Vor einer Woche hat die ARD mit dem intensiven und ausgezeichnet gespielten Drama "Wunschkinder" von einem Paar erzählt, das nach Russland reist, um sich endlich seinen Kinderwunsch zu erfüllen; Regie führte Emily Atef. Nun folgt das nächste Werk der Regisseurin. "Königin der Nacht" ist ebenfalls eine Paarstudie, auch dieser Film beruht auf einer wahren Geschichte, aber hier spielt Silke Bodenbender, dort nur Nebendarstellerin, die Hauptrolle: Inga hat sich gemeinsam mit ihrem Mann Ludwig (Peter Schneider) den Traum vom Biobauernhof im Schwarzwald erfüllt. Die beiden haben zwei Kinder, führen ein erfülltes Leben und wären wunschlos glücklich, wenn bloß die hohen Schulden nicht wären; sie können sich nicht mal mehr die Zinsen für ihre Kredite leisten. Also beschließt Inga, an mehreren Abenden in der Woche in einer etwas anrüchigen Bar zu kellnern. Rasch zeigt sich, dass ihr reifer Charme bei den Gästen gut ankommt. Eine Kollegin (Cornelia Gröschel) gibt ihr den Tipp, sich doch im mondänen Baden-Baden als Escort-Dame zu verdingen; da verdiene sie an einem Abend soviel wie in einem ganzen Monat. Zögernd willigt Ludwig ein. Inga hat als reife Unschuld vom Lande großen Erfolg, der Nebenjob erweist sich ausgesprochen einträglich; bloß Ludwig wird immer unglücklicher. Trotzdem lässt er sich auf einen Deal mit dem vermögenden Verehrer Oliver (Hary Prinz) ein, der bereit ist, für die Schulden zu bürgen und in den Hof zu investieren; natürlich entpuppt sich die Vereinbarung als Pakt mit dem Teufel.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das Drehbuch (Katrin Bühlig und Burt Weinshanker) erzählt die Geschichte sehr lebensnah, aber glaubwürdig wird sie vor allem durch Silke Bodenbender. Die Schauspielerin ist nicht gerade für Nacktszenen bekannt; entsprechend authentisch bis hin zu den roten Wangen wirkt Ingas Nervosität beim Vorstellungsgespräch in der Vermittlungsagentur und erst recht bei den Begegnungen mit den ersten Kunden. Die Bodenständigkeit der Bäuerin vermittelt sie nicht minder überzeugend. Dank ihrer natürlichen Attraktivität ist auch die Behauptung, Inga habe eine große Wirkung auf bestimmte Männer, gut nachvollziehbar. Die erotischen Momente hat Atef keineswegs plakativ, aber auch nicht verklemmt inszeniert.
Frust entlädt sich in schockierendem Ausbruch
Ähnlich realistisch schildern Buch und Regie die Konsequenzen des Nebenerwerbs für die Familie: Ludwig wird zunehmend gereizt, beginnt zu trinken und bucht Inga, die sich bei der Arbeit "Lilith" nennt, für eine teure Nacht in einem noch teureren Hotel. Damit hat er aus ihrer Sicht eine Grenze überschritten und die beiden bislang tunlichst getrennten Welten miteinander vermischt; prompt lässt auch die andere Welt nicht lange auf sich warten und schaut in Gestalt von Oliver auf dem Hof vorbei. Das Paar entzweit sich immer mehr, zumal Ludwig den Verdacht hegt, dass seine Frau Spaß am Sex mit den Fremden hat. Tochter Marie (gut geführt: Helena Lützow) ahnt ohnehin, dass irgendwas faul ist, zumal Inga ihre nächtliche Abwesenheit hinter diversen Lügen verbirgt. Am Ende entlädt sich Ludwigs Frust in einem schockierenden Ausbruch, gegen den die finanziellen Nöte des Ehepaars nur noch Kleinkram sind; in dieser Szene beschönigt Atef ebenfalls nichts.
Auch Peter Schneider spielt seine Figur vorzüglich. Ludwigs Missmut sucht sich von Zeit zu Zeit kleine Ventile, aber ansonsten beschränkt sich Schneider darauf anzudeuten, wie sich immer mehr Wut anstaut. Unbedingt sehenswert aber ist diese frugale Variation von Luis Buñuels fünfzig Jahre altem Klassiker "Belle de Jour" wegen Silke Bodenbender; nur wenige deutschen Schauspielerinnen wären in der Lage, die verschiedenen Facetten dieser Rolle so konsequent und zweifelsfrei zu verkörpern.