Der Karneval in Rio ist in vollem Gange. Schon am Wochenende vom 18./19.2 tanzten hunderttausende Narren durch die Stadt. Teils wild verkleidet, teils kaum bekleidet waren sie schwitzend bei 38 Grad Celsius bei den diversen Straßenumzügen dabei und tanzten zu Sambarhythmen. Auch die meisten der über eine Million erwarteten Touristen sind schon da und können im Sambadrom, der vor über 30 Jahren erbauten Defiliermeile der großen Sambaschulen, einen Blick auf die letzten Vorbereitungen zur größten Party Brasiliens erheischen.
Doch dieses Jahr gibt es einen Spielverderber: Marcelo Crivella, seit knapp zwei Monaten Bürgermeister der Stadt am Zuckerhut, hält nichts von dem närrischen Treiben. Er ist – sofern er nicht gerade ein politisches Amt, wie zuletzt einen Sitz im Senat bekleidet – Bischof der Neopfingstkirche "Universalkirche des Reich Gottes", kurz IURD. Das feuchtfröhliche Karnevalstreiben kann Crivella nicht mit seinen freikirchlichen Überzeugungen in Einklang bringen.
Crivella ist der erste Bürgermeister von Rio, der darauf verzichtet, sich nach seinem Amtsantritt im Sambadrom als Mann des Volkes zu präsentieren. Die Feiertage verbringt er im Ausland. Er hat nicht einmal am vergangenen Freitag den Stadtschlüssel an König Momo übergeben, das musste sein Stellvertreter übernehmen. Die für die Stadtverwaltung reservierten Plätze auf der Ehrentribüne im Sambadrom wurden zuvor demonstrativ versteigert.
Bei der evangelikalen Wählerschaft, die inzwischen brasilienweit auf 25 Prozent geschätzt und in den Armenvierteln von Rio weit größer ist, kommt Crivellas Standhaftigkeit gut an. Bei den Karnevals-Fans erntet er eher Kopfschütteln. Eine komplizierte Situation für Crivella - er sitze zwischen den Stühlen, meint Politikwissenschaftler Geraldo Tadeu Monteiro. "Immer haben die Bürgermeister von Rio an den wichtigen Festen der Stadt teilgenommen, das war überhaupt keine Frage. Diese Entscheidung von Crivella zeigt, in welche Richtung seine Regierung in den kommenden vier Jahren steuern wird", erklärte Monteiro in der Zeitung "O Globo".
"Samba ist ein Kulturgut"
Vergangenes Jahr hatte die Universalkirche ihre Gläubigen aufgerufen, dem Karneval fernzubleiben. Unter den unzähligen Pfingst- und Neopfingstkirchen Brasiliens zählt die IURD zu denjenigen, die konsequent die Einhaltung ihrer Vorschriften predigen – keinen Alkohol, züchtige Kleidung, Enthaltsamkeit, keine ausgelassene Musik ohne Gottesbezug. Doch Crivella ist zu einer Gratwanderung gezwungen, denn Rios Karneval ist geradezu ein Heiligtum. So verzichtete er trotz der akuten Finanzkrise der Stadt auf eine Kürzung der staatlichen Mittel für das Spektakel. Und die städtische Koordinationsstelle für sexuelle Vielfalt verteilt im Namen seiner Regierung 2,5 Millionen Kondome und 236.000 Tuben Gleitmittel kostenlos auf Bahnhöfen und vor dem Sambadrom.
Um seine Anhänger gerade in den Favelas, den Armenvierteln, nicht zu verprellen, lobte Crivella im Vorfeld der Riesenparty sogar die Samba, die dort einst von Afrobrasilianern ins Leben gerufen wurde. "Samba ist ein Kulturgut Rio de Janeiros, und meine Regierung wird diese Kultur weiterhin schützen. Meine Familie und ich applaudieren der Samba als einer der schönsten populären Ausdrucksformen und ich garantiere dem Karneval genügend finanzielle Ausstattung", so Crivella.
Allerdings musste sich nicht zuletzt auch die berühmte "Globeleza" für den Karneval 2017 verändern. "Globeleza" - ein Wortspiel aus dem Namen des Fernsehsenders "Globo" und dem Wort Schönheit - "beleza" – ist eine Karnevalstänzerin, die alljährlich im Jingle des größten Fernsehsenders Brasiliens vor und während den Übertragungen aus dem Sambadrom auftritt. Erstmals in 26 Jahren ist die Globeleza in dem Clip nicht mehr nackt, sondern bekleidet.
Seit der neue Jingle bekannt ist, rauscht es in den sozialen Netzwerken. Die einen sprechen von Rückschritt und Moralismus. Der verhüllte Körper sei eine Anpassung des Fernsehens an die Wünsche der starken konservativen Strömung, die sich in der Wahl eines evangelikalen Bischofs und einer breiten rechten Mehrheit im Kongress manifestiert. Andere feiern die nicht mehr nackte, schwarze Sambatänzerin als Erfolg der Frauen- und Schwarzenbewegung. Für viele Aktivistinnen war die Globeleza schon immer ein Sinnbild für Rassismus und die Vermarktung des weiblichen Körpers. Sie kritisieren auch viele traditionelle Karnevalslieder wegen der abfälligen Darstellung von Afrobrasilianerinnen oder Homosexuellen, und zahlreiche Straßenumzüge kündigten an, diese Lieder dieser Jahr nicht mehr zu spielen. Nun diskutieren die Narren lebhaft über political correctness und angebliche feministische Meinungspatrouillen und werden bald vergessen haben, dass Crivella ihnen niemals den Segen für ihre neuntägige Party gegeben hat.