Frau Hunold, wir hören und lesen in jüngster Zeit viel über "Racial Profiling". Was genau verbirgt sich hinter dem englischen Begriff, für den es scheinbar kein passendes deutsches Pendant gibt?
Daniela Hunold: Es gibt dazu verschiedene Definitionen – eine davon ist die der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz. Sie beschreibt eine polizeiliche Maßnahme als Racial Profiling, wenn Menschen - ohne dass es einen objektiven Grund gibt - unter anderem wegen ihrer vermeintlichen Rasse, ihrer ethnischen Herkunft, Hautfarbe, Sprache oder Nationalität überprüft werden. Engere Definitionen besagen weiter, dass Racial Profiling vorliegt, wenn eine polizeiliche Maßnahme ausschließlich auf einem der genannten Kriterien beruht.
Was sind "objektive Gründe", die eine Überprüfung aufgrund der genannten Merkmale ermöglichen?
Hunold: Genau das ist der Knackpunkt. Es ist natürlich eine Auslegungs- und Definitionssache, was als objektiv angesehen wird.
Daniela Hunold ist seit 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Deutschen Hochschule der Polizei (Münster) im Fachgebiet Kriminologie und interdisziplinäre Kriminalprävention. Sie hat Wirtschafts- und Sozialgeographie sowie Kriminologie studiert und am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht promoviert. 2015 veröffentlichte sie das Buch "Polizei im Revier – Polizeiliche Handlungspraxis gegenüber Jugendlichen in der multiethnischen Stadt".
Gibt es ein gesetzliches Verbot?
Hunold: Ein Verbot von Racial Profiling ist in unseren Grundrechten integriert . Artikel 3 des Grundgesetzes beinhaltet das Diskriminierungsverbot. Es besagt, dass Menschen verschiedener Herkunft und verschiedener sozialer Merkmale nicht ungleich behandelt, benachteiligt oder aber auch bevorzugt werden dürfen.
Das ist die Theorie, die eine Idealsituation beschreibt. Wie sieht es denn in der Praxis aus? Findet Racial Profiling statt?
Hunold: Das ist manchmal schwierig nachzuweisen, da ist man auf die Kooperation der jeweiligen Polizeibeamten und –beamtinnen angewiesen. Es hängt sehr davon ab, wie die Beamten darüber berichten, wie sie in der konkreten Situation vorgegangen sind. In der Polizeisoziologie spricht man davon, dass die Polizei eine Definitionsmacht besitzt über die Dinge, die passieren, die sie wahrnimmt, die sie einordnet und als Grundlage für polizeiliche Maßnahmen heranzieht. Dass es manchmal schwierig ist, dieses System von außen aufzubrechen zeigt sich auch, wenn es etwa um die Polizeigewalt oder andere Maßnahmen geht, die nicht legitim und legal sind. Die Bürger haben es manchmal schwer, ihre Anzeigen vor Gericht durchzubringen.
Es gibt Beschwerden über diskriminierendes Verhalten von Polizisten. Wie werden Beamte eigentlich in Hinblick auf diskriminierungsfreies Verhalten geschult?
Hunold: Festzustellen ist zunächst, dass jede Landespolizei mit dem Thema anders umgeht, weil wir ein föderales System in Deutschland haben. Es gibt Bundesländer, die Interkulturelle Kompetenz, Racial Profiling und Ungleichbehandlung zum Bestandteil der Aus- und Fortbildung gemacht haben. Es gibt durchaus gute Beispiele. Mein Eindruck ist aber, dass das in der Aus- und Weiterbildung bisher noch nicht flächendeckend umgesetzt wird. Das ist noch kein fester systematischer Bestandteil der polizeilichen Aus- und Fortbildung. Die Innenministerkonferenz hat es aber auf ihre Agenda aufgenommen und entsprechende Empfehlungen ausgesprochen.
Was empfehlen Sie Bürgerinnen und Bürgern, die den Eindruck haben, dass sie von der Polizei aufgrund ihres Aussehens oder anderer äußerer Merkmale "herausgepickt" und kontrolliert worden sind?
Hunold: Ich denke, dass es immer von der jeweiligen Situation abhängt und davon, wie gesprächs- und diskussionsbereit die Polizisten vor Ort sind. Aus anderen Ländern wissen wir, dass kontrollierende Beamte einen Beleg ausstellen, in dem aufgeführt wird, aus welchem Grund die jeweilige Person kontrolliert wurde. Diesen Beleg können die Bürger bei Beschwerden benutzen. In Deutschland wird das noch nicht umgesetzt, meines Wissens setzt Bremen sich mit dieser Vorgehensweise auseinander.
Deutsche Polizei versucht "kommunikativen Kontakt"
Sie haben darüber geforscht, wie Polizisten in Deutschland und Frankreich mit Jugendlichen aus Einwandererfamilien umgehen. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gelangt?
In Frankreich gibt es keine bürgernahe Polizei, dort wird nicht auf den konstruktiven Kontakt, sondern auf Kriminalitätsbekämpfung gesetzt. In Deutschland hingegen wird mehr wert gelegt auf den adäquaten Umgang mit Jugendlichen. In so genannten Problemvierteln werden bürgernahe Beamte eingesetzt, also Polizisten, die die Community gut kennen und einen engen Kontakt zu ihr haben. Dieser "kommunikative Kontakt", wie ich es nenne, wird von beiden Seiten, also von den Jugendlichen auch, angenommen.
Können mehr Polizisten aus Einwandererfamilien zu weniger Diskriminierung bei der Polizei beitragen?
Ich denke nicht, dass das ausreicht. Migrationshintergrund zu haben bedeutet ja nicht per se, vor diskriminierendem Verhalten gefeit zu sein. Es muss vor allem darum gehen, diskriminierende Praktiken zu reflektieren – und das nicht nur in der Ausbildung, sondern auch in Fortbildungen für alljene Beamte, die schon länger im Beruf sind.