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TV-Tipp: "Landgericht – Geschichte einer Familie" (ZDF)
30.1., ZDF, 20.15 Uhr: "Landgericht – Geschichte einer Familie"
Die Handlung beginnt im Dezember 1938. Das Ehepaar Richard und Claire Kornitzer (Ronald Zehrfeld, Johanna Wokalek) hat sich entschlossen, seine Kinder nach England zu schicken.

In seinem 1947 uraufgeführten Drama "Draußen vor der Tür" erzählt Wolfgang Borchert von einem Kriegsheimkehrer, dem es nicht gelingt, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Ursula Krechels 2012 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneter Roman "Landgericht" handelt von einer ähnlichen Geschichte, allerdings unter ganz anderen Vorzeichen. Heide Schwochow (Buch) und Mathias Glasner (Regie) beleuchten mit ihrer Adaption ein Kapitel der deutschen Nachkriegshistorie, das zumindest im Fernsehfilm bislang nur selten thematisiert worden ist: die Rückkehr der ins Exil geflüchteten Juden.

Die Handlung beginnt im Dezember 1938. Das Ehepaar Richard und Claire Kornitzer (Ronald Zehrfeld, Johanna Wokalek) hat sich entschlossen, seine Kinder nach England zu schicken. Die Abschiedsszene am Bahnhof ist herzzerreißend; es werden noch viele weitere folgen. Dann blendet der Film zurück ins Jahr 1933: Die Nationalsozialisten haben die Macht übernommen und sorgen dafür, dass sämtliche Juden aus öffentlichen Ämtern entfernt werden. Richard ist, wie er später erwähnt, ein Jude "von Hitlers Gnaden", Religion spielte in seinem Leben bislang keine Rolle; sein Richteramt verliert er trotzdem. Claire ist Christin, muss aber trotzdem ihr Werbefilmunternehmen aufgeben. Kurz vor Kriegsbeginn ergattert Richard ein Visum nach Kuba. Schweren Herzens lässt er Claire zurück, die fortan von den Faschisten schikaniert wird; und das beschränkt sich keineswegs darauf, dass ihre Wertgegenstände gestohlen werden. Derweil leiden die Kinder in ihrer Gastfamilie unter einer verbitterten Engländerin. Einzig Richard hat kaum Grund zur Klage: Er verliebt sich in eine kubanische Lehrerin (Edenys Sanchez), die beiden bekommen eine Tochter. Nach Kriegsende erreicht ihn ein Brief von Claire, die die Familie wieder zusammenführen möchte. Richard kehrt heim, wird Richter am Mainzer Landgericht und sieht sich von Männern umgeben, die ihr Fähnchen flugs nach dem neuen Wind gerichtet haben. Überzeugt, dass er ein Recht auf Gerechtigkeit habe, verbeißt er sich in seinen Wiedergutmachungsprozess, was der Ehe nicht gut tut, aber die einstige Innigkeit ist ohnehin dahin. Auch die familiäre Wiedervereinigung scheitert: Nach einem Zwischenaufenthalt in einem Heim sind die Kinder bei liebevollen Pflegeeltern gelandet und wollen nicht mehr nach Deutschland zurück.

Zum Schluss ein Wiedersehen

Gerade der zweite Teil ist voller Verbitterungen, weil sich die Hoffnungen, an die sich Richard und Claire so viele Jahre lang geklammert haben, endgültig zerschlagen, zumal der von Feinden umzingelte Richard auch noch gesundheitliche Probleme bekommt. Mit über 200 Minuten ist "Landgericht" etwas ausufernd, aber schon allein Ronald Zehrfeld, für den das altmodische Prädikat "stattlich" erfunden worden zu sein scheint, ist es wert, sich diesen Film anzuschauen: Weder die Nazis noch das Exil konnten den stolzen Mann brechen; das schafft erst sein vergeblicher Kampf gegen die Windmühlen der Nachkriegsjustiz. Während Wokalek ihre Claire als stille Dulderin verkörpert und entsprechend nach innen spielt, hat Zehrfeld zudem diverse Szenen mit namhaften Kolleginnen in zum Teil winzigen Rollen, allen voran Barbara Auer als Richards Sekretärin; die Jüdin Esther ist die einzige Person am Landgericht ohne NSDAP-Vergangenheit. Eine trotz ihrer wenigen Szenen markante Figur verkörpert Felix Klare als einer jener Opportunisten, die auch nach dem Krieg noch in Amt und Würden sind. Gleichfalls interessant ist eine Rolle für Michael Rotschopf: Philipp Singer muss sich vor Gericht verantworten, weil er bei der Wiedergutmachung seiner jüdischen Mitbürger nachgeholfen hat. Die heikle Verhandlung bringt Richard endgültig an seine psychischen und physischen Grenzen; Kraftpaket Zehrfeld spielt auch diese Szenen ganz vorzüglich.

Die weiteren Mitwirkenden sind ähnlich gut, auch die unbekannten jungen Darsteller. Trotzdem sind dem vor allem durch seine Arbeiten mit Jürgen Vogel bekannten Glasner (zuletzt "Blochin", früher unter anderem "Sexy Sadie", "Der freie Wille" und "Gnade") einige Längen unterlaufen; eine Kürzung auf zweimal 90 Minuten hätte dem Film nicht geschadet. Herausragend ist allerdings die Bildgestaltung durch Jakub Bejnarowicz; einige Aufnahmen verströmen exakt die Melancholie und Einsamkeit der Gemälde von Edward Hopper. Für den Justizapparat haben Glasner und Bejnarowicz ein besonders bemerkenswertes Bild gefunden: Als Richard nach Mainz kommt, scheint das Landgerichtsgebäude unversehrt; erst als die Kamera hochfährt, sieht man, dass die oberen Stockwerke zerstört sind. Die Musik von Lorenz Dangel ist der Größe des Films ebenfalls angemessen. Dessen Qualität offenbart sich nicht zuletzt in den Bildern, die Glasner ausblendet: Interessanterweise verzichtet er auf den für Produktionen dieser Art sonst eigentlich unvermeidlichen NS-Bombast. Das mag eine Frage des Budgets gewesen sein, aber die entsprechenden Bilder sind ohnehin in allen Köpfen präsent. Dazu passt die Rolle des jüdischen Geschäftsmanns Roth, in der Christian Berkel bis zur Unkenntlichkeit verschwindet. Was dem Mann und seinem Laden angetan worden ist, zeigt Glasner nicht, dafür aber Roths Gesicht, das innerhalb eines Zeitsprungs von wenigen Jahren um zwei Jahrzehnte gealtert ist. "Landgericht" nimmt in diesen Szenen die Perspektive der Deutschen im "Dritten Reich" ein: Wer die Taten ignoriert, ist angesichts der Folgen umso fassungsloser, und auch in dieser Hinsicht ist dieser Film über die Themen Flucht und Vertreibung hinaus von erstaunlicher Aktualität. Immerhin beendet Schwochow die Geschichte versöhnlich: Nach all den Abschieden gibt es zum Schluss ein Wiedersehen. Den zweiten Teil zeigt das ZDF am Mittwoch.