Trump, Brexit und AfD heißen derzeit die Schreckgespenster der Demokratie. Im Jahr 2016 scheinen sich Populismus, Hass und Abgrenzung Bahn zu brechen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Gerade jetzt müssten wir etwas tun, rufen die überzeugten Demokraten, schreiben die Medien und fordern die Kirchen. Aber was? Und wie?
Die Evangelische Akademie Frankfurt startet ein Experiment und begibt sich damit auf ein neues akademisches Terrain: Traditionell ist die Akademie ein Ort der sozialen, wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und religiösen Reflexion und will damit zur Demokratisierung der Gesellschaft beitragen. Kontroverse Standpunkte werden ins Gespräch gebracht, innovatorische Impulse gegeben und aktuelle Debatten einer interkulturellen, multireligiösen Gesellschaft aufgegriffen. Protestantisch, weltoffen, streitbar.
Junge Menschen wollen direktere Form der Mitsprache
Dieser Tradition bleibt die Akademie treu und macht doch etwas anders: im kommenden Jahr sollen 30 Menschen unter 30 Jahren diese Diskurskultur praktizieren, mit Leben füllen, kreativ weiterentwickeln und dabei gesellschaftspolitisch relevante Themen reflektieren. Das Projekt nennt sich "Junge Akademie Frankfurt" und steht unter dem Motto "Do it yourself! – Demokratie": selbst gemachte Demokratie – nicht als Worthülse, sondern aus Überzeugung. So wie es viele in den letzten Jahren bereits getan haben.
Daher geht es in dem Programm etwa um Plätze der Freiheit, die demokratische Freiheitsbewegungen im Umfeld Europas befeuert haben. Es waren die öffentlichen Plätze, die den Bewegungen nicht nur einen Ort, sondern auch einen Namen gegeben haben: Maidan, Taksim, Tahrir. Orte, die heute als Symbole für Freiheit stehen und an denen oftmals junge Menschen die Gesellschaft verändert haben. Auch in Deutschland spielt die Auseinandersetzung um solche öffentlichen Plätze eine Rolle, etwa in Dresden. Diese Plätze werden für eine Veranstaltung gleichsam nach Frankfurt geholt: Aktivisten demokratischer Freiheitsbewegungen geben Einblicke in ihre Motivation. Die Erfahrungen werden mit Politikwissenschaftlern wissenschaftlich reflektiert und auf die aktuelle Situation in Deutschland und Europa übertragen: Für welche Freiheit sind Menschen hier bereit, auf die Straße zu gehen?
Demokratie basiert auf Zusammenhalt und gemeinsamem Handeln. "Demokratie heißt immer: die Bereitschaft, nicht nur eigene Interessen zu sehen, und die Fähigkeit zum Ausgleich und Kompromiss. Vor allem heißt Demokratie: Sich auf andere verlassen – und das passt niemals in die Angst-Ideologie von AfD und Co!" Das hat Bundesaußenminister Frank Walter-Steinmeier am 12. Mai in einer Rede beim 19. WDR Europa Forum gesagt. Denn die Menschen auf der Straße zeigen auch, dass verschiedene "Risse" durch die Gesellschaft gehen. Zumindest wird das, was die demokratischen Strukturen herausfordert, so kommuniziert: Arm und Reich, Jung und Alt, Rechts und Links, Migranten und Einheimische, Abendländer und Muslime – entlang dieser Linien wird immer stärker polarisiert. Medien spielen hier eine wichtige Rolle und werden selbst in der Art ihrer Berichterstattung kritisch hinterfragt, gerade im Internet. Zwischen Lügenpresse, Social Media und Öffentlich-Rechtlichen – was tragen Medien zum Umgang mit politischen Konfliktlinien bei?
Was der Brexit und die US-Wahlen noch gezeigt haben: Oft sind es die Alten, die letztlich über die Zukunft bestimmen und oft haben sich die Jüngeren ihre Zukunft ganz anders vorgestellt: offen, demokratisch, tolerant. Doch wie lassen sich die Jungen motivieren? Aktuelle Jugendstudien zeigen entgegen der landläufigen Meinung: junge Menschen sind politisch interessiert! Sie finden sich aber in den "klassischen" Formen von Beteiligung nicht wieder. Etablierte Institutionen (Parteien, Gewerkschaften, Kirchen) leiden unter Nachwuchsmangel. Dagegen entwickeln sich andere Formen der Teilhabe: Online-Petitionen, Formen der Liquid Democracy, Protestbewegungen wie Occupy oder Attac. All diesen Formen scheint gemeinsam: weg von der Repräsentanz, hin zur direkteren Form der Mitsprache. Wie geht das demokratische Gemeinwesen damit um?
Jetzt ist die Zeit, anzupacken!
Die Stipendiaten/innen der Jungen Akademie werden sich all diesen Fragen stellen und mit den vielen möglichen Antworten auseinandersetzen. Die Gruppe der Teilnehmenden soll sich aus jungen Menschen zwischen 18 und 30 zusammensetzen, die sich in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen bewegen: den Künstler, die junge Juristin, den syrischen Physikstudenten, die Handwerksmeisterin… In interdisziplinären Gruppen erarbeiten die Stipendiaten/innen Positionen, entwickeln persönliche Haltung und präsentieren die Erkenntnisse und Erfahrungen in kreativer Form – Radiobeitrag, Comic, Video: Alles ist erlaubt!
Mit dem Projekt verfolgt die Evangelische Akademie Frankfurt drei Ziele:
Unter dem Jahresthema "Do it yourself! – Demokratie" wollen wir zu einem gesellschaftspolitisch höchst relevanten Thema eine öffentliche Debatte befördern, die aus der Perspektive derer geführt wird, die zukünftig unsere Gesellschaft tragen. Wir schaffen einen Raum, in dem junge Menschen die eigene Position und Haltung innerhalb der Gesellschaft stärken und die Persönlichkeit weiterentwickeln.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie die kreativen Methoden sollen jeweils neue Erfahrungen und Einblicke in fremde Welten bieten.
Schließlich wollen wir als Akademie auch ein Ort für junge Menschen werden, indem wir ihnen Räume und die nötige Sichtbarkeit verschaffen, ihre Positionen zu artikulieren und damit Wirkung zu entfalten.
Demokratie ist immer auch eine Aufforderung. Belassen wir es nicht nur bei Worten: Jetzt ist die Zeit, anzupacken!