Frau Gehlhaar, Sie schreiben in Ihrem Buch über den Alltag einer Rollstuhlfahrerin. Reagieren viele fremde Menschen auf Ihren Rollstuhl?
Wie reagieren Sie auf solche Reaktionen?
Gehlhaar: Mir hilft es, dass ich nicht auf den Mund gefallen bin. Ich sage manchmal auch etwas Freches. Aber ich möchte gar nicht ständig reagieren müssen. Sehr heftige Reaktionen, Beleidigungen oder Bedrohungen, erlebe ich auch - aber zum Glück nur selten.
Was bedeutet das für Ihr Umfeld?
Gehlhaar: Wenn ich mit meinem Freund unterwegs bin, denken viele, er sei mein Pfleger. Wenn wir uns dann küssen, sind sie sehr überrascht (lacht). Oft belustigt mich das - aber eigentlich ist es sehr hart. Viele schreiben meinem Freund zu, dass er sehr hilfsbereit sei, weil er sich ja um einen Menschen mit Behinderung kümmert. Das ist sehr abwertend für ihn und für mich. Als wäre er gar nicht mit mir zusammen, weil er mich als Person liebt.
In den vergangenen Jahren wurde immer wieder über Inklusion berichtet und diskutiert. Wie ist Ihre Erfahrung: Haben sich die Reaktionen auf Sie verändert?
Gehlhaar: Mein Eindruck ist, dass sich die Gesellschaft nach rechts bewegt. Ich erlebe mehr Ausgrenzung als noch vor ein paar Jahren. Und ich erlebe das, weil ich zu einer Minderheit gehöre. Es nimmt zu, dass Nazis ihre Ablehnung von Behinderten offen deutlich machen. Aber es gibt auch eine positive Entwicklung: Immer mehr Menschen mit Behinderung bleiben nicht still zu Hause sitzen, sondern werden laut. Sie drängen nach vorne und wollen selbst mitgestalten. Inklusion beginnt nicht im Kopf, sondern im Gesetz. Die Gesetze müssen Behinderten Gleichstellung ermöglichen.
Auch Sie erheben Ihre Stimme in der Öffentlichkeit. Welche Rolle spielen dabei das Internet und soziale Medien?
Gehlhaar: Für mich ist das Internet der wichtigste Faktor für meinen Weg. Ich habe gesehen, dass ich nicht alleine mit meiner Behinderung bin. Das hat mir sehr viel Mut gemacht. Auf Twitter wollte ich eigentlich nur sonntags den "Tatort" kommentieren. Aber dann habe ich begonnen, kleine Begebenheiten aus meinem Alltag zu erzählen. Ich habe sehr viel positive Resonanz bekommen, von Behinderten und Menschen ohne Behinderung. Manche haben geschrieben, dass sie angefangen haben, über das Thema Behinderung nachzudenken. Das finde ich sehr wichtig. Und es tut mir gut.
In der Öffentlichkeit ist immer wieder davon die Rede, jemand sei "an den Rollstuhl gefesselt". In Ihrem Buch schreiben Sie, dass der Stuhl für Sie eine ganze andere Bedeutung hat.
Gehlhaar: Der Rollstuhl steht als gesellschaftliches Symbol des Schreckens, er steht für Schmerz und Einschränkung. Mein Rollstuhl steht für Freiheit und Mobilität. Er ermöglicht es mir, arbeiten und einkaufen zu gehen - und das selbstständig. Rollstühle sind ganz anders als vor zehn Jahren: Sie sind maßgeschneidert und schick. Ich mag meinen Rollstuhl. Er sieht gut aus und macht, was ich will (lacht).