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TV-Tipp: "Zielfahnder: Flucht in die Karpaten" (ARD)
19.11., ARD, 20.15 Uhr: "Zielfahnder: Flucht in die Karpaten"
Seit knapp dreißig Jahren, als sein Thriller "Die Katze" (1988) in die Kinos kam, gilt Dominik Graf als bester deutscher Thriller-Regisseur; mit zehn Grimme-Preisen, die er überwiegend für seine Krimis bekommen hat, ist er der Rekordhalter der renommiertesten Auszeichnung für deutsche TV-Produktionen. Gerade Grafs Polizeifilme sind dank verschiedener Charakteristika unverwechselbar. Das gilt auch für "Zielfahnder: Flucht in die Karpaten".

Der Auftakt einer potenziellen neuen ARD-Reihe basiert wie die ebenfalls für die ARD entstandene Serie "Im Angesicht des Verbrechens" auf einem Drehbuch von Grafs langjährigem Autor Rolf Basedow und stellt eine polizeiliche Berufsgruppe vor, die bislang im Fernsehen überraschenderweise etwas unterrepräsentiert ist: Zielfahnder sind unabhängig agierende Spezialisten, die unter Umständen jahrelang mit der Suche nach bestimmten Verbrechern beschäftigt sind; zur Not auch im Ausland. Basedow bezeichnet die Zielfahndung als "Königsdisziplin der Polizeiarbeit." Beste Voraussetzungen also, um typische Krimielemente mit reizvollen Schauplatzen zu kombinieren; insofern passt die neue Reihe zum jüngsten Trend der ARD-Tochter Degeto. Im Gegensatz zu den familientauglichen Donnerstagskrimis aus Bozen, Kroatien oder Island, die wohlgeordnete und übersichtliche Geschichten erzählen, setzen Graf und Basedow ganz andere Akzente. Deshalb erfordert der fast zwei Stunden lange Auftakt gerade in der ersten Hälfte hohe Konzentration: Die Nachtaufnahmen sind der Bildqualität von Überwachungs- oder Wärmebildkameras nachempfunden und entsprechend düster, unscharf und grobkörnig. Der Film beginnt mit dem Ausbruch zweier Schwerverbrecher aus einem Gefängnis. Das nordrhein-westfälische LKA und verschiedene Landesministerien sind bei der Verfolgung bis an die polnische Grenze per Telefon- und Videokonferenz zusammengeschaltet, weshalb mitunter alle durcheinander reden. Funksprüche gehören ebenso zu Grafs Kennzeichen wie überfallartige Zooms oder eine knallige Vorspanngestaltung, beides Reminiszenzen an das Kino der Siebziger.

Trotzdem ist diese lange Sequenz spannend und typisches Graf-Niveau; gerade dank der raschen Schnittfolge wirkt die erste Stunde optisch überaus aufwändig und ungemein dicht inszeniert. Das Zusammenspiel von Bildgestaltung und Tonebene entfaltet eine derartige Dynamik, dass Graf seinem Ruf vollauf gerecht wird. Dazu zählen auch der unverblümte Sex und die Gewaltdarstellungen. Nicht minder sehenswert sind die beiden Hauptfiguren und ihre Darsteller, Hanna Landauer (Ulrike C. Tscharre) und Sven Schröder (Ronald Zehrfeld). Sie steht dabei besonders im Fokus, denn es gibt eine offene Rechnung: Bei einer versuchten Festnahme ist Landauers Kollege und Lebensgefährte von einem der beiden Gangster, Caramitru (Dragos Bucur), so schwer verletzt worden, dass er seither nicht mehr außendienstfähig ist. Schröder ist ihr neuer Partner. Während der eine Ausbrecher geschnappt wird, kann der clevere Caramitru seine Verfolger abschütteln. Als sich später rausstellt, dass er in seine Heimat geflohen ist, reisen die beiden Zielfahnder nach Bukarest.

In dieser zweiten Hälfte beginnt der Film quasi von vorn. Die Suche nach dem Verbrecher in der Nachtclubszene ist zwar noch abwechslungsreich, aber die ausführlichen Revierszenen sind etwas ermüdend, weil sämtliche Dialoge übersetzt werden müssen. Als sich die beiden Deutschen und ihre einheimischen Kollegen dann tatsächlich in die titelgebenden Karpaten aufmachen, weil Caramitru angeblich die Hochzeit seiner Schwester besuchen will, erlebt der Film einen im Vergleich zur fesselnden ersten halben Stunde fast schon dramatischen Spannungsabfall und wirkt nun wie eine Dokumentation über die Sitten und Gebräuche rund um eine Eheschließung auf dem Lande. Es war vermutlich nicht zuletzt der Kontrast, der Basedow und Graf gereizt hat: In Deutschland ist die Fahndung technikdominiert, in Rumänien spielt der menschliche Faktor eine ungleich größere Rolle; kein Wunder, dass sich das gemischte Doppel hier auch viel stärker als Team präsentiert. Es macht ohnehin Spaß, Tscharre und Zehrfeld, der auch schon Star von "Im Angesicht des Verbrechens" war, zuzuschauen. Spätestens bei der Verfolgung Caramitrus in die Berge, die Graf teilweise wie einen Italo-Western inszeniert, kann man den Film allerdings kaum noch ernst nehmen. Sollte das Publikum dies wider Erwarten anders sehen, wird man bei ARD und Degeto über eine Fortsetzung nachdenken.