze nötig. Die Möglichkeit, anonym und räumlich entfernt vom Ehemann wohnen zu können, sei nur ein erster Schritt. Ziel sei, sich ein eigenständiges Leben aufzubauen.
Das Problem in Deutschland sei, dass die finanzielle Ausstattung und das Hilfsangebot der Frauenhäuser in jedem Bundesland anders geregelt seien, sagt Johanna Thie, die in der Diakonie Deutschland zuständig ist für Hilfen für Frauen und das Zentrum Familie, Bildung und Engagement. Während die Betroffenen etwa in Berlin bis zu acht Monate mietfrei in den Häusern leben können, müssen die Frauen in anderen Bundsländern einen Eigenanteil zahlen. Dafür werden ihre Einkünfte - oder mitunter sogar die Einkünfte ihrer gewalttätigen Ehemänner - mit herangezogen.
In Großstädten wie Berlin, München, Hamburg oder Frankfurt am Main seien die Frauenhäuser meist überbelegt. In ländlichen Gebieten gebe es zwar mehr Platz. Allerdings fehle es hier an qualifiziertem Personal und Therapieangeboten. Mangel gebe es an Sozialarbeiterinnen, Psychologinnen, Erzieherinnen oder Sprachmittlerinnen für gewaltbedrohte Frauen mit Migrationshintergrund.
Johanna Thie spricht sich deshalb für eine bundeseinheitliche Regelung aus. "Gut wäre ein eigenes Bundesgesetz, das den Betroffenen das Recht auf Schutz und Hilfe bei Gewalt gibt", betont die Diakonie-Expertin. Doch dazu sei zunächst ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel nötig. Es müsse sich die Erkenntnis durchsetzen, dass gewalttätige Männer "nicht das individuelle Problem der Frauen, sondern das Problem einer ganzen Gesellschaft sind".
Veronika S. und ihren Kindern haben die Monate im Frauenhaus sichtbar gut getan. Sie hat einen Job in einem kleinen Café gefunden, freut sich die 41-Jährige. Jetzt sucht sie noch eine Wohnung für sich und ihre vier Kinder. Leicht ist das nicht in einer Stadt wie Berlin, aber Veronika ist optimistisch und voller Tatendrang. "Es wird schon irgendwie klappen", ist sie überzeugt. Auch Sascha, ihre große Tochter, ist zuversichtlich. Sie bewirbt sich gerade um eine Ausbildung als Verkäuferin. Wo Veronikas Mann und Saschas Vater derzeit lebt, weiß niemand. "Es ist uns egal. Er soll uns in Ruhe lassen", sagt die große Tochter. Ihre Mutter nickt zustimmend.