TV-Tipp: "Viel zu nah" (ARD)
15.3., ARD, 20.15 Uhr: "Viel zu nah"
Caro (Corinna Harfouch) will natürlich ihren Sohn schützen. Aber sie ist eben auch mit Leib und Seele Polizistin, Leiterin ihrer Abteilung und lässt sich schließlich zu einer Tat mit fatalen Folgen hinreißen. Die Mittwochsfilme im "Ersten" aus Frankfurt sind einfach immer etwas Besonderes.

Die Fernsehfilmabteilung des Hessischen Rundfunks bleibt ihrer Linie treu: Mittwochsfilme im "Ersten" aus Frankfurt sind immer etwas Besonderes; nicht automatisch auch immer besonders gut, aber stets interessant. Petra K. Wagner (Buch und Regie) hat nach dem eher enttäuschenden übersinnlichen Drama "Lisas Fluch" zuletzt für den HR den faszinierend rätselhaften romantischen Thriller "Sprinter" und das vorzüglich gespielte Ehedrama "Nie mehr wie immer" gedreht. In "Viel zu nah" behandelt sie mit dem Mutter-Blues ein Thema, das in der Öffentlichkeit überraschend wenig Beachtung findet, obwohl viele Frauen davon betroffen sind: Der Mann hat sich mit einer Jüngeren davon gemacht, die Wechseljahre kündigen sich an, und nun heißt es auch noch Abschied vom einzigen Kind nehmen. Wagner ergänzt die Geschichte der alleinerziehenden Caro (Corinna Harfouch) durch ein reizvolle Element: Die Hauptfigur ist Kriminalkommissarin, aber ein Krimi ist das Drama trotzdem nicht; zumindest nicht im herkömmlichen Sinn.

Der Film beginnt mit einem gemeinsamen Segeltörn von Mutter und Sohn auf dem Main. Dann zeigt die Regisseurin Caro vor einem leeren Regal, die Kameraperspektive kippt; erst später, als Wagner dieses Bildmotiv ein zweites Mal verwendet, wird deutlich, dass der Rest der Geschichte als Rückblende erzählt wird. Zunächst jedoch scheint die Welt noch in Ordnung, auch wenn die Fassade immer wieder mal kleine Risse bekommt. Dass Ex-Mann Manni (Peter Lohmeyer in einer Gastrolle) mit seiner zweiten Frau ein Baby erwartet, wirft Caro sichtlich ein wenig aus der Bahn, aber sie lächelt tapfer. In der Nacht erschreckt ihr 18jähriger Sohn (Simon Jensen) sie, als er mit einer Maske vor ihrem Bett sitzt und mit ihrer Pistole rumfuchtelt; anschließend bekommt sie eine Panikattacke. Selbst wenn sie Bens Verhalten gegenüber ihrer Schwester runterspielt: Auch sie ist der Meinung, dass der Sohn zuviel kifft und sich mit den falschen Freunden abgibt. Als er in einer Tankstelle einen Schokoriegel klaut, kann allein ihr Dienstausweis den Tankwart besänftigen. Kurz drauf wird just diese einsam gelegene Tankstelle von maskierten jungen Männern überfallen. Das Trio prügelt und tritt derart brutal auf den Mann ein, dass er im Koma liegt. Angesichts der Bilder aus der Überwachungskamera und der Masken fürchtet Caro, dass auch Ben dabei war; sie löscht die entsprechenden Hinweise in der Datenbank der Polizei und versucht, ihre Mitarbeiter von Aktionen abzuhalten, die sie zu Ben führen könnten. 

Der Film macht es seinem Publikum nicht leicht, weil Wagner lange wartet, ehe sie beginnt, die eigentliche Geschichte zu erzählen. Bis dahin liegt der Reiz des Dramas vor allem in den vielen Andeutungen darauf, dass Caros Leben langsam, aber sicher aus der Bahn gerät. Immer öfter glaubt die Polizistin zum Beispiel, einen Wolf zu sehen und heulen zu hören. Der Besuche bei einer Psychologin hätte es da als Hinweis fast nicht mehr bedurft. Interessant ist auch die Bildgestaltung: In vielen Einstellungen hat Kameramann Armin Alker dafür gesorgt, dass die Bildränder oder die Hintergründe unscharf sind. Auf diese Weise konzentriert sich die Wahrnehmung automatisch auf Caro, aber die Aufnahmen legen auch nahe, dass sie mehr und mehr den Bezug zur Wirklichkeit verliert. Wagner und Alker machen das allerdings sehr behutsam, sodass sich die Wirkung eher unbewusst einstellt.

Es ist vor allem das Loyalitätsdilemma, dem "Viel zu nah" seinen Reiz verdankt: Einerseits will Caro natürlich ihren Sohn schützen, andererseits ist sie nicht nur mit Leib und Seele Polizistin, sondern auch respektierte und beliebte Leiterin ihrer Abteilung, weshalb sie sich schließlich zu einer Tat mit fatalen Folgen hinreißen lässt; Wagner hätte auch diesen Film "Nie mehr wie immer" nennen können. Corinna Harfouch spielt die Zerrissenheit dieser Frau ganz vorzüglich und jederzeit nachvollziehbar. Caros Furcht vor der drohenden Einsamkeit beispielsweise ist ständig präsent, obwohl der Film das kaum thematisiert. Simon Jensen, der in "Herr Lenz reist in den Frühling" den Sohn der Titelfigur spielte, ist ihr ein ausgezeichneter Partner, zumal er Ben auf eine Weise verkörpert, die bis zum Schluss offen lässt, ob er tatsächlich zu der Bande gehört. Im wirklichen Leben ist der vermeintlich junge Mann bereits fast dreißig. Auch sonst ist die Besetzung beachtlich, selbst wenn die weiteren Darsteller mit Ausnahme von Philipp Hochmair als Caros Kollege ähnliche Gastrollen spielen wie Lohmeyer; die meisten haben, wenn überhaupt, nur zwei, drei kurze Auftritte (Marie-Lou Sellem als Caros Schwester, Corinna Kirchhoff als Psychologin, Gustav Peter Wöhler als Chef). Trotzdem ist "Viel zu nah" alles andere als ein gefälliger Film; Wagner vermittelt im Gegenteil eine der Geschichte entsprechende Freudlosigkeit. Das liegt nicht zuletzt an der völligen Abwesenheit von Musik. Für akustische Untermalung sorgen neben den Zügen, die regelmäßig lautstark quer durchs Bild fahren, einzig Perkussionselemente, die ebenfalls eher kakophonisch als harmonisch klingen.